Weißrussland: Präsident Lukaschenko:Ein Diktator spielt Demokratie

Weißrusslands Präsident Lukaschenko sucht die Nähe zur EU - und gestattet etwas mehr Freiheit. Doch warum wurde die Wahl wieder manipuliert und Demonstranten verprügelt? Die wichtigsten Fragen und Antworten zur Wahl in "Europas letzter Diktatur".

Matthias Kolb

Mit einer freien und gerechten Wahl hatten die wenigsten der 9,5 Millionen Weißrussen gerechnet, doch viele Anhänger der Opposition waren dennoch empört über die Dreistigkeit des Regimes. 79,7 Prozent der Stimmen - dieses Ergebnis hatte sich Präsident Alexander Lukaschenko dieses Mal auszählen lassen.

Weißrussland: Präsident Lukaschenko: Er ruft seinen Frust über die Wahlmanipulation heraus: Ein junger Demonstrant, der mit mehreren zehntausend Oppositionsanhängern in Minsk gegen das offizielle Wahlergebnis protestierte.

Er ruft seinen Frust über die Wahlmanipulation heraus: Ein junger Demonstrant, der mit mehreren zehntausend Oppositionsanhängern in Minsk gegen das offizielle Wahlergebnis protestierte.

(Foto: AP)

Mehrere zehntausend Menschen gingen in der Hauptstadt Minsk trotz eines Demonstrationsverbots auf die Straßen. Sie riefen "Nieder mit Lukaschenko", "Nieder mit dem Gulag" und "Für die Freiheit" und versuchten, die Zentrale Wahlkommission zu stürmen.

Zunächst blieb es ruhig, dann griffen die Sicherheitskräfte mit Schlagstöcken durch und nahmen 1000 Menschen fest. Mindestens vier der neun Gegenkandidaten Lukaschenkos wurden verhaftet - manche sogar verprügelt.

Außenminister Guido Westerwelle verurteilte das harte Durchgreifen der weißrussischen Behörden: "Es ist nicht akzeptabel, Oppositionskandidaten und ihre Anhänger, die ihr Recht auf freie Meinungsäußerung ausüben wollen, zu drangsalieren, zu schlagen oder festzunehmen."

Im März 2006 hatten Tausende zwei Wochen gegen die Wiederwahl von Lukaschenko protestiert und in Zelten der Kälte getrotzt, bis die Polizei schließlich die Oppositionellen wegschaffte. Ähnliche Bilder wollte Lukaschenko, der um eine Annäherung an die EU bemüht ist, eigentlich vermeiden - doch die Sicherheitskräfte griffen wieder zu den alten Methoden.

Wer ist Alexander Lukaschenko, der starke Mann in Weißrussland?

Der frühere Direktor einer Sowchose - eines landwirtschaftlichen Großbetriebs - regiert die frühere Sowjetrepublik, die mitunter auch Belarus genannt wird, seit nunmehr 16 Jahren mit harter Hand. Es gibt nur wenige unabhängige Medien in Weißrussland, die meisten Betriebe sind in staatlicher Hand und die letzte unabhängige Hochschule, die Europäische Humanistische Universität, wurde geschlossen - seit 2006 werden etwa 1000 Studenten im Nachbarland Litauen unterrichtet.

Alexander Lukashenko

Seit 1994 amtiert er als Präsident in Weißrussland: Alexander Lukaschenko.

(Foto: AP)

Das Etikett vom "letzten Diktator Europas", das die frühere US-Außenministerin Condoleezza Rice dem heute 56-Jährigen verpasste, klebt bis heute an ihm. Der mächtige Geheimdienst verbreitet noch immer unter dem Namen KGB Angst und Schrecken, die Todesstrafe wird noch immer vollstreckt und in den Staatsbetrieben ist weiterhin ein Vizedirektor für die "Ideologie" zuständig. Bis heute spricht Lukaschenko vor allem Russisch - wer die weißrussische Sprache verwendet, gilt als Anhänger der Opposition.

