Studie: Soziale Gerechtigkeit:Schlechte Noten für den Sozialstaat

Eine großangelegte Studie zeigt: Bei der Gerechtigkeit ist der deutsche Sozialstaat nur Mittelmaß. Besonders ungerecht sind die Bildungschancen verteilt.

Tanjev Schultz

Deutschland ist eine vergleichsweise ungerechte Gesellschaft. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Bertelsmann-Stiftung, die 31 Industriestaaten untersucht hat. Deutschland habe bei der sozialen Gerechtigkeit "einigen Nachholbedarf", schreiben die Autoren.

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Nicht immer ist die Armut so offensichtlich wie bei diesem Obdachlosen in Berlin: Nach dem Armuts-Indikator der Bertelsmann-Studie lebt jedes neunte Kind in Deutschland unterhalb der Armutsgrenze. In Dänemark ist es nur eines von 37.

(Foto: dapd)

Mit Rang 15 landet Deutschland in der Gesamtwertung nur im Mittelfeld. Besorgniserregend sei die hohe Kinderarmut. Außerdem hänge der Schulerfolg von Jugendlichen zu stark von der sozialen Herkunft ab. Und trotz Verbesserungen auf dem Arbeitsmarkt hätten es Geringqualifizierte schwer, einen Job zu finden. Der DGB sprach von einem "Armutszeugnis" für Deutschland.

Am besten schneiden in der Studie die nordeuropäischen Länder ab, gefolgt von den Niederlanden und der Schweiz. Am ungerechtesten gehe es in Mexiko, Griechenland und der Türkei zu. In die Analyse sind mehr als 20 Indikatoren aus fünf Bereichen eingeflossen: Armut, Bildung, Arbeitsmarkt, sozialer Zusammenhalt und Generationengerechtigkeit. Außer statistischen Daten hat die Stiftung Expertenurteile herangezogen.

Vergleichsweise gute Noten bekommt Deutschland für die Umweltpolitik und die Schuldenbremse, die dazu beitrage, dass nachfolgende Generationen nicht übermäßig belastet würden. Immer mehr Deutsche seien jedoch von Armut betroffen. In Dänemark falle nur eines von 37 Kindern unter die Armutsgrenze, in Deutschland jedes neunte Kind. In den USA gilt jedes fünfte Kind als arm. Im "Gerechtigkeits-Index" rangieren die USA auf Platz 25 - klar hinter Deutschland. Die Wissenschaftler stützen sich auf einen Armutsbegriff, der den Wohlstand eines Landes zugrunde legt: Als arm gelten Haushalte, die mit weniger als der Hälfte des mittleren Einkommens auskommen müssen (jenem Wert, bei dem 50 Prozent aller Haushalte darüber und 50 Prozent darunter liegen).

Hypothek für den Sozialstaat

Sehr viele 18- bis 25-Jährige sind nach dieser Definition in Deutschland ebenfalls arm. Zum Teil hängt dies zwar mit langen Ausbildungszeiten zusammen. Dennoch warnt die Bertelsmann-Stiftung, "die soziale Schieflage zulasten künftiger Generationen könnte sich als schwere Hypothek für die Zukunft des deutschen Sozialstaats erweisen".

Trotz verbesserter Pisa-Werte schafft Deutschland auch beim Bildungssystem nur einen Platz im unteren Mittelfeld. Die Investitionen in die vorschulische Förderung seien "stark ausbaufähig". Gemessen an der Wirtschaftskraft, geben Länder wie Island, Dänemark und Frankreich mehr Geld für frühkindliche Bildung aus als die Bundesrepublik.

Positiv wertet die Studie, dass Deutschland gut durch die Wirtschaftskrise gekommen sei. Dennoch erreicht die Bundesrepublik bei der Vermeidung von Langzeitarbeitslosigkeit nur den vorletzten Platz. Vorbildlich seien die Schweiz und Kanada. Die nordeuropäischen Staaten hätten ebenfalls Probleme. So gebe es in Schweden eine hohe Jugendarbeitslosigkeit. Allerdings haben die Länder im Norden weiterhin eine recht ausgeglichene Verteilung beim Einkommen.

Kluft zwischen Arm und Reich wird breiter

In Deutschland öffnet sich dagegen die Schere zwischen Arm und Reich. Die Ungleichverteilung habe innerhalb von zwei Jahrzehnten so stark zugenommen wie in kaum einem anderen Industriestaat. Auch bei der Integration von Migranten erhält Deutschland schlechte Noten. Dass der Staat trotz hoher Sozialausgaben insgesamt nur mäßig abschneidet, wertet die Bertelsmann-Stiftung als "Zeichen unzureichender sozialpolitischer Effektivität".

In der Politikwissenschaft gilt Deutschland als konservativer Wohlfahrtsstaat, in dem zwar viel Geld in die Familien fließt, die Bildungschancen aber sehr ungleich verteilt sind. Der Sozialwissenschaftler Klaus Hurrelmann spricht von einem "Status-Absicherungs-Wohlfahrtsstaat". Er fordert, die Förderung vor der Schule zu verstärken.

Der Präsident der Kultusministerkonferenz, Niedersachsens Bildungsminister Bernd Althusmann (CDU), sagte der SZ, jeder Euro, der in frühkindliche Bildung investiert werde, zahle sich später aus. Die Sprachförderung und der Übergang vom Kindergarten in die Grundschule müssten verbessert werden.

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