UK-Weihnachts-Charts:Stille Nacht

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Mit "Cage Against The Machine" gegen die Casting-Show-Marionette: Warum an der Spitze der britischen Weihnachts-Charts vier Minuten lang Ruhe herrschen soll.

Jens-Christian Rabe

Wir hier im Feuilleton fühlen uns zwar grundsätzlich nicht für schlechtgelaunte Zivilisationskritik zuständig, befürworten vielmehr unter anderem Lärm jeder Art, heute müssen wir allerdings eine Ausnahme machen: Wir bekennen uns zu "Cage Against The Machine".

Wenn es nach den Organisatoren und Unterstützern der Twitter- und Facebook- Kampagne geht, soll an Weihnachten John Cages berühmte Avantgarde-Komposition "4'33"" auf dem ersten Platz der britischen Single-Hitparade stehen. Und nicht schon wieder irgendein fader Song irgendeiner Casting-Show-Marionette, wie sie in der englischsprachigen Welt seit Jahren der Musik- und Fernsehproduzent Simon Cowell lanciert.

In "4'33"" wird genau vier Minuten und dreiunddreißig Sekunden lang kein einziger Ton gespielt. Gekauft werden soll die Popsingle-Version der dreisätzigen, extrem stillen Komposition, die anlässlich der Aktion vor kurzem mit einer Reihe von Indiepop-Stars in London aufgenommen wurde.

Das Video der Session sollte man sich im Netz unbedingt ansehen. Nichtstun kann eine schwere Prüfung sein. Mit den Rechteinhabern ist vereinbart, dass sämtliche Einnahmen wohltätigen Zwecken gestiftet werden.

So unwahrscheinlich wie sie klingt, ist die Sache dabei nicht. Im vergangenen Jahr riefen Facebook-Aktivisten vor Weihnachten zum Download des 1992 erstmals veröffentlichten Songs "Killing In The Name" der amerikanischen Rockband Rage Against The Machine auf - und triumphierten. Der Song wurde schließlich 500.000 Mal gekauft und verwies pünktlich zum Fest den gecasteten Schmusebarden Joe McElderry auf den zweiten Platz.

In diesem Jahr gilt es, das Cowell-Geschöpf Matt Cardle und seinen Song "When We Collide" vom ersten Platz zu kegeln. Auf der Facebook- Seite der Kampagne haben bislang 90.000 Menschen ihre Unterstützung signalisiert.

Wie viele Cages Stück, dass sich im Moment auf Platz 21 der Charts befindet, tatsächlich gekauft haben werden, erfährt die Welt am kommenden Samstag, wenn in England die neuen Charts veröffentlicht werden. Mehr Chancen auf Erfolg dürfte die Konkurrenz-Aktion haben, durch die eine alte Surf-Hymne der Trashmen, "Surfin' Bird", auf Platz eins bugsiert werden soll. Sie ist schon auf dem dritten Platz der aktuellen britischen Single-Charts.

Die deutschen Single-Charts leiden derzeit weniger stark unter Talent-Show-Sängern. Die besten Chancen auf den ersten Platz an Weihnachten hat die herzerwärmende Version des Harold-Arlen-Klassikers "Over The Rainbow" des verstorbenen hawaiianischen Sängers und Ukulele-Virtuosen Israel Kamakawiwo'ole. Vielleicht machen aber auch die Black Eyed Peas mit ihrem Robo-Schunkler "The Time (Dirty Bit)" das Rennen.

© SZ vom 21.12.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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