Dioxin-Skandal:"Hier waren kriminelle Kräfte am Werk"

"Eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht": Jürgen Abraham, Präsident der Ernährungsindustrie, über die Folgen des Dioxin-Skandals, steigende Lebensmittelpreise - und den Druck der Discounter.

Silvia Liebrich

Verbraucher müssen sich darauf einstellen, dass Essen teurer wird. Nach den Preissenkungsrunden im Handel in den vergangenen zwei Jahren will die Lebensmittelindustrie in den nächsten Monaten höhere Preise durchsetzen. Jürgen Abraham, Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE), begründete dies im Gespräch mit der Süddeutschen Zeitung vor allem mit der starken Verteuerung von Agrarrohstoffen. "Wenn wir das weitergeben, müssten die Preise im Schnitt um drei bis fünf Prozent angehoben werden", sagte er am Donnerstag in Berlin, einen Tag vor Beginn der Grünen Woche. Er verwies darauf, dass sich etwa Weizen seit Mai um 90 Prozent verteuerte. Zucker und Kaffee legten um 70 Prozent beziehungsweise 100 Prozent zu. "Wir werden diese Erhöhungen weitergeben müssen, weil die Gewinnspannen für die Hersteller durch den hohen Wettbewerbsdruck ohnehin sehr niedrig sind." Der BVE-Präsident begrüßte den Vorstoß von Agrarministerin Ilse Aigner, die Spekulationen mit Agrarrohstoffen mit Hilfe der Politik eindämmen will.

Höhere Preise werden nach seinen Worten im Handel schwer durchsetzbar sein, weil fünf große Konzerne, darunter Aldi und Lidl, über 80 Prozent des Marktes kontrollierten. "Dem stehen 5500 Hersteller gegenüber, die meisten davon sind Mittelständler und kleinere Produzenten", ergänzte Abraham. Doch der Druck auf die Preise sei groß. "Das wissen auch die Händler, auch sie produzieren. Aldi stellt selbst Kaffee her, Lidl, Rewe und Edeka haben Fleischwerke."

Der Dioxin-Skandal und seine Folgen belasten die Lebensmittelwirtschaft erheblich. "Der Schaden tritt in erster Linie bei den Bauern auf. Er könnte bei weit über 100 Millionen Euro liegen", sagte er weiter. Der finanzielle Ausfall für die Fleischverarbeiter sei derzeit noch nicht genau zu beziffern. "Ein Problem ist, dass einige Länder von uns kein Schweinefleisch mehr kaufen. Es liegt deshalb derzeit viel Fleisch in den Kühlhäusern auf Halde. Das ist eine katastrophale Situation." China, Russland und Südkorea stoppten die Einfuhr von Geflügel und Schweinefleisch aus Deutschland.

Auch Abraham ist unmittelbar vom Dioxin-Skandal betroffen. Der Präsident des BVE ist zugleich Gründer und Miteigentümer des größten Schinkenherstellers in Deutschland. "Wir sind zu 99,9 Prozent sicher, dass in unserem Schweinefleisch kein Dioxin zu finden ist, aber eine hundertprozentige Sicherheit gibt es nicht", ergänzte er. Jede Schweinehälfte werde jedoch bei der Eingangskontrolle im Betrieb genauestens untersucht. "Ich gebe aber zu, dass unser Kontrollmechanismen in der Schinkenherstellung nicht bis in den Stall reichen. Wir müssen uns auf unsere Lieferanten verlassen können". Es gibt nach seinen Worten jedoch erste Ansätze in der Industrie, hier nachzubessern. Demnach testet der Fleischkonzern Tönnies derzeit ein Verfahren, das wie bei Rindern eine genaue Rückverfolgung möglich macht. "Man muss sich im Klaren sein, dass solche Dinge Geld kosten, und das bekommen dann die Verbraucher zu spüren."

Grund für einen Systemwechsel in der Agrar- und Lebensmittelindustrie sieht Abraham nach dem Dioxin-Skandal, der für ihn ein Einzelfall ist, nicht. "Hier waren kriminelle Kräfte am Werk. Der Skandal ist, dass nicht kontrolliert wird. Hier ist der Staat gefordert." Eine Rückkehr zu kleinbäuerlichen Strukturen in der Viehwirtschaft hält er für illusorisch.

Trotzdem sei er offen für Reformen, betonte er. "Wir müssen das Vertrauen der Verbraucher wieder herstellen, nicht nur in dem wir schöne Worte finden, sondern auch handeln", betonte er.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: