Flexible Arbeitszeiten:Angst vor der Diskriminierung

Flexibel arbeiten? Lieber nicht. Viele Beschäftigte verzichten darauf, flexible Arbeitszeiten zu nutzen. Sie wollen nicht als Leistungsverweigerer gelten.

K.-H. Büschemann, M. Holzmüller und S. Klaiber

Michèle Hirsch und ihr Mann Wolfgang Müller-Hirsch sind moderne Arbeitnehmer: Die promovierten Physiker arbeiten beim Autozulieferer Bosch. Beide haben anspruchsvolle Aufgaben und versuchen ihre Arbeit sowie das Wohl der achtjährigen Tochter Leonie unter einen Hut zu bringen.

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Die Möglichkeiten für flexible Arbeit werden von den Arbeitnehmern nicht immer genutzt.

(Foto: iStock)

Deshalb nutzt das Paar die flexiblen Arbeitszeitmodelle, die ihr Arbeitgeber bietet. "Wir wollen eine Familie sein und die Erziehung unseres Kindes gemeinsam anpacken", sagt Michèle Hirsch.

Sie arbeitet zwei Tage im Bosch-Labor in Tamm, und die verbleibenden drei Tage der Woche von zu Hause aus. Ihr Mann erledigt seine Aufgaben vom heimischen Arbeitszimmer, wenn Michèle in der Firma ist.

Die anderen drei Tage ist er bei Bosch in Schwieberdingen. "Uns beiden macht die Arbeit 100 Prozent Spaß", berichtet Michèle Hirsch.Mit der heutigen Regelung sei für sie die Endstufe einer Entwicklung erreicht, eine Rückkehr zu hundert Prozent planen beide vorerst nicht.

In Deutschland ist einiges in Bewegung gekommen. Die einst festgefügten Grenzen zwischen Arbeitsplatz und Wohnung verschwimmen. Starre Arbeitstage gehören der Vergangenheit an. In Deutschland boten im Jahr 2009 einer Studie des DIW zufolge 70 Prozent der Unternehmen flexible Tages- und Wochenarbeitszeiten an.

Als die Studie erstmals 2003 Unternehmen befragte, lag der Anteil derer, die flexible Zeiten anboten, noch bei 58 Prozent. "Das Angebot hat sich seither auf hohem Niveau stabilisiert", sagt Oliver Stettes vom DIW. "Von den flexiblen Arbeitszeiten profitieren Unternehmen und Beschäftigte."

Anziehende Konjunktur befördert Zeitmodelle

Einerseits böten sich familienfreundliche Lösungen an, andererseits könne das Unternehmen die Arbeitszeiten an die Auftragslage anpassen. So erkläre es sich, dass Unternehmen, denen es nicht gut gehe, die Regelungen beibehielten.

Auch mit der anziehenden Konjunktur und dem zunehmenden Mangel an Fachkräften besinnen sich die Unternehmen verstärkt auf kreative Zeitmodelle.

Die allermeisten Firmen, die flexible Modelle anbieten oder darüber nachdenken, tun dies, weil sie die Zufriedenheit ihrer Mitarbeiter heben und qualifizierte Mitarbeiter gewinnen oder halten wollen. Auch die Steigerung der Produktivität und die Erfüllung tarifvertraglicher oder gesetzlicher Vorgaben wird als Begründung genannt.

Debatte um Frauenquote zeigt Probleme auf

Das Einvernehmen in dieser Frage scheint groß zu sein. Dennoch wird um die Familienfreundlichkeit der Arbeitswelt erbittert gestritten. Das Wort von der Frauenquote für Führungspositionen hat gerade wieder Hochkonjunktur.

Es sei ein "ziemlicher Skandal", so sieht es Kanzlerin Angela Merkel, dass in den 200 größten deutschen Unternehmen nur drei bis vier Prozent der Führungsfunktionen mit Frauen besetzt seien.

Obwohl die Wirtschaft vor zehn Jahren Besserung versprochen hätte, sei bisher nur wenig passiert. Aber sie wolle den Unternehmen "noch eine Chance" geben, an der Situation etwas zu verbessern, sagte die Regierungschefin vor den versammelten Spitzen von Unternehmen, Verbänden und Gewerkschaften in Berlin. "Seien Sie kreativ, sonst werden wir kreativ sein", drohte die Kanzlerin neue Vorschriften an.

"Der Wunsch nach mehr Zeit für Familie stehe bei berufstätigen Eltern ganz oben auf der Prioritätenliste", erklärt auch Familienministerin Kristina Schröder (CDU). Die Unternehmen müssten sich schon wegen des Fachkräftemangels als "attraktive Arbeitgeber" in Position bringen.

Vor kurzem haben Wirtschafts- und Gewerkschaftsvertreter eine Charta unterzeichnet, die dazu aufruft, die Chancen familienbewusster Arbeitszeiten aktiver zu nutzen. Im Frühjahr 2013 soll eine Bilanz gezogen werden.

Viele Methoden für flexible Arbeitszeiten

Gemessen an den Zahlen wäre das Fazit schon heute recht gut. Es gibt scheinbar unendlich viele Methoden, die Arbeitszeit flexibler zu gestalten. Bei Schönberger Metalltechnik und Stahlbau zum Beispiel, einem Betrieb mit 28 Mitarbeitern im bayerischen Wölsendorf, bekommen die Mitarbeiter ein Lebensarbeitszeitkonto.

