Im Kino: Von Menschen und Göttern:Wenn der Terror kommt

In einer März-Nacht stürmen Bewaffnete ein Kloster in Algerien - später findet man die Köpfe der entführten Mönche. Der Kinofilm dazu ist das Film-Wunder des Jahres: "Von Menschen und Göttern".

Rainer Gansera

Verwundert, aufgewühlt reibt man sich die Augen. Ein Film-Wunder. Eigentlich ein unmöglicher Film, aber es gibt ihn, und er ist eines der wichtigsten, bewegendsten Kinoereignisse des Jahres. Ausgezeichnet mit dem Großen Preis der Jury in Cannes, wurde "Von Menschen und Göttern" in Frankreich ein Publikumshit mit mehr als drei Millionen Zuschauern. Erstaunlich für ein langsam, geradezu beschaulich erzähltes Kinostück, das an die ehrwürdigsten, versunken geglaubten Traditionen des europäischen Autorenkinos anknüpft, an die Schule der großen Mystiker: Rossellini, Dreyer, Bresson.

Themendienst Kino: Von Menschen und Goettern

Die Sphäre der Frömmigkeit, aus der die Mönche ihre Kraft beziehen, zeichnet der Regisseur mit bewunderndem Staunen: Olivier Rabourdin als Bruder Christophe in dem Drama Von Menschen und Göttern.

(Foto: dapd)

Erzählt wird von einem Kloster in Algerien mit neun französischen Trappisten-Mönchen - was Atheisten und Agnostiker nicht zu Abwehrreaktionen veranlassen sollte, denn hier geht es nicht um Glaubensbekenntnisse, sondern um menschliche Zeugnisse. Der Regisseur Xavier Beauvois, ein bekennender Atheist, nähert sich den Mönchen mit Respekt, Zuneigung und beinahe dokumentarischer Genauigkeit.

"Von Menschen und Göttern" greift ein grausames zeitgeschichtliches Ereignis auf. In einer März-Nacht des Jahres 1996 stürmen zwanzig Bewaffnete das Trappisten-Kloster Notre Dame de l'Atlas von Tibhirine und entführen sieben Mönche. Zwei in einem Nebentrakt Schlafende werden übersehen. Zwei Monate später der grausige Fund: An einem Feldweg werden die Köpfe der Entführten entdeckt. Zur Untat bekennt sich die radikal-islamische, das algerische Militärregime bekämpfende Organisation Groupe Islamique Armé (GIA). Spätere Untersuchungen, die bis heute nicht abgeschlossen sind, lassen Zweifel an der Täterschaft der GIA aufkommen und sehen das Militärregime als möglichen Initiator der Bluttat.

Wie hätte sich ein journalistischer Filmemacher diesem Stoff genähert? Üblicherweise über das Spektakuläre und Reißerische: die Schlagzeilen, die Empörung, die Fotos der abgetrennten Köpfe. Xavier Beauvois lässt all das beiseite. Er schildert das ritualisierte Leben im Kloster: Gebete, Gesänge, das gemeinsame, schweigend eingenommene Mahl. So schwingt er sich in einen meditativen Rhythmus ein, der auch später, wenn die Spannung steigt, nicht aufgegeben wird. Nach der Morgenandacht werden die Kutten abgestreift. Die Mönche bestellen den Garten, pflegen ein gutnachbarschaftliches Verhältnis zur moslemischen Dorfbevölkerung, sind selbstverständliche Gäste bei deren Hochzeitsfeiern. Bruder Luc (Michael Lonsdale), ein Arzt, versorgt die Dorfpatienten mit bescheidenen Mitteln - und muss die Frage eines Mädchens beantworten, ob er schon einmal verliebt gewesen sei.

Lesen Sie weiter auf Seite 2, was das große Verhängis der Mönche ist.

Der den Tod nicht fürchtet

Zweiter Akt: die Gefahr. Nicht weit vom Kloster werden vierzehn kroatische Gastarbeiter von islamistischen Terroristen niedergemetzelt. Eines Nachts erscheint eine bewaffnete Dschihadisten-Gruppe am Kloster und verlangt die Versorgung ihrer Verwundeten. Abt Christian (Lambert Wilson) stellt sich den Waffen entgegen, stimmt aber der ärztlichen Versorgung zu: "Wir sind brüderlich zu allen Menschen!" Wenn der örtliche Politiker beschwörend ausruft: "Ihr Kloster braucht militärischen Schutz, solche Gewalttaten werden sich wiederholen!", lehnt Christian das kategorisch ab.

