TV-Kritik: Anne Will zum Dioxin-Skandal:Zum Abgewöhnen

Dioxin im Ei, lebendes Rind am Haken - wie krank ist der Verbraucher? Anne Will diskutiert mit einem Sternekoch, einer Autorin und einem Teilzeit-Theologen über die Essgewohnheiten der Deutschen. Lecker ist das nicht.

Melanie Ahlemeier

Morgens Schinken, mittags einen Burger und abends Huhn - für den Sternekoch aus Hamburg ist die Sache klar. "Wir leben in einem Fleischwahn", analysiert Christian Rach. Einziger Ausweg? "Die Bilder zeigen!"

Anne Will bekommt neuen Sendeplatz - doch welchen?

Wurde während der Sendung immer wieder durch den ehemaligen Bundeslandwirtschaftsminister Funke beim Moderieren abgelöst: Anne Will.

(Foto: dpa)

"Die Bilder", um mit Rach zu sprechen, sind schwere Kost. Das noch lebende Rind - kopfüber am Haken im Schlachthof hängend - brüllt laut, weil in Todesangst. Die Betäubung mit dem Bolzenschussgerät hat nicht richtig hingehauen. Die Hühner? In enge Etagen-Käfige gepfercht, ohne Bewegungsmöglichkeit, ohne Tageslicht. Die Ferkel? Werden ohne Betäubung kastriert. Weil das Fleisch dann besser schmeckt. Der Verbraucher will es so.

Manch ein Zuschauer der ersten Anne-Will-Ausgabe im neuen Jahr dürfte sich angesichts der Filmaufnahmen wie bei einem schlechten Horrorfilm die Hände vor die Augen gehalten haben. Welches Leid ist der Mensch imstande den Tieren anzutun? "Dioxin im Frühstücksei - kein Respekt vor Mensch und Tier?", titelte die Will-Redaktion zum aktuellen Lebensmittelskandal. Doch was anfangs wie eine mehr oder weniger fröhlich vor sich dahinplätschernde Talkshow angefangen hat, entwickelt sich rasch zu einem Pro und Contra Massentierhaltung. Angesichts der drastischen Schlachtbilder verschlägt es selbst der ansonsten so redegewandten Will zeitweise die Sprache. Die Bilder, sagt sie, seien "schwer auszuhalten". Anders formuliert: Sie sind zum Abgewöhnen.

Klare Rollenverteilung bei den Gästen

Die Positionen der Gäste sind weit vor Beginn der Talksendung klar verteilt, neue Argumente kommen nicht auf den Tisch. Zur einen Seite von Moderatorin Anne Will neben Sternekoch Rach die sich ein Jahr lang vegetarisch ernährende Autorin Karen Duve ("Wir haben keine verantwortungsvollen Tierhalter") sowie der Teilzeit-Theologe und TV-Moderator in Personalunion, Peter Hahne ("Ich ekele mich davor, wenn ich nicht sicher sein kann, was drin ist" und "Die Schnäppchenjagd ist für Tiere gefährlicher als der Schlachter"). Zur anderen Seite der ehemalige Bundeslandwirtschaftsminister Karl-Heinz Funke (SPD) und der Geschäftsführer des Zentralverbands der Deutschen Geflügelwirtschaft, Thomas Janning.

Der Verbandsmann ("sperren, prüfen, freigeben") dürfte sein monatliches Gehalt derzeit als Schmerzensgeld begreifen. Er ist der Prügelknabe, der Buhmann. Janning fabuliert vom "vorbeugenden Verbraucherschutz", er lobt die rasche Sperrung der Höfe kurz nach Bekanntwerden des Dioxins im Futter ("Hier ist eine Vollbremsung hingelegt worden"). Und vor allem wird er im Laufe der Sendung zum Dauerstreitpartner Duves. Die Argumente des Lobbyisten sind dabei so schwach wie absehbar.

Auch der Landwirt aus Überzeugung, Funke, ist in seiner Argumentation leicht zu durchschauen. Und: Immer dann, wenn der einstige Minister mit Argumenten nicht mehr weiterkommt, nutzt er die Macht seiner Stimme - und redet so lange und so laut, bis die anderen Diskutanten einfach die Klappe halten. Das zu Beginn der Sendung an die prominenten Gäste gereichte und von Koch Rach aus einem Eiermix zubereitete Rührei würde der Landwirt zwar essen, wie er sagt. Auf das Hineinstopfen vor laufenden Kameras allerdings verzichtet Funke - weil er dann nicht mehr zu verstehen sei. Sagt er.

Weil Funke ein emotionaler Mann ist, wird er an diesem Fernsehabend häufiger laut. Manchmal sogar sehr laut. Und manchmal übernimmt der Lautsprecher ganz einfach die Aufgabe von Moderatorin Anne Will gleich mit. Funke lästert über die Krux von europaweiten Regelungen in Sachen Tierschutz und er lobt das Krisenmanagement von Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU). Apropos Aigner: Die schickt ihre Staatssekretärin Julia Klöckner via Live-Schalte aus Mainz in den Ring, anstatt selbst die Chance zu ergreifen, den Verbrauchern den neuerlichen Dioxin-Skandal zu erläutern. Schade eigentlich. Wofür braucht es dann die Ministerin?

1663 der zunächst gesperrten 4700 Betriebe seien noch immer abgeriegelt, berichtet die Staatssekretärin eloquent. Gefühlte elfeinhalb Minuten und nahezu ohne Unterbrechung redet die Ich-lauf-mich-schon-mal-für-die-Kurt-Beck-Nachfolge-in-Rheinland-Pfalz-warm-Frau. Die Live-Schalte meistert Klöckner nach anfänglich technischen Problemen problemlos. Sie philosophiert darüber, dass es richtig gewesen sei, so schnell so viele Betriebe zu sperren. "Es geht um den vorsorgenden Verbraucherschutz", leiert Klöckner wenig inspiriert herunter. Hat der Hühner-Verband schon mal darüber nachgedacht, Klöckner unter Vertrag zu nehmen? Also, falls das mit der Beck-Nachfolge-in-Rheinland-Pfalz nichts werden sollte, könnte das vielleicht eine Option sein ...

Gläserne Massentierhaltung

Den besten Vorschlag des Abends liefert TV-Mann Hahne. Kochen, backen - alles sei heutzutage gläsern, bilanziert der gebürtige Ostwestfale. "Nur die Massentierhaltung nicht." Und das Schlachten erst recht nicht.

Vielleicht aber ist das der einzige Weg. Die gläserne Massentierhaltung, vor allem aber das gläserne Massenschlachten der Nutztiere - um so den Verbrauchern das Schinken-Burger-Huhn-Programm abzugewöhnen.

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