"Man kann Überstunden unbegrenzt ansammeln und zum Beispiel früher in Rente gehen oder mal drei Monate Pause machen", sagt Chefin Sabine Schönberger. Das sei schwer zu organisieren. Aber noch schwieriger sei es, neue Beschäftigte einzuarbeiten.

Die Frankfurter Flughafen-Gesellschaft Fraport lässt sich von der Bundesregierung dafür loben, dass sie ihren Mitarbeitern nicht nur flexible Arbeitszeiten bietet, sondern konkrete Beratung. Wer ein Problem mit der Familie, der Kinderbetreuung oder der Pflege eines Verwandten hat, kann im eigenen Haus beim Spezialisten Rat einholen.

Sonderzahlungen in freie Tage umwandeln

Und das Modell der "Familienphase", das die Ergo-Versicherung anbietet, hat in den Augen von Familienministerin Schröder sogar Vorbildcharakter. Angestellte, die sich um ein krankes Familienmitglied kümmern, werden für maximal zwölf Monate freigestellt und bekommen in dieser Zeit ein reduziertes Gehalt gezahlt.

Kehren sie ins Büro zurück, arbeiten sie wieder Vollzeit, beziehen aber für die Dauer der Zeit, die sie fehlten, weiterhin weniger.

Wer will, kann bei Ergo Sonderzahlungen wie Weihnachts- oder Urlaubsgeld in bis zu 42 freie Tage umwandeln. Von dieser Maßnahme seien auch die Männer begeistert, heißt es bei Ergo. "So können sie eine Vier-Tage- oder 30-Stunden-Woche einführen, ohne ihren Vollzeit-Status zu verlieren", sagt Katrin Peplinski, Diversity Managerin bei Ergo.

Flexible Arbeitszeiten nicht immer genutzt

Die Wirtschaftsprüfungsfirma Price Waterhouse Cooper (PWC) überlässt die Entscheidung, wo gearbeitet wird, den Angestellten. Ein Mitarbeiter kann spontan entscheiden, ob er die kommenden drei Tage lieber von zu Hause aus tätig ist. "Er muss nur erreichbar sein und sich mit seinem jeweiligen Team abstimmen", sagt Peter Höfling, bei PWC verantwortlich für familienfreundliche Arbeitszeitmodelle.

Die Firma gebe den Mitarbeitern viel Freiheit, bekomme dafür aber "viel Zufriedenheit zurück". Mütter in Elternzeit werden im Rahmen des Stay-in-contact-Programms regelmäßig zu Meetings im Unternehmen eingeladen und können während der Elternzeit Fortbildungskurse besuchen.

Allerdings stellt sich die Frage, warum es so viele Arbeitszeitmodelle in den Unternehmen gibt und warum die Zahl der weiblichen Führungskräfte so gering ist, dass nach einer Frauenquote gerufen wird. Zudem hat die Unternehmensberatung Bain festgestellt, dass sich zwar viele Mitarbeiter für flexible Arbeitszeiten interessieren, die Angebote aber nur vergleichsweise wenig genutzt werden.

Gunther Schwarz von Bain hat eine Antwort. Die Modelle seien nicht weit genug durchdacht. Es reiche nicht, Teilzeitmodelle anzubieten, es müsse auch eine Kultur geben, die eine Nutzung solcher Modelle fördert. Viele Mitarbeiter meiden die Angebote, weil diejenigen, die von ihnen Gebrauch machen, in den Unternehmen als nicht leistungsorientiert angesehen würden.

"Die Karrierechancen sind psychologisch limitiert", sagt Schwarz. Die Unternehmen brauchten eine "Kultur der Akzeptanz". Wenn die Nutzung von Teilzeitangeboten nicht mehr als Verweigerungshaltung angesehen werde, sei Teilzeitarbeit "fast auf jeder Hierarchiestufe umsetzbar".

Nicht immer sind flexible Zeiten familienfreundlich

Christina Klenner vom Wirtschafts- und Sozialwissenschaftlichen Forschungsinstitut der Hans-Böckler-Stiftung (WSI) hat beobachtet, dass manche Arbeitnehmer falsche Vorstellungen von flexibler Arbeit haben. Viele junge Erwachsene erwarteten von einem familienfreundlichen Betrieb vor allem flexible Arbeitszeiten.

Allerdings haben ihre Studien ergeben, dass die Befragten damit in erster Linie kürzere Arbeitszeiten meinten. "Es ist nicht so, dass jede flexible Arbeitszeit familienfreundlich ist." Bei beweglichen Zeiten müssten Beschäftige auch kurzfristig auf Anforderungen des Betriebs reagieren.

In einer 2007 veröffentlichten Studie kam auch Klenner zu dem Schluss, dass es einen Faktor gibt, der für die Bewertung der Familienfreundlichkeit eines Unternehmens viel wichtiger ist als Zeitmodelle. Nötig sei ein Betriebsklima, in dem die Mitarbeiter ihre Rechte wie Elternzeit, Teilzeit oder Freistellung zur Pflege kranker Kinder "voll akzeptiert werden und es deswegen keine Diskriminierung gibt".

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