Guttenberg und die Plagiatsaffäre:Das Ding mit fremden Federn

Im Fall Guttenberg ist über Ideendiebstahl und Betrug zu reden - nicht über allzu menschliches Schummeln. Wer auch immer die Doktorarbeit geschrieben hat, muss als Plagiator in die Geschichte eingehen.

von Günter Frankenberg

Günter Frankenberg ist seit 1993 Professor für Öffentliches Recht, Rechtsphilosophie und Rechtsvergleichung an der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Foto: oh

Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU)

Dilettantisches, aber wohl amtserhaltendes Krisenmanagement: Verteidigungsminister Karl-Theodor zu Guttenberg (CSU).

(Foto: dpa)

"I did not have sexual relations with that woman." Jene bizarre Abwehrsemantik Bill Clintons bringt sich dieser Tage in Erinnerung. "Meine Arbeit ist kein Plagiat", proklamierte am vorläufigen Ende eines dilettantischen, aber wohl amtserhaltenden Krisenmanagements der Verteidigungsminister. Er hatte sich vorgewagt - vom "besten Wissen und Gewissen" und daher "abstrusen Vorwürfen" über "einige Fehler", die er schließlich nach Lektüre seiner Dissertation (!) als "gravierend" erkannte.

Unterdessen hatten Zitatjäger eine schier endlose Strecke von Plagiaten auf Internetplattformen und in den Printmedien zur allgemeinen Besichtigung ausgelegt. Als sich ein Abgrund von Wissenschaftsverrat auftat, war Abwiegeln nicht länger opportun. Es folgte das gewundene Teilgeständnis in Kelkheim/Taunus, er habe bisweilen den Überblick über seine Quellen verloren und "handwerkliche Fehler" begangen. Er legte seinen Doktortitel - wohl endgültig - wie einen Kranz am Denkmal des unbekannten Urhebers ab. Bevor er sich "drängenderen Aufgaben" zuwenden konnte, ließ die Universität Bayreuth verlauten, der Titel werde aberkannt.

Am Ende hatten die Ergebenheitsadressen aus Partei und Volk das Amt, nicht aber den "Herrn Doktor" gerettet. Von Pogrom und Menschenhatz war bisweilen, vom "guten Politiker" oft die Rede, vom wissenschaftlichen Fehlverhalten weniger. Ganz selten: vom Verhältnis zwischen wissenschaftlicher und ministerieller Integrität. Apologeten des "fabelhaften Guttenberg" (Alice Schwarzer) rollten noch vor dem Spruch aus Bayreuth den Teppich der Resozialisierung aus: Wer hätte nicht schon einmal geschummelt? KT, die Lichtgestalt - einer wie wir.

Versuche, dem populistischen Sentiment, gern verbunden mit einem Ressentiment gegen die Fußnoten-Wissenschaft, mit Argumenten entgegenzutreten, stießen weitgehend auf taube Ohren. Dass Studierenden bei Plagiat der Ausschluss von Prüfungen, im Wiederholungsfall vom Studium droht - so what? Dass wissenschaftliche Autoren, so sie denn plagiieren, Ideendiebstahl und Betrug durch Vortäuschen einer nicht erbrachten Leistung begehen - gibt es nichts Schlimmeres?

Anders die Reaktionen in den Universitäten. Lehrende und Studierende fragten sich, ob vor dem Urhebergesetz, seinem Zitiergebot und den Regeln guter wissenschaftlicher Praxis alle Autoren wirklich gleich sind. Und schauten mit Spannung nach Bayreuth. Würde die Promotionskommission, die sich mit prüfendem Blick über die Plagiatcollage beugte, den berühmten Sohn schonen? Oder der Finte seines Titelführungsverzichts auf den Leim gehen?

Sie tat es nicht wirklich, ließ sich ihre Prüfung wohl erleichtern und beschleunigen, aber (was im Übrigen rechtswidrig gewesen wäre) nicht abnehmen. Die Kommission entschied, den für Promotionen geforderten Befähigungsnachweis habe Guttenberg nicht erbracht, weil er weder benutzte Literatur und Hilfsquellen vollständig angegeben noch die anderswo entnommenen Quellen vollständig kenntlich gemacht habe.

