Italien:13 Millionen Perlen pro Flasche

In der Franciacorta gärt es erst seit 40 Jahren, doch ihren Aufstieg betreibt die junge Weinregion zielsicher: Wettbewerber greift sie mit strengen Qualitätsvorgaben an.

U. Sauer

Nein, sagt Maurizio Zanella, bequem ist die Position der Winzer aus der Franciacorta nicht. Auf dem umkämpften Weinmarkt müssen sich die Anbieter aus der italienischen Gegend am Rande der Alpen zwischen dem populären Prosecco und dem ehrwürdigen Champagner behaupten. Der perlende Prosecco aus dem benachbarten Venetien sei frischer, einfacher zu konsumieren. Der französische Champagner dagegen trage den klangvolleren Namen, räumt Zanella ein. Dennoch macht der Gründer der Kellerei Ca' del Bosco einen hochzufriedenen Eindruck.

A seasonal worker cuts Chardonnay wine grapes in Arzelle vineyard in Franciacorta

Weinernte: Die Gegend ist der Aufsteiger unter Italiens Weinregionen.

(Foto: REUTERS)

Er sagt: "Wir haben ein Wunder vollbracht." Zanella ist ein Pionier der Franciacorta. Sie erstreckt sich südlich des Iseo-Sees bis an die Grenzen der lombardischen Römerstadt Brescia. Der Begriff steht zugleich für das Anbaugebiet und für seinen durch Flaschengärung erzeugten, fein schäumenden Wein. Wie die Champagne und ihr gleichnamiger Tropfen. Auch die vom großen Bruder aus Frankreich erzielten Preise erreichen Spitzenetikette aus Norditalien bereits. Darauf ist Zanella stolz, zumal die Franciacorta noch ein junges Anbaugebiet ist.

Die fabelhafte Karriere des schäumenden Franciacorta und die Erfolgsgeschichte des 54-jährigen Mailänders sind verwoben. Das Waldhaus, das dem Gut Ca' del Bosco den Namen gibt, steht noch. 1964 erwarb es die Mutter als Landsitz, um die Kinder am Wochenende aus dem Mailänder Industriemief zu holen. Ein kleiner Weinberg gehörte zu dem zwischen Bäumen versteckten Haus. Die verwunschene Märchenszenerie ist inzwischen einer Hightech-Kellerei gewichen, der Kastanienwald machte gepflegten Weingärten Platz.

Statt in die Spedition seiner Familie einzusteigen, entdeckte der junge Zanella den Spaß am Weinbau. Die Marke Franciacorta existierte damals noch nicht, die romantische Gegend war eher für die Schönheit ihrer Villen und Landschaft bekannt als für ihre Weine. An den heute mit Weingärten überzogenen Hügeln schätzte man die mittelalterlichen Abteien und Burgen, die Paläste des Brescianer Adels, der hier seine Ländereien und Sommerresidenzen besaß, den fischreichen Iseo-See als blauen Farbtupfer. Zwar hatten elf Winzer schon 1968 die erste Flaschengärung namens "Pinot di Franciacorta" abgefüllt. Doch erst 1978 schrieb Ca' del Bosco als eine der ersten Kellereien Franciacorta aufs Etikett. Heute ist Zanella mit einer Jahresproduktion von 1,1 Millionen Flaschen mit der Nachbarkellerei Bellavista einer der beiden Großerzeuger des Weines.

"Franciacorta ist heute chic"

Seine Rebfläche wuchs von 30 Hektar in den neunziger Jahren auf 150 Hektar. Zugleich führt der Winzer als Präsident des Franciacorta-Konsortiums die inzwischen 100 Kellereien der Gegend an. Zanella ist damit der Boss von Italiens jüngstem und trendigsten Anbaugebiet. Der Erfindung des Schaumweins aus der Franciacorta kann sich aber das Haus Berlucchi rühmen. 1961 begann Guido Berlucchi in der Burg von Borgonato mit der Spumante-Produktion.

Erstmals erwähnt wurde der Name Franzacurta 1277 in den Annalen der Gemeinde Brescia. 1991 ließ man den Markennamen Franciacorta für Wein registrieren. Seit 1995 führt der Perlwein die kontrollierte und garantierte Herkunftsbezeichnung DOCG. Die Produktion schwoll seither von zwei Millionen auf mehr als zehn Millionen Flaschen an. Nicht einmal das Krisenjahr 2009, als die Rezession den Champagner-Absatz dezimierte, warf die Rivalen aus Italien großartig zurück. Nach einem Rückgang um zwei Prozent zog das Geschäft 2010 wieder zweistellig an. Man habe Glück, denn Bläschen lägen im Trend, sagt Zanella. "Franciacorta ist heute chic." Noch trinken die Italiener ihn selbst.

Das soll sich ändern, denn das Angebot wird wachsen. Die Anbaufläche nahm in zehn Jahren um 170 Prozent auf 2479 Hektar zu. Wenn alle angepflanzten Weinreben in sechs Jahren voll produzieren, müssen die Winzer 16 Millionen Flaschen platzieren. Derzeit verkaufen sie nur zwölf Prozent des Weins ins Ausland. Wenig gegenüber den 60 Prozent, die im Schnitt von italienischen Qualitätsweinen exportiert werden.

