Imam Abu Adam:Der Mann, der das Klischee bediente

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Imam Abu Adam geriet als "Prügel-Prediger" in die Schlagzeilen der Boulevardpresse. Nach 80 Tagen U-Haft ist er wieder zu Hause - und die Frau, die ihn beschuldigte, sitzt in Haft. Ein Besuch.

Bernd Kastner

Das Erste, was der Besucher spürt, ist dieser Händedruck. Stopp, will man schreien, nicht so fest! Aber da lässt er auch schon los, der Leibwächter des Imam. Dann erscheint in dem kleinen Wohnzimmer der Mann, der sich Sheikh Abu Adam nennt. Er ist gehüllt in einen weißen Umhang, auf dem Kopf trägt er sein obligatorisches rot-weißes Tuch, die Enden weit über die Brust hängend.

Imam Abu Adam: "Ich habe ihr verziehen", sagt er über seine Drittfrau, die nun in Haft ist. (Foto: Robert Haas)

Man kennt ihn so von vielen Fotos. Abu Adam lächelt, und man weiß noch nicht, ob es ein bitteres oder ein frohes Lächeln ist. Als "Prügel-Prediger" geißelte ihn der Boulevard. Zweieinhalb Monate saß er in Untersuchungshaft, weil seine Drittfrau ihn beschuldigt hatte, sie über Jahre misshandelt und ihr die Knochen gebrochen zu haben. Am Freitag aber nahm sie ihre Vorwürfe zurück, der Haftbefehl gegen den Imam wurde aufgehoben. Nun sitzt die Frau in Haft.

Abu Adam, 40 Jahre alt, staatenlos mit palästinensischen Wurzeln, nimmt auf einem Stuhl Platz, an seiner Seite die Bodyguards, zwei wuchtige Gestalten. Ein bewegter Tag im Leben der Familie des Imam geht zu Ende. Vor ein paar Stunden hat Adam zum ersten Mal seine zwei jüngsten Kinder gesehen, seine Erst- und seine Zweitfrau haben sie geboren, als er in Stadelheim saß. Nie wird er vergessen, wie sich eines Abends das kleine Fenster seiner Zellentür öffnete und der Wärter gratulierte. "Ich habe mich niedergeworfen und geweint", sagt er, und seine Augen schauen sehr traurig. Dieser Schmerz, nicht dabei gewesen zu sein bei den Geburten. "Ich war fertig."

Jetzt, am ersten Abend nach 80 Tagen Haft, in denen er fast 30 Kilo abgenommen habe, sagt der Imam: "Ich bedanke mich bei Gott." Er will ein Buch verfassen über die Wochen hinter Gitter, er weiß, was geschrieben wurde: "So brutal quälte der Imam seine Frau", lautete eine Schlagzeile in der Bild. Aus einem Verdacht wurde eine Tatsache. Dazu passte das Bild des Imam, der mit seinem Outfit Osama bin Laden so ähnelt.

Auch für seine Frauen sei es eine sehr schwere Zeit gewesen, sagt er, und die Kinder seien in der Schule gehänselt worden. Zeitungen druckten Fotos des Mietshauses, in dem sie leben, und Reporter rechneten aus, wie viel Kindergeld der Imam nach der Geburt des elften und zwölften Kindes vom deutschen Staat erhält. "Rufmord" nennt Abu Adam das. Was eine Familientragödie ist, wurde in Zeiten der Islam- und Ausländerdebatte zum Politikum: Da hatte sich vermeintlich ein "Friedensprediger" demaskiert, der in seiner Moschee von Integration und Gewaltfreiheit redet. Der Mann schien für eine ganze Religion zu stehen. Eine perfekte Story, wunderbar schwarz-weiß. Tatsächlich aber dürfte die Geschichte ganz anders sein, viel komplizierter.

Seine Drittfrau, eine 31-jährige gebürtige Syrerin mit norwegischem Pass, mit der er seit drei Jahren nach islamischer Tradition verheiratet ist, sagt, dass ihre Knochenbrüche nicht von ihm stammten. Sie sei krankheitsbedingt oft gestürzt. Die Vorwürfe habe sie erfunden, um der Ehe zu entfliehen und das Sorgerecht für die beiden gemeinsamen Kinder zu bekommen. Alle Verfahrensbeteiligten, Anwälte und Ermittler, sind sicher, dass sie jetzt die Wahrheit sagt.

Der Imam streicht immer wieder mit der Hand durch seinen Bart, zieht sein Kopftuch zurecht. Kleine Zeichen seiner Anspannung. Zu seiner weißen Kutte trägt er weiße Socken und Pantoffeln, er ist ja daheim. Seine Kinder klettern auf Papas Schoß, mal hält er seine Babys im Arm, mal wirft er seine Tochter in die Luft, küsst und knuddelt sie. Wenn das gespielt sein sollte, es wäre sehr gut gespielt. Dasselbe gilt für seine Frömmigkeit und das, was er über seine Drittfrau sagt: "Ich habe ihr schon am ersten Tag verziehen." Man hört kein schlechtes Wort über sie. Er liebe sie weiterhin und wünsche ihr keine Strafe: "Ich hoffe, dass Gott ihr hilft."

