Intelligente Technik für Senioren:Omas schlaue Wohnung

Der Anteil der alten Menschen an der Bevölkerung wächst, viele Senioren wollen so lange wie möglich in der eigenen Wohnung bleiben. Neue Technik soll das möglich machen.

Inga Ludwig

Bevor Rolland auf seine Zielgruppe trifft, muss er erst seine Crashtests bestehen. Heute ist dafür Christian Mandel zuständig. Der Informatiker von der Universität Bremen hat sich in seinem Labor in den motorisierten und mit Computertechnik aufgerüsteten Rollstuhl gesetzt, den die Gruppe Rolland getauft hat; in dem Namen klingt die Bremer Wappenfigur Roland an. Das Gefährt soll eines Tages alte oder behinderte Menschen transportieren und beschützen, auch wenn sie es versehentlich falsch bedienen - so, wie es Mandel jetzt absichtlich tut.

Rolland

Der Rollstuhl Rolland meistert einen Übungsparcours. Die Sensoren für die Steuerung per Kopfbewegungen stecken in der weißen Mütze.

(Foto: Focke Strangmann)

Der Rollstuhl parkt direkt neben dem Sofa des im Labor nachgebauten Wohnzimmers. Mandel reißt Rollands Steuerknüppel zur Seite. Eigentlich müssten beide nun mit Schwung gegen die Couch knallen. Doch der Rollstuhl denkt mit. Er weiß, wo er steht, und wandelt den Befehl ab: Selbständig fährt er nach vorn, dann einen Bogen und bringt seinen Fahrgast kollisionsfrei dahin, wo er eigentlich hinwollte. Mandel ist zufrieden. Mit seinen Kollegen tüftelt er in seinem Forschungslabor an einer Wohnung der Zukunft. Auch durch Alter oder Krankheit stark beeinträchtigte Menschen sollen sich hier wohlfühlen und möglichst lange selbständig leben.

Der Bedarf für solche altersgerechte Technik ist groß. Der Anteil der alten Menschen an der deutschen Bevölkerung wächst stetig, viele Senioren wollen so lange wie möglich in der eigenen Wohnung bleiben. Gleichzeitig erschweren es die Lebens- und Arbeitsumstände den Jüngeren, ihre Angehörigen zu versorgen. Pflegedienste müssten einspringen. Jeder Helfer wird gebraucht - und wenn es eine intelligente Wohnung ist.

Unter dem Stichwort "Ambient assisted living", zu Deutsch "von der Umgebung unterstütztes Wohnen" erforschen Dutzende Hochschulen und Firmen technische Hilfsmittel, die alten Menschen helfen, sie aber weder überfordern noch bevormunden. Am Dienstag und Mittwoch haben sich viele der Entwickler zu einem Kongress in Berlin getroffen.

Nach Ansicht der Bremer Forscher müsste eine intelligente Wohnung so ausgestattet sein wie ihr Labor: mit fernsteuerbaren Geräten und Möbeln, die alle längst auf dem Markt sind. Und mittendrin Rolland, der alles überwacht und koordiniert.

Man könnte Rolland auch durch eine Fernbedienung ersetzen, oder durch einen Computer - Hauptsache, alle Komponenten der Wohnung lassen sich auf einheitliche Weise bedienen. In der Vision der Bremer Wissenschaftler soll der Nutzer mit einfachen Befehlen ganze Programme in Gang setzen können, die auf seine Gewohnheiten abgestimmt sind.

Will er etwa schlafen gehen, könnten sich auf Knopfdruck oder Zuruf das Licht in Gang und Bad anschalten, Rolland erst ins Bad und dann ins Schlafzimmer rollen. Dort würde das Kopfteil des Bettes hochfahren, die Leselampe angehen und nach einer halben Stunde Gute-Nacht-Lektüre wieder aus, das Bett sich wieder absenken - Schlafenszeit!

Dieser Einsatz von autonomer Technik galt in der Betreuung bisher als Tabu. Seit einigen Jahren arbeiten Forschung, Industrie und Politik jedoch verstärkt an Verfahren und Geräten, die alten Menschen ein möglichst langes Leben in den eigenen vier Wänden ermöglichensollen.

Mehr Sicherheit durch kleine Modifikationen

Wie das "ambient assisted living" (AAL) im Prinzip funktionieren soll, erklären Experten gerne am Beispiel moderner Autos: Auf den ersten Blick arbeiten sie heute genauso wie vor 50 Jahren. Intelligente und gleichzeitig robuste Steuertechnik im Hintergrund macht sie aber viel komfortabler und sicherer.

Auch in der Wohnung lässt sich die Sicherheit inzwischen schon mit kleinen Modifikationen erhöhen. Das könnte vielen älteren Menschen den Umzug ins Heim ersparen, weil das Alleinleben zu gefährlich wird.

In einem Potsdamer Plattenbau zeigt eine Musterwohnung, wie kleine Helfer Sicherheit gewährleisten können. Nirgendwo gibt es Stolperschwellen, Lichtquellen sind genau dort angebracht, wo sie im Alltag benötigt werden. Schalter sind nicht fest in der Wand eingebaut; sie schicken ihre Kommandos per Funk zur Lampe und können jederzeit woanders angebracht werden.

Vor allem aktivieren sie bei Bedarf nicht nur einzelne Lampen, sondern ganze Beleuchtungs-Szenarien. Ein Schalter am Nachttisch dient beispielsweise dem nächtlichen Gang auf die Toilette: einmal drücken, und der komplette Weg zum Bad ist beleuchtet.

Die Eingangstür wird mit Hilfe einer Karte geöffnet und geschlossen. Beim Verlassen der Wohnung schalten sich automatisch sämtliche Haushaltsgeräte ab - bis auf den Kühlschrank.