Um weitere fünf Jahre an der Macht bleiben zu können, ließ "Väterchen" Lukaschenko die Verfassung ändern. Manche Weißrussen fürchten, Lukaschenko wolle solange regieren, bis sein unehelicher, sechs Jahre alter Sohn Kolja seine Nachfolge antreten kann. Lukaschenko ließ unlängst sogar sein Geburtsdatum vom 30. auf den 31. August ändern, um mit Kolja gemeinsam feiern zu können.

Wie stark wurde manipuliert?

Members of local election committee empty a ballot box after polls closed at a polling station in Minsk

In einem Wahllokal in Minsk werden die Stimmen ausgezählt. Allerdings waren schätzungsweise 40 Prozent der Stimmzettel bereits vor Sonntag in den Urnen gelandet - eine gute Möglichkeit, das Ergebnis zu manipulieren.

(Foto: REUTERS)

Diese Frage lässt sich kaum seriös beantworten. Studenten, Soldaten und Staatsbeamte müssen in Weißrussland vorab ihre Stimme abgeben - Normalbürger können dies tun. Schätzungsweise 40 Prozent der Stimmen waren vor Sonntag in den Urnen gelandet. Hier bieten sich gute Gelegenheiten für Manipulationen. Zudem durften keine Vertreter der Opposition die Arbeit der Wahlkommission beobachten.

Auch die ausländischen Beobachter sind sich keineswegs einig. Der OSZE-Wahlbeobachter Georg Schirmbeck konnte die Abstimmungen am Sonntag verfolgen und bilanzierte in der Neuen Osnabrücker Zeitung: "Die Vorwürfe der Opposition, Lukaschenko habe Wahlbetrug begangenen, kann ich - so leid es mir tut - so nicht bestätigen." Der CDU-Bundestagsabgeordnete sieht Weißrussland "auf dem richtigen Weg, aber noch lange nicht am Ziel". Hingegen kritisierte Marieluise Beck von den Grünen, die schweren demokratischen Defizite bei diesen Wahlen seien "nicht zu übersehen".

Noch klarer äußert sich Stephan Malerius von der Konrad-Adenauer-Stiftung. Er bezweifelt, dass die Wahlkommission überhaupt ihrer Aufgabe nachgekommen ist: "Fakt ist, die Stimmen wurden nicht ausgezählt."

Im Deutschlandfunk sagte der Slawist, er halte es für wenig produktiv, darüber zu spekulieren, wie viele Stimmen Lukaschenko in freien Wahlen erhalten hätte. Malerius konstatiert ein "großes Protestpotential in der Bevölkerung" und stellt fest: "Wir konnten hier Wahlen beobachten, die nicht demokratisch abgelaufen sind."

Welchen Spielraum Lukaschenko bei früheren Abstimmungen hatte, verriet er 2009 der russischen Zeitung Iswestija: Er habe sich 2006 unbeliebter machen lassen. "Damals haben 93 Prozent für mich gestimmt. Ich habe dann ein Ergebnis von etwa 80 Prozent angeordnet", sagte er der Zeitung. Er begründete diesen Schritt damit, dass es eine "psychologische Grenze von 90 Prozent" bei Wahlen gebe. Also habe man 82,6 Prozent als offizielles Endergebnis für den Amtsinhaber genannt.

Warum waren dieses Mal mehrere Gegenkandidaten zugelassen?

Presidential candidate Vladimir Neklyayev lies on a street after he was beaten during a rally in Minsk

Wladimir Nekljajew trat als Oppositionskandidat bei den Präsidentschaftswahlen an und wurde nun in Minsk verpügelt.

(Foto: REUTERS)

Im Vergleich zu den vergangenen Abstimmungen war die Präsidentschaftswahl 2010 wirklich freier: Neun Kandidaten traten gegen den Amtsinhaber an, diese konnten in der Hauptstadt Minsk sowie in der Region Kundgebungen abhalten und sogar im staatlich kontrollierten Radio und Fernsehen ihre Programme vorstellen. Auch eine TV-Debatte der Kandidaten wurde gesendet - allerdings nahm Lukaschenko daran nicht teil.