Gewissen und Täuschungsvorsatz

Mit Guttenbergs verschämtem Eingeständnis unbewusster, handwerklicher Fehler - eine groteske Aussage, angesichts der Fülle abgekupferter Passagen und manipulierter Fremdtexte - konnte dieser einen Teilsieg erringen, zumindest vorläufig. Zwar nahm die Kommission keine Heilung der Mängel durch das Bestehen der Doktorprüfung an (wie auch?), zu einer Antwort auf die Frage des Täuschungsvorsatzes wollte sie sich aber nicht durchringen.

Gerügt wurde eine "objektive Täuschungshandlung". Damit dürften gemeint sein: ein erheblicher Verstoß gegen die Zitierpflicht und das der Doktorarbeit beizufügende Ehrenwort, die Dissertation selbständig und quellengenau verfasst zu haben. Bei strikter Anwendung des §16 der Promotionsordnung hätte hier auf absichtliche Täuschung erkannt werden müssen. Um dieser Prüfung auszuweichen, griffen die mutlosen Juristen der Kommission auf Artikel 48 des Bayerischen Verwaltungsverfahrensgesetzes zurück. Der aber lässt die für den Verteidigungsminister schonendere Rücknahme eines Verwaltungsaktes aufgrund wesentlich unrichtiger oder unvollständiger Angaben zu.

Deutlicher äußert sich die Rechtsprechung. Das Weglassen der Quellenangaben qualifizierte der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg wiederholt als Täuschung, die zur Entziehung des Doktorgrades berechtige (Az.9 S 2435/99). Ähnlich argumentierte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (Az.7 B 05.388). Nur 130 wörtliche Zitate ohne genaue Quellenangabe in einer Dissertation wertete das Gericht als schweren "Verstoß gegen grundlegende Maßstäbe wissenschaftlichen Arbeitens" und wies den Einwand der Klägerin, sie habe die Arbeit "mit bestem Wissen und Gewissen gefertigt und niemals Täuschungsvorsatz gehabt", als "unerheblich" zurück.

Einer Doktorandin müsse "bekannt sein, dass eine solche Vorgehensweise in wissenschaftlichen Arbeiten unzulässig" sei. Diese Urteile hatten vor dem Bundesverwaltungsgericht und auch dem Bundesverfassungsgericht Bestand. Aus ihnen folgt: Wer sich in Texten anderer Autoren bedient und durch Verschweigen der Quellen seine Spuren verwischt, begeht eine Täuschung.

Also ist über Täuschung und Plagiat, über Ideendiebstahl und Betrug zu reden. Nicht über allzu menschliches Schummeln und handwerkliche Fehler. Freilich: Der wissenschaftliche Autor zu Guttenberg verwahrte sich noch im Parlament gegen den Begriff Plagiat. Er habe "niemals bewusst getäuscht". Und gab damit zu erkennen, dass er die Täuschung seiner Gutachter nun als Täuschung der Öffentlichkeit fortzusetzen gedenkt. Die Bayreuther Kommission hat dieser Strategie nicht das Wasser abgegraben, sie wohl aber erschwert. Es ist an der Zeit, der Mär vom "vielbeschäftigten Politiker", der etwas "übersehen" haben könnte, den Garaus zu machen. Wer auch immer diese Doktorarbeit geschrieben haben mag, wird nicht als origineller Denker, sondern als Plagiator in die Wissenschaftsgeschichte eingehen.

Und die Moral? "Hoffnung ist das Ding mit Federn", schreibt Emily Dickinson in einem Gedicht. "Mit fremden", müsste ein Plagiator ergänzen. Hofft er doch, sein Ideendiebstahl möge sein Geheimnis bleiben und sich für ihn auszahlen. Diese Hoffnung trügt nicht immer, aber oft. Das Internet, lehrt Guttenbergs Fall, spielt dem bequemen Plagiator unzählige fremde Federn zu und straft ihn ab, wenn er sie allzu gierig nimmt.

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