Und für den Fall, dass sich jemand versehentlich aussperrt, kann die Schließanlage einen Notfallschlüssel erzeugen. Ein Code, der aufs Handy verschickt wird, gewährt dessen Besitzer für ein paar Minuten Zutritt. Die Technik für all diese Anwendungen existiert längst. Sie müsste nur noch in die Wohnungen gebracht werden, ganz nach dem individuellen Bedarf, sagt Birgit Wilkes von der Technischen Hochschule in Wildau südlich von Berlin. Sie erforscht in Potsdam, wie altersgerechtes Wohnen funktionieren kann. "Jeder hat andere Probleme, deswegen braucht jeder andere Lösungsmodule."

Im Austausch mit Besuchern, die die Wohnung besichtigen, lotet Wilkes die Grenzen der Technik und ihrer Akzeptanz aus. Sie verlaufen oft dort, wo die Wohnung ihren Bewohner bevormundet, schon in den kleinsten Dingen: Die Menschen wollten selbst entscheiden können, wo das Licht angeht, und wo nicht, sagt die Informatikerin.

Auch das "wie" ist entscheidend: "Die Menschen kennen Schalter", erklärt sie, und setzt daher auf die Funkschalter. Fernbedienungen seien Vielen zu kompliziert. Und der Datenschutz ist wichtig. "Jeder Mensch braucht Privatsphäre", so Wilkes. Kameras in der Wohnung lehnt sie ab.

Nur wenn sich die Betroffenen in ihren technisierten Wohnungen wohl fühlen, kann sich AAL durchsetzen. Das Bundes-Forschungsministerium (BMBF) hat daher eine Reihe von Studien zu den nicht-technischen Aspekten des Konzepts in Auftrag gegeben. Schon die ersten zeigen: Gängige Vorurteile, wonach Senioren Technik grundsätzlich ablehnten, sind falsch.

Hohe Akzeptanz bei erkennbarem Nutzen

"Die Akzeptanz ist bei älteren Menschen dann hoch, wenn der Nutzen für sie selbst offensichtlich ist", sagt Sibylle Meyer, die Vorsitzende eines für das Projekt eingesetzten Expertenrats AAL. Gerade Frauen, die den Großteil der alleinstehenden Älteren ausmachen, sind bereit für das eigenständige Leben mit smarter Technik. Einfach sollte sie sein, robust, tolerant bei Bedienungsfehlern. Und keinesfalls darf sie den Nutzer als alten Menschen stigmatisieren.

Alle Beteiligten müssen kooperieren, damit AAL sich wirklich durchsetzen kann - Forschung, Wirtschaft, Handel, Politik, Krankenkassen, Seniorenverbände und Pflegedienste. Ganze "Mobilitätsketten", müssten geschaffen werden, sagt Birgid Eberhardt vom Verband der Elektrotechnik, "inklusive der nötigen Dienstleistungen". AAL müsse Teil der Ausbildung von Architekten und Handwerkern werden, Gerätehersteller sich den Bedürfnissen nach Vernetzung anpassen: "Dazu brauchen wir offene Standards", sagt Eberhardt. Schließlich soll sich die Technik wie aus einem Guss bedienen lassen.

Offen ist noch die Finanzierung: Die Grundausstattung einer Wohnung ist mit etwa 2000 Euro plus der Kosten zusätzlicher Module nach dem Bedarf des Einzelnen nämlich noch recht teuer. Die Krankenkassen könnten aber viel Geld einsparen, wenn die

Technik die stationäre Unterbringung ihrer Mitglieder vermeidet. Auch für die Wohnungswirtschaft könnte sich, gerade in Gebieten mit vielen älteren Mietern und leerstehenden Wohnungen, die Investition in AAL-Ausstattung rentieren.

Allerdings müssen Kosten und Nutzen noch beziffert werden. Dazu sollen in Berlin mit Hilfe des BMBF 1000 Wohnungen mit AAL-Technik ausgestattet und ihre Bewohner fünf Jahre lang begleitet werden. Manches wird sich aber kaum messen lassen - was es zum Beispiel bedeutet wenn die Technik stark beeinträchtigten Menschen zwei Stunden am Tag schenkt, an denen sie autonom leben können.

Solche Freiräume zu schaffen, ist eines der Ziele der Forschung in Bremen. Darum arbeiten die Wissenschaftler daran, Technik mit Sprache zu steuern. "Guten Tag, Rolland", sagt Christian Mandels Kollege Bernd Gersdorf. "Guten Tag", antwortet eine Computerstimme. "Mach Licht über dem Küchentisch!" Der autonome Rollstuhl schickt ein Signal an den Lichtschalter und bestätigt: "Das Licht wurde eingeschaltet."

Dann hilft die Maschine auf Zuruf beim Kochen: Er bringt seinen Fahrgast selbständig zum Kühlschrank, dann zum Mikrowellenherd, der aus Gründen der Platzersparnis in der kleinen Küche oben zwischen den Wandschränken hängt. Ein stehender Mensch könnte das Gerät bedienen, Gersdorf aber gerade nicht. Der Rollstuhl gibt dem Herd Signal, sich auf Arbeitshöhe abzusenken. Auch die Hängeschränke könnten herunterfahren, um den Griff nach einem Teller zu ermöglichen.

Als das Essen fertig ist, fährt Rolland seinen Fahrgast zum Tisch. "Vielen Dank, Rolland", sagt Gersdorf. "Nichts zu danken", antwortet der Rollstuhl. Seine Spracherkennung ist mit dem Codewort vorerst deaktiviert. Auch die schlauesten Helfer müssen nicht alles mithören.

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