Geheimdokumente zu Nahostkonflikt:Der verpasste Frieden

Nach den Enthüllungen al-Dschasiras zu Geheimverhandlungen in Nahost meldet sich nun ein Insider zu Wort: Vor zwei Jahren habe man sogar kurz vor Unterzeichnung eines Friedensvertrages gestanden.

Israel und die Palästinenser haben vor gut zwei Jahren beinahe einen Friedensvertrag unterzeichnet, nachdem sie sich in den Kernfragen des Konflikts geeinigt hatten. Das erklärte ein ehemaliger Berater des damaligen israelischen Ministerpräsidenten Ehud Olmert.

Protest gegen israelische Sperranlage

Die Palästinenser sollen während der Friedensgespräche im Jahr 2008 zu weitaus größeren Zugeständnissen an Israel bereit gewesen sein als bislang bekannt, melden der arabische Fernsehsender al-Dschasira und der britische Guardian.

(Foto: dpa)

Insgesamt hätten die Verhandlungen unter Olmert kurz vor einem erfolgreichen Abschluss gestanden, sagte Jaakov Galanti dem israelischen Armeesender. Die Einigung habe eine Teilung Jerusalems, die Rückkehr 5000 palästinensischer Flüchtlinge nach Israel sowie einen Gebietsaustausch umfasst. Ein generelles Recht auf Rückkehr palästinensischer Flüchtlinge habe Olmert jedoch abgelehnt. "Ich verstehe bis heute nicht, warum die Palästinenser letztlich nicht unterzeichnet haben", sagte Galanti.

Nachdem Ehud Olmert wegen Korruptionsvorwürfen als Ministerpräsident zurückgetreten und es zur Jahreswende 2008/2009 zum Gaza-Krieg gekommen war, wurden die Gespräche nicht wieder aufgenommen. Kurze neue Verhandlungen unter der gegenwärtigen israelischen Rechtsregierung Benjamin Netanjahus scheiterten an dem Streit um den israelischen Siedlungsausbau im Westjordanland.

Der ehemalige Medienberater Galanti äußerte sich nach Berichten des arabischen Fernsehsenders al-Dschasira sowie des britischen Guardian über geheime Unterlagen zu den Verhandlungen zwischen Palästinensern, Israel und den USA. Demnach sollen die Palästinenser während der Friedensgespräche im Jahr 2008 zu weitaus größeren Zugeständnissen an Israel bereit gewesen sein als bislang bekannt. Unter anderem hätten sie auf Land verzichten wollen, auf dem jüdische Siedler gebaut hatten. Führende Palästinenser haben die Berichte als "Lügen und Halbwahrheiten inzwischen zurückgewiesen. Auch Galanti erklärte, sie enthielten "Ungenauigkeiten".

Aus den Unterlagen geht angeblich hervor, dass der damalige palästinensische Ministerpräsident Achmed Kurei vorgeschlagen habe, dass Israel alle jüdischen Siedlungen um Jerusalem bis auf eine behalten könne. In den jüdischen Enklaven leben zurzeit etwa 200.000 Israelis. Im Oktober 2009 hatte außerdem der palästinensische Unterhändler Saeb Erekat angeblich eine geographische Teilung der Altstadt Jerusalems vorgeschlagen, bei der Israel die Kontrolle über das jüdische Viertel und einen Teil des armenischen Viertels erhalten sollte. Im Vorfeld der Annapolis Konferenz unter US-Präsident George W. Bush soll Erekat dies als Lösung für den Konflikt angepriesen haben: Israel würde damit "das größte Jerusalem in der jüdischen Geschichte" bekommen, zitiert der Guardian.

Im Gegenzug hätten sie den Unterlagen zufolge israelisches Land verlangt, darunter einen Bereich nahe der Grenze zum Westjordanland. Außerdem sollen die Palästinenser eine vorübergehende internationale Kontrolle des Geländes der Al-Aksa-Moschee in Jerusalem vorgeschlagen haben. Es sollte demnach von den Palästinensern, Israel, den USA, Saudi-Arabien, Ägypten und Jordanien verwaltet werden, bis beide Seiten eine dauerhafte Einigung getroffen hätten.

Beim strittigen Thema Flüchtlinge seien die Palästinenser damit einverstanden gewesen, dass Israel über zehn Jahre hinweg jährlich 10.000 Flüchtlinge aufnehme, insgesamt also 100.000 Menschen, berichtete der Fernsehsender weiter. Bislang bestehen die Palästinenser auf einem Rückkehrrecht nach Israel für alle palästinensischen Flüchtlinge und ihre Nachkommen - das sind mehrere Millionen Menschen. Die Regierung in Jerusalem lehnt das als Bedrohung für den jüdischen Charakter des Staates ab.

Die Unterlagen belegten weiter die Verzweiflung der palästinensischen Unterhändler angesichts der gescheiterten Versuche, die israelische Siedlungspolitik zu stoppen. Die Dokumente würden darüber hinaus die herablassende Haltung von US-Politikern gegenüber den palästinensischen Vertretern belegen.

"Lügen und Halbwahrheiten"

Der derzeitige palästinensische Chefunterhändler Sajeb Erakat wies die Berichte in der Zeitung Al-Ayyam als "Lügen und Halbwahrheiten" zurück. Zudem sei das palästinensische Verhandlungsministerium bereit, alle seine Dokumente offenzulegen, um zu beweisen, dass die Berichte von al-Dschasira nicht wahr seien. Der führende palästinensische Unterhändler während der Gespräche im Jahr 2008, Achmed Kurei, sagte, weite Teile der von al-Dschasira zitierten Dokumente seien fingiert.

Palästinenserpräsident Mahmud Abbas hat zurückhaltend auf die Berichte reagiert: "Ich bin überrascht von den Berichten al-Dschasiras", sagte er nach Angaben der palästinensischen Nachrichtenagentur Wafa. Man habe die Araber stets bis ins Detail über alle Entwicklungen bei den Gesprächen mit den Israeli und USA informiert, sowohl bei bilateralen Treffen als auch durch die Arabische Liga. "Der Generalsekretär der Arabischen Liga, Amre Mussa, weiß genau, welche Aktivitäten wir bei den Gesprächen mit den Israelis und Amerikanern unternommen haben", sagte Abbas den Angaben zufolge. "Ich habe wirklich keine Ahnung, wo al-Dschasira all diese geheimen Informationen her hat", sagte der Palästinenserpräsident. "Wir verbergen nichts, und unsere arabischen Brüder wissen alles."

Nach Angaben des Guardian stammen die Dokumente von palästinensischen Regierungsvertreten und Anwälten, einer von Großbritannien unterstützten Gruppe, die die Verhandlungen zwischen der Palästinensischen Befreiungsorganisation PLO und Israel fördern sollte. Die Dokumente beinhalten umfassende wortwörtliche Transkriptionen von vertraulichen Treffen.

Der arabische Fernsehsender al-Dschasira gab an, dass er über knapp 1600 geheime Dokumente aus den Friedensverhandlungen - Gesprächsprotokolle, E-Mails und Karten aus den Jahren 1999 bis 2010 verfüge. Bis Mittwoch sollen nach und nach weitere Dokumente ins Netz gestellt werden.

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