Ingolstadt:Wohnungs-Odyssee eines Opfers von KZ-Arzt Mengele

Hugo Höllenreiner ist ein Opfer des KZ-Arztes Josef Mengele. Jetzt sucht er für sich und seine Familie eine Sozialwohnung - vergeblich.

Viktoria Großmann

Im August 2010 bekommt Hugo Höllenreiner einen erfreulichen Brief. Darin heißt es: "Sie haben sich für eine Mietwohnung in Ingolstadt vormerken lassen, nun haben wir für Sie die passende Wohnung." Der Brief kommt vom katholischen Sankt Gundekar-Werk Eichstätt, das derzeit in Ingolstadt-Hollerstauden 142 Wohnungen baut, 127 davon sind Sozialwohnungen.

Ingolstadt: Hugo Höllenreiner sucht nach einer Sozialwohnung in Ingostadt - vergeblich.

Hugo Höllenreiner sucht nach einer Sozialwohnung in Ingostadt - vergeblich.

(Foto: Robert Haas)

Was wie eine Wohnungszusage klang, ist jedoch, so Geschäftsführer Peter-Stephan Englert vom St. Gundekar-Werk, nur "ein Werbebrief", der an alle 500 Vorgemerkten verschickt wurde - personalisiert mit Namen und Adresse. Die Werbung scheint nötig: Denn die ersten Wohnungen sollen bereits im März 2011 bezugsfertig sein, Ende des Jahres waren aber erst 45 Mietverträge geschlossen. Doch für Hugo Höllenreiner ist dort keine Wohnung mehr frei.

Höllenreiner ist 77 Jahre alt, er wurde 1943 mit seiner Familie - sie sind Sinti - ins Konzentrationslager Auschwitz deportiert. Höllenreiner musste dort "Versuche" des berüchtigten KZ-Arztes Josef Mengele über sich ergehen lassen. Unter den Folgen leidet er körperlich und psychisch bis heute; er gilt als schwerbehindert.

Man sieht es ihm nicht an: Höllenreiner ist ein stattlicher Mann mit schlohweißem Haar, der im gepflegten hellgrauen Dreiteiler vor die Tür geht.Im November erhielt er einen weiteren Brief: "Wir bedauern, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir Sie bei der Vergabe unserer Wohnungen nicht berücksichtigen konnten." Vorher war seiner Nichte, die bei ihm lebt, nach eigener Aussage eine Wohnung mündlich zugesagt worden.

Peter-Stephan Englert, der Geschäftsführer des St. Gundekar-Werks und Sprecher des Katholischen Wohnungs- und Siedlungsdienstes Bayern, sagt dazu auf Anfrage: "Herr Höllenreiner ist 77, da sollte er sich besser beim Betreuten Wohnen bewerben."

Höllenreiner reist seit den neunziger Jahren als Zeitzeuge durch Deutschland. Er ist viel unterwegs, spricht regelmäßig auf Gedenkveranstaltungen in Dachau, Auschwitz-Birkenau und Bergen-Belsen. Seine Lebensgeschichte erschien als Buch und erhielt den Jugendliteraturpreis. Seine Geschichte erzählt er auch an Ingolstädter Schulen. Dort lebt er zusammen mit seiner Nichte und seiner Großnichte in einer Wohnung, die ihm mittlerweile zu teuer wird. Bereits Ende 2009 meldet er sich deshalb beim St. Gundekar-Werk. Im November 2010 erhält seine Nichte die Auskunft, es seien nun keine Wohnungen mehr frei.

"Das ist eine unschöne Geschichte", sagt Geschäftsführer Englert. Und er sagt auch, dass er befürchte, dass es bei den Höllenreiners "mit dem Geld nicht hinhaut". Wenn einmal ein Gehalt wegfalle, weil einer ein Pflegefall würde, müsse das Amt eine kleinere, günstigere Wohnung anweisen, und die Mieter müssten erneut umziehen. "Da wollen wir auch unsere Mieter schützen." Zudem verweist Englert auf Höllenreiners Alter, denn die Wohnungen seien nicht für Rollstuhlfahrer oder Pflegebedürftige geeignet.

Höllenreiner, seine Nichte Silvana Lauenburger und deren Tochter haben einen Wohnberechtigungsschein. Den, so Lauenburger, legte sie dem St. Gundekar-Werk vor, das ihr daraufhin eine Vier-Zimmer-Wohnung zeigt und anbietet. Später heißt es dort, die Wohnung sei zu groß für die drei Personen, sie entspreche nicht den Vorgaben des Wohnberechtigungsscheins. "Ich habe dann nach einer Drei-Zimmer-Wohnung gefragt, aber die Vermittlerin hat gesagt, die sind alle schon weg."

Eine Anlaufstelle für Sinti in Not gibt es nicht

Lauenburger fühlt sich diskriminiert, glaubt, sie bekomme die Wohnung nur deshalb nicht, weil sie Sinti seien. Auch ihre Tochter und ihr Enkel haben beim St. Gundekar-Werk keine Wohnung bekommen.

Eigene Anlaufstellen für Sinti in sozialen Nöten, wie in den großen Städten Nürnberg und München, gibt es in Ingolstadt nicht. Silvana Lauenburger hat sich deshalb, so sagt sie, an Ingolstadts Oberbürgermeister Andreas Lehmann gewandt. Dieser hatte einmal ihrem Onkel seinen Respekt erwiesen, als er ihn im Krankenhaus besuchte. Bei ihrem Anruf sei sie jedoch im Vorzimmer abgewiesen worden.

"Diskriminierung gibt es bei uns nicht", sagt OB Lehmann und bezieht sich dabei auf den städtischen sozialen Wohnungsbau. Auch das St. Gundekar-Werk hat im September eine freiwillige Selbstverpflichtung gegen Diskriminierung unterzeichnet.

Im Gespräch über die Wohnanlage in Ingolstadt-Hollerstauden sagt Geschäftsführer Englert, man müsse schon auf die Mieterauswahl achten. Dafür habe das Werk eine freie Mitarbeiterin, "die hat ein Händchen für die Mieterauswahl". Denn das neuartige automatische Belüftungskonzept sei nicht für jedermann geeignet. Die Wohnungen werden als "energieeffizienter Wohnungsbau" staatlich gefördert. Wem das zu modern ist, dem biete man eine herkömmliche Wohnung an, "wir sind da flexibel". Höllenreiner und seiner Familie ist aber keine Alternative angeboten worden.

Der Soziale Wohnungsbau wird vom Innenministerium finanziert. Eine Stelle, die die Vergabe der Sozialwohnungen überpüft, gibt es hier nicht. Wer sich diskriminiert fühlt, erhält Hilfe bei der Antidiskriminierungsstelle in Berlin. Dass Wohnungssuchende dort anrufen, kommt öfter vor, sagt Jens Büttner von der Antidiskriminierungsstelle. Insbesondere Menschen mit einem ausländisch klingenden Namen oder homosexuelle Paare fühlten sich auf dem Wohnungsmarkt benachteiligt.

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