Franciacorta ist ein Musterfall der Renaissance des italienischen Weins. Nach der Methanol-Panscherei, die 1986 23 Menschen umgebracht hat, durchlebte die Branche eine Katharsis. Das Ergebnis ist beachtlich: Die italienische Weinproduktion ging in 24 Jahren um 40 Prozent zurück, gleichzeitig stieg der Umsatz um 300 Prozent. Klasse statt Masse. Der Franciacorta mit seiner cremigen Schaumkrone verkörpert die Besinnung auf Qualität. Er wird aus Chardonnay-Trauben und Pinot Nero oder Pinot Bianco gekeltert. "Wir gaben uns das strengste Reglement der Welt", sagt Zanella. Nirgendwo sonst dürfen weniger Trauben geerntet werden als in der Franciacorta. Den Ertrag begrenzte das Konsortium in Erbusco auf 10000 Kilo Trauben pro Hektar. Die Reifezeit auf der Hefe dauert mindestens 18 Monate. In der Zeit bringt man den Brut durch die zweite Gärung in der Flasche zum Schäumen.

Vittorio Moretti ist einer der herausragenden Namen in der Franciacorta. Wie die Mehrheit der Winzer hier ist der Gründer der Kellerei Bellavista kein geborener Weinbauer. "Ich habe als Hobby angefangen, Wein zu machen", sagt der Bauunternehmer. Er begann sein Abenteuer 1977. Moretti glaubte früh an die Karriere des ins Grünliche schillernden, strohgelben Franciacorta, in dem feinste Perlchen tanzen - 13 Millionen pro Flasche. Das Mikroklima am Alpenfuß gilt als ideal. Der Iseo-See mildert die Nordwinde, der Berg Monte Orfeo im Süden stoppt die feuchte Sommerhitze aus der Po-Ebene, sagt man bei Bellavista. Franciacorta habe darum wenig Säure, sei gut verträglich und weich am Gaumen.

Ihren Aufstieg hat die junge Weinregion zielsicher betrieben. Unaufhaltsam schoben sich die Winzer unter die Spitzenerzeuger Italiens. Erstaunlich für das individualistische Italien ist, dass sie sich in einer konzertierten Aktion bemühten, ihr Niveau zu heben. Ein Qualitätswettlauf der Kellereien begann. "Hier schaffen wir es, ein System zu bilden", sagt Winzer-Chef Zanella. Von Vorteil sei, dass es keine Genossenschaften gebe. Jedes Weingut verfügt über eigene Reben, einen eigenen Keller und eine eigene Abfüllung. Diese Gemeinsamkeit verleiht den Winzern jene Geschlossenheit, die dem Wachstum förderlich ist. Das Anbaugebiet lebt von seinen starken Persönlichkeiten und frischen Ideen.

So wie in der Kellerei Ferghettina in Corte Franca, wo Laura Gatti in Leggins und Turnschuhen herumführt. "Wir tanzen aus der Reihe", sagt sie strahlend. Die junge Agronomin präsentiert den Prototyp einer kantigen Flasche. Die Idee dazu war ihrem noch studierenden Bruder in einer Ökonomie-Vorlesung gekommen. Im April bringt die Familie Gatti ihren Jahrgangswein Franciacorta Brut Millesimato in der neuen Flasche auf den Markt. Denn die Kanten, zunächst als ästhetische Revolution gedacht, hielten eine Überraschung bereit. "Die Hefe lagert sich auf einer größeren Oberfläche ab, das fördert die Qualität", sagt Gatti. Ihr Vater Roberto Gatti hat Ferghettina 1991 gegründet, nach vielen Jahren als Kellermeister eines großen Franciacorta-Gutes. "Papa hat uns seine Leidenschaft weitergegeben und lässt uns viel Raum", erzählt die Winzertochter.

Die Farbe der Frauen

Landschaftlich besonders reizvoll liegt das Gut Bersi Serlini, das seit 1886 in Familienbesitz ist. Der Großvater produzierte noch Rotwein, Vater Arturo stieg in den siebziger Jahren auf die Flaschengärung um. Von Traditionalismus ist wenig zu spüren. Maddalena Bersi Serlini, 42, ist eine von zwölf Winzerinnen der Franciacorta. Sie übernahm die Führung der Kellerei zusammen mit ihrer Schwester Chiara. Die beiden brachten vor acht Jahren Farbe auf die Etiketten in den vornehmen Franciacorta-Regalen. "Das Bunte ist dem Wein, den wir Frauen machen, näher. Da steckt viel Energie drin", sagt Bersi Serlini, die in Padua Internationale Beziehungen studiert hat.

Doch nicht nur das Etikett ist bunt. Die Schwestern ließen die zum Gutshaus gehörende Mönchsherberge aus dem 12.Jahrhundert restaurieren und ergänzten den Originalkeller aus dem 15. Jahrhundert durch extravagante Glas- und Holzbauten. Dies sei ihre Visitenkarte, sagt die Chefin. Mit einer Jahresproduktion von 220.000 Flaschen hat das Gut Bersi Serlini eine typische Kellereigröße für die Franciacorta. "Im Vergleich zu den Champagnerhäusern sind wir Winzlinge", erklärt Präsident Zanella. Rund um das französische Reims bringt ein normaler Hersteller zwei Millionen Flaschen auf den Markt.

Bersi Serlini wagte sich vor zwei Jahren dennoch ins Ausland. Der Franciacorta sei inzwischen bekannter geworden, begründet die Chefin den Schritt. Mühsam bleibe die Markterweiterung dennoch. "Du hast nicht den Ruf des Champagner", sagt sie, "und nicht den Preis des Prosecco."

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