Abu Adam war also offenbar nicht gewalttätig. Wie aber steht es generell um sein Frauenbild? Ob er denn verstehen könne, dass dem durchschnittlichen Deutschen ein Leben mit drei Ehefrauen suspekt vorkomme. "Das ist mein Recht", sagt er, der Glaube gestatte es ihm. Keine seiner Frauen sei gezwungen worden, mit ihm zu leben, seine Drittfrau habe von den beiden anderen gewusst.

Und die Eifersucht? Wäre es nicht verständlich, wenn seine Frauen davon geplagt würden? "Jede Frau ist eifersüchtig." Er habe aber alle drei gleich behandelt. "Die Frau ist wie eine Blume. Wenn man sie ein bisschen drückt, wird sie brechen." Er habe nie gedrückt, soll das heißen. Manchmal klingt er, als mache er es sich ein bisschen einfach. Viele liberale Muslime distanzieren sich vom Rollenverständnis dieses Imam.

Über die Konflikte mit seiner syrischen Frau will er nicht viel reden. Ja, sie hätten ein paar Mal übers Sorgerecht diskutiert und über die Angst der Frau. Er werde von Extremisten bedroht, sei auch schon angegriffen worden, weil er gegen den Terrorismus predige und so manchen potentiellen Bombenleger schon bekehrt habe. Abu Adam sagt, gute und kritische Phasen hätten sich bei seiner Frau abgewechselt, ihre Gemütslage schwanke, und weil er das wisse, habe er auch der Scheidung an jenem verhängnisvollen Abend nicht zugestimmt. Weil er wisse, dass sie es wenig später bereut hätte. Streit und Versöhnung, so sei es immer gewesen. Es scheint Hassliebe zu sein.

Die Kinder haben Säfte und Obst und Knabbereien hereingetragen, die Bodyguards reichen Bananen und Äpfel. Abu Adams Erst- und Zweitfrau, eine Rumänin und eine Deutsche, sind auch in der Wohnung, kommen aber nicht zur Männerrunde. Ben Aoun, der Leiter der Darul-Quran-Moschee in der Ruppertstraße, erzählt, wie geschockt die Gläubigen waren, als sie von den Vorwürfen hörten. Und wie viele nun gekommen seien, um die guten Neuigkeiten zu hören. Viel sei zerstört worden, klagt der Imam, er müsse jetzt alles wieder langsam aufbauen.

Abu Adams Verteidiger Thomas Pfister und Heinrich Haarmann sitzen mit in der Runde. Sie hüten sich vor Triumphgeheul und betonen, der Imam sei fair behandelt worden von der Justiz. Noch läuft das Ermittlungsverfahren gegen ihren Mandanten, doch der dringende Tatverdacht ist weg. Für die Causa Imam interessierten sich auch der Staatsschutz der Polizei, der Verfassungsschutz und bei der Staatsanwaltschaft wird die Sache von der politische Abteilung bearbeitet. Was ist politisch an einem vermeintlich gewaltsamen Ehezoff?

Die bearbeitende Staatsanwältin, heißt es, kenne den Imam schon von früher. Man darf davon ausgehen, dass diverse Behörden alarmiert waren, als die Kunde vom "Prügel-Prediger" die Runde machte. Man hielt seit Jahren Kontakt zu ihm. Zwar gilt Abu Adam als religiös orthodox, aber auch als offen für den Dialog. Und die Behörden sind froh über jeden Draht in die islamische Szene. Auch zu einem, der wie Osama bin Laden aussieht.

Da lacht der Imam, wenn das Gespräch auf den Al-Qaida-Führer kommt, und erzählt von seinen Begegnungen auf der Straße: "Bin Laden", tuschelten die Leute, "Terrorist", "Bombenleger". Fast könnte man meinen, ihm bereite es Freude, die Menschen ein wenig zu schocken und zu foppen. Nein, sagt er, "ich ertrage das." Er wolle vermitteln, "dass nicht alle Muslime Monster sind", dass man mit ihnen auch lachen kann. Und das tun sie jetzt alle, die Leibwächter und Freunde und Anwälte. Abu Adam erzählt, dass er vor ein paar Jahren regelmäßig durch den Hauptbahnhof musste, und dass er alle paar Meter kontrolliert worden sei. So mancher Fahnder mag auf den großen Fang gehofft haben. Bis sich der vermeintliche Terrorist dann ein Schild um den Hals hängte: "Bin nicht bin Laden."

Zum Abschied wieder dieser Händedruck. "Nicht so fest!" mahnt Abu Adam seinen Bodyguard.

© SZ vom 14.02.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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