Hinter dem vermeintlichen Tauwetter steht ein klares Kalkül: Lukaschenko will das Image von Weißrussland in Europa verbessern und künftig engere Bande mit der EU knüpfen. "Unser Präsident will ein international anerkannter Staatschef werden", analysiert der Oppositionelle Anatoli Lebedko. Lukaschenko kann sich die Lockerung leisten, denn er hat weiter alles unter Kontrolle und versorgt seine Klientel: Rechtzeitig zur Wahl wurden die Renten erhöht, auch die Gehälter der Ärzte und Lehrer stiegen. So soll die Angst gemindert werden, dass wegen des sich verschlechternden Verhältnisses zu Moskau die weißrussische Volkswirtschaft leiden könnte.

Warum hat sich das Verhältnis zu Russland verschlechtert?

Russia's President Medvedev and his Belarussian counterpart Lukashenko attend a news conference during a summit of the Customs Union between Russia, Kazakhstan and Belarus in Moscow's Kremlin

Lächeln für die Kameras: Zwischen Alexander Lukaschenko (l.) und Russlands Präsidenten Dmitrij Medwedjew herrschte zuletzt eher frostige Stimmung.

(Foto: REUTERS)

Dass Moskau Öl und Gas nicht mehr zu günstigen Preisen nach Weißrussland weiterleitet, hat empfindliche Folgen: Ein entscheidender Teil der Staatseinnahmen von Belarus wurde bisher dadurch generiert, dass Rohstoffe billig importiert, im eigenen Land veredelt und teuer exportiert wurden. So wurde genug Geld in die Kassen gespült, um den Bürgern einen bescheidenen Wohlstand zu garantieren und Rentner gut zu versorgen. Verglichen mit der Ukraine geht es den Menschen in Belarus besser.

Lange war Lukaschenko der engste Verbündete Moskaus und träumte davon, als Herrscher der "Union von Russland und Weißrussland" im Kreml residieren zu können: Turnusmäßig würden sich die Präsidenten beider Länder abwechseln, so sein Kalkül. Wladimir Putin machte ihm jedoch schnell klar, dass aus diesen Hoffnungen nichts werden könne. Nach der Orangefarbenen Revolution in der Ukraine und dem Machtwechsel in Georgien wollte Lukaschenko vor allem "eine farbige Revolution vereiteln", wie der unabhängige Journalist Andrey Dynko schreibt. In dieser Frage dachte man in Moskau kaum anders als in Minsk.

Doch dann wurde das Verhältnis frostiger: Weißrussland unterließ es Russland im Sommer 2008 im Krieg mit Georgien rhetorisch zu unterstützen beziehungsweise Abchasien und Südossetien anzuerkennen. Wie unbeliebt Lukaschenko in Moskau ist, zeigte eine PR-Kampagne des russischen Staatsfernsehens, das auch die 9,5 Millionen Weißrussen sehen können. In diesen Sendungen bezeichnete man ihn gar als "psychisch abnorm" und Russlands Präsident Medwedjew wurde unlängst mit den Worten zitiert, Lukaschenko überschreite die Grenzen des "grundlegenden menschlichen Anstands".

Zum direkten Bruch der einstigen Bruderstaaten wird es aber wohl nicht kommen: Kurz vor der Wahl wurde symbolträchtig ein neues Abkommen über Rohstofflieferungen unterschrieben und das Wahlergebnis wird Moskau wohl auch anerkennen.

Was macht die Europäische Union?

Weißrussland: Präsident Lukaschenko: Eine junge Demonstrantin wird in Minsk von der Polizei abgeführt. An solche Bilder werden sich die Außenminister der EU erinnern, wenn sie über eine Annäherung Weißrusslands an die Union entscheiden.

Eine junge Demonstrantin wird in Minsk von der Polizei abgeführt. An solche Bilder werden sich die Außenminister der EU erinnern, wenn sie über eine Annäherung Weißrusslands an die Union entscheiden.

(Foto: AP)

Im Vorfeld der Abstimmung waren mehrere Spitzenpolitiker der EU nach Minsk gereist: Außenminister Westerwelle traf Lukaschenko gemeinsam mit seinem polnischen Amtskollegen Radoslaw Sikorski zu Gesprächen. Dieser hatte für den Fall freier Wahlen drei Milliarden Euro Hilfsgelder in Aussicht gestellt, während der FDP-Chef die Wahl als "Lackmustest für die Demokratie" des osteuropäischen Landes bezeichnet hatte.

