Obama: Rede zur Lage der Nation:Vage und feige

Der US-Präsident versäumte es bei seiner Rede, konkret zu benennen, wer die Zeche zu zahlen hat für die Exzesse der Vergangenheit. Stattdessen driftete Obama ab ins Schattenreich unverbindlicher Andeutungen.

Christian Wernicke

Es war eine große Rede, die Amerikas Präsident gehalten hat - damals, vor nunmehr zwei Wochen in Arizona.

Bei der Trauerfeier für die Opfer des Blutrausches von Tucson war Barack Obama zum mitfühlenden Vater der Nation erwachsen. Jetzt, exakt 13 Tage später, trat derselbe Mann vor den US-Kongress in Washington, um seine alljährliche Ansprache zur Lage der Nation abzuliefern. Mehr als einen nüchternen, ja schnöden Manager des Politbetriebs von Washington mochte er dabei nicht geben.

Umhang vor Inhalt

Obamas einstündiger Vortrag zu Jobkatastrophe und Bildungskrise, zu Haushaltsdefizit und mangelnder Wettbewerbsfähigkeit der Weltmacht war so belesen und klug wie letztlich vage und ja: feige.

Sicher, der Präsident hat seinen Landsleuten genau erklärt, wie sehr ihre einst allüberlegene Volkswirtschaft inzwischen dem internationalen Konkurrenzdruck ausgesetzt ist. Und wie dringend sie sich, etwa mit Hilfe besserer Schulen und mehr Innovation, wappnen muss für den globalen Wohlstandswettlauf der Nationen.

Aber wann immer in seiner Rede die unvermeidlich harten Entscheidungen aufschimmerten, wann immer er bei Steuerreform oder Schuldenabbauplan hätte konkret benennen können, wer die Zeche zu zahlen hat für die Exzesse der Vergangenheit, driftete Obama ab ins Schattenreich unverbindlicher Andeutungen.

Dem Präsidenten war an diesem Abend der Umhang wichtiger als der Inhalt: Er wollte als Mann der Mitte und des Kompromisses erscheinen - nicht als Pfadfinder steiniger, weil präziser Auswege.

Europa als Synonym für den Untergang

Die Vereinigten Staaten rüsten sich für eine Grundsatzdebatte. Demokraten wie Republikaner begreifen den Streit um Verschuldungsraten und Defizitquotienten als eine fundamentale Auseinandersetzung um die Rolle des Staates in Gesellschaft und Wirtschaft.

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Präsentierte sich als schnöder Manager des Politikbetriebs: Barack Obama

(Foto: AFP)

Die Republikaner trauen dabei niemanden mehr als den wilden, von Regeln und Bürokratie befreiten Marktkräften. Der haushaltspolitische Sprecher der Partei, Paul Ryan, bringt das auf die Formel, dass das Vertrauen in Washington "so niedrig wie noch nie ist, da die Regierung größer denn je ist".

Interessant ist, was unerwähnt bleibt

Obama erzählt derweil anekdotisch von Ostasien, wo Chinesen oder Südkoreaner auf staatsgesteuerten Entwicklungspfaden aufsteigen und mit gezielten, von der Regierung bezuschussten Investitionen ihre Ökonomien aufrüsten.

Interessant ist, was nicht vorkommt in Amerikas Debatte: Europa. Obama erwähnte Europa nur als Nato-Partner und (neben Russland) als Vertreter einer infrastrukturellen Betonfraktion, die eifrig Straßen baut.

Europa als weltpolitischer Akteur, als Macht mit eigenem Sozial- und Wirtschaftsmodell, kommt bei Obama nicht vor. Und Paul Ryan, der Republikaner, sieht Europa nur als Synonym für Untergang nach linker, demokratischer Art - Merke: Wer Obama folgt, der geht den Weg von Griechenland und Irland.

Viel gewonnen hat die Nation in dieser Nacht nicht. Keinen inneren Konsens jedenfalls. Nur der blinde Blick nach draußen ist überparteilich: Alle starren nach Osten, fürchten China und Indien - und schreiben Europa ab.

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