Im Konvent aber wird heftig darum gestritten, was zu tun sei. Hierbleiben, wie die Leute im Dorf es wünschen, oder zurück nach Frankreich gehen? Doch militärischen Schutz annehmen? Zweifel, Ängste, Gewissenserforschung. Bruder Luc: "Ich habe keine Angst vor den Terroristen, noch weniger vor dem Militär. Ich fürchte den Tod nicht mehr, ich bin ein freier Mensch!" Er sagt das ohne heroische Geste, ohne glühende Bekenntnisaugen. Mit dieser Haltung ist er noch allein, aber das wird sich ändern. Großartig, wie Beauvois den Wandlungsprozess der Mönche als ein Ringen um innere Haltung beschreibt. Ausharren im klaren Bewusstsein der Gefahr. Spannend, wie er dabei das Universum der Mönche in drei Sphären gliedert: Politik, Alltag, Frömmigkeit.

Die politische Sphäre ist das große Verhängnis. Jede Partei versucht die andere in eine Spirale der Gewalt hineinzuziehen. Mit Vernunftgründen, aus durchsichtigem Machtkalkül. Den teuflischsten Part spielen die Fundamentalisten, die - wie es Fundamentalisten jeglicher Prägung tun - sich von ihrem Gott eine Tötungslizenz beschaffen. Starkes Bild: Wie ein Militär-Hubschrauber über dem Konvent kreist und die Mönche gegen dessen Lärm ansingen.

Beinahe idyllisch wird die Sphäre des Alltags gezeichnet. Als sei Beauvois ein wenig neidisch auf diesen Bereich des mönchischen Daseins: Blumen gießen im Frühnebel, Honig verkaufen auf dem Markt. Trappisten sind Kontemplative, haben keinen Missionsauftrag. So muss nicht über Kreuzzüge oder die Wurzeln des algerischen Bürgerkriegs diskutiert werden. Das Zusammenleben mit den moslemischen Dorfleuten ist umgriffen von einer jederzeit nachvollziehbaren Alltäglichkeit, in der nur gegenseitige Fürsorge und Solidarität Platz haben.

Politisch-theologische Dispute wären da hohles Geklapper. Wenn sich die Mönche mit den Dorfältesten beraten und gefragt werden, ob sie das Kloster aufgeben wollen, sagt ein Bruder: "Wir sind wie Vögel auf einem Baum, wir sind nicht sicher, ob wir weiterziehen müssen." Antwort: "Die Vögel sind wir, ihr seid der Baum."

Die Sphäre der Frömmigkeit, aus der die Mönche ihre Kraft beziehen, zeichnet Beauvois mit bewunderndem Staunen. Großer Augenblick, wenn die Klosterbrüder beim letzten Abendmahl zwei Weinflaschen leeren und Tschaikowskys "Schwanensee" aus einem Kassettenrecorder erklingt. Zum ersten Mal gibt es so etwas wie ekstatische Momente in ihren Gesichtern. Über Robert Bressons "Tagebuch eines Landpfarrers" schrieb Gunter Groll: "Welch ein Wagnis! Wagnis eines Films von den Letzten Dingen. Er fotografiert das Menschengesicht. Jedoch: das Gesicht als Spannungs- und Kraftfeld noch anderer als nur menschlicher Mächte."

Das Geheimnis und Wunder des Films zeigt sich darin, wie die Gesichter der Mönche in ihrem Gott-Bezug aufscheinen und dabei doch, völlig durchsichtig, im Menschlichen bleiben. "Von Menschen und Göttern" predigt nicht, sondern zieht uns in eine fortwährende Selbstbefragung. Könnte ich der Gewalt widerstehen mit Gewaltlosigkeit, das eigene Leben einsetzend, in der Gewissheit, dass der Tod nicht das letzte Wort behalten wird?

DES HOMMES ET DES DIEUX, F2010 - Regie: Xavier Beauvois. Buch: Beauvois, Etienne Comar. Kamera: Caroline Champetier. Mit Lambert Wilson, Michael Lonsdale, Olivier Rabourdin, Philippe Laudenbach. NFP, 120 Minuten.

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