Für Jerzy Busek, den Präsidenten des Europaparlaments, steht fest: Belarus ist durchgefallen. "Dieser Vorfall wirft das schlechtmöglichste Licht auf die Präsidentschaftswahlen", erklärte der Pole in Brüssel. Die Übergriffe der Sicherheitskräfte bezeichnete Buzek als "schändlich und empörend". Westerwelle teilte mit, er sei "sehr besorgt" und äußerte sich auch zum Vorwurf der Wahlmanipulation: "Nachdem wir die weißrussische Führung im Vorfeld nachdrücklich auf die Bedeutung der Einhaltung internationaler Standards bei Wahlen hingewiesen haben, werden wir die bevorstehende OSZE-Einschätzung zum Wahlverlauf sehr genau daraufhin prüfen."

Es sind vor allem die Nachbarländer Polen, Litauen und Lettland, die dafür werben, Weißrussland enger an die Europäische Union zu binden. Ähnlich sieht das der Weißrussland-Experte der CDU-Bundestagsfraktion, Schirmbeck: "Wir sollten von Lukaschenko nicht nur weitere Reformen einfordern, sondern Weißrussland bei dem schwierigen Transformationsprozess aktiv unterstützen." Für Lukaschenko hätte eine Annäherung an die EU viele Vorteile: Seit 2006 darf der Präsident ebenso wie 30 andere Spitzenpolitiker nicht in die 27 Mitgliedsstaaten einreisen.

Um das Image des Landes aufzubessern, empfing der weißrussische Präsident zuletzt mehrere westliche Journalisten in seiner Residenz in Minsk - darunter war auch ein Korrespondent der Süddeutschen Zeitung. Auf einer Investorenkonferenz in Frankfurt warb Weißrusslands Wirtschaftsminister um ausländisches Kapital. Prinzipiell sei man bereit, einige Staatsbetriebe zu privatisieren, heißt es in Minsk. Es besteht kein Zweifel: An westlichem Know-how ist die weißrussische Elite sehr interessiert.

Wie geht es weiter?

Belarussian schoolchildren salute during the Pioneer youth organisation's anniversary at Victory square in Minsk

In manchen Bereichen gleicht Weißrussland noch der Sowjetunion: Diese beiden Mädchen machen bei der Jugendorganisation der Pioniere mit. Wann in der ehemaligen Sowjetrepublik freie Wahlen stattfinden werden, steht in den Sternen.

(Foto: REUTERS)

Die Pessimisten rechnen nicht damit, dass sich Weißrussland zu einem demokratischeren Land entwickeln werde. Die junge Elite gehe zum Studium ins Ausland und kehre oft nicht zurück, weil es in Großbritannien, Deutschland oder Kanada bessere Karrierechancen gebe.

Allein deswegen werde es weiter nur sporadische Proteste geben - etwa als Reaktion auf die Wahlmanipulation. Zudem ist die Opposition ebenso zersplittert wie zerstritten: Man konnte sich nicht auf einen oder zwei Gegenkandidaten einigen, die Lukaschenko herausfordern.

Optimistischere Stimmen hoffen darauf, dass sich das Land mittelfristig verändern werde: Die lähmende Angst sei von den Weißrussen gefallen, bilanziert der Oppositionskandidat Alexej Michalewitsch im Tagesspiegel. "40.000 Kilometer habe ich zurückgelegt, drei Treffen mit Wählern pro Tag, so frei konnte ich noch nie in der Öffentlichkeit auftreten", sagt der 35-Jährige im Rückblick auf die vergangenen zwei Monate.

Auch Stephan Malerius von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung erkennt Positives: "Die Menschen haben in diesen drei Monaten gelernt, Angst abzulegen und auch offen aufzutreten, zu sagen, ich bin gegen Lukaschenko und ich bin für diesen oder jenen Kandidaten." Im Deutschlandfunk verwies der Slawist auf den relativ großen "Überdruss und die Müdigkeit gegenüber Lukaschenko".

Dies könne allerdings auch dazu führen, dass der Alleinherrscher Lukaschenko weiter alle Zügel in der Hand halten und freie, transparente Wahlen verhindern wird - denn der Machtmensch weiß genau, dass diese seiner Herrschaft schließlich ein Ende setzen würden.

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