Wikileaks und die Whistleblower:Sieben Quadratmeter Angst

Seit acht Monaten sitzt der US-Gefreite Bradley Manning in Haft, weil er Militärgeheimnisse an Julian Assanges Enthüllungsplattform verraten haben soll. Ist der Fall Manning ein Fall Wikileaks?

Janek Schmidt

Die Vorwürfe wiegen schwer, und neben dem menschlichen Leid eröffnen sie auch eine politische Dimension. Bereits am 19. Januar beklagte die Menschenrechtsorganisation Amnesty International in einem Brief an US-Verteidigungsminister Robert Gates die Haftbedingungen des mutmaßlichen Wikileaks-Informanten Bradley Manning. Doch anstatt dem Häftling im Militärgefängnis Quantico im US-Bundesstaat Virginia mehr Freiheiten einzuräumen, hat die Gefängnisverwaltung nun die Zwangsmaßnahmen für ihn verschärft und damit auch eine Debatte zu der Frage befeuert: Welche Schuld trifft Wikileaks an der Qual des angeblichen Informanten?

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Wie kann man gerade im Internet seine Informanten schützen? Die Not des 23-jährigen Gefreiten Bradley Manning wirft einen Schatten auf die Arbeit der Enthüllungsplattform Wikileaks.

(Foto: AFP)

Die Notlage des 23-jährigen Häftlings ist nach Angaben von Amnesty International tatsächlich erschreckend. Nicht nur müsse er seit acht Monaten täglich 23Stunden in einer weniger als sieben Quadratmeter kleinen Zelle verbringen, die kein Fenster mit Blick ins Freie habe. Als Insasse unter "maximaler Aufsicht", der zweitstrengsten von sieben Häftlings-Kategorien, würden zudem seine Hände und Füße gefesselt, wenn er Besuch erhalte. Vor allem führe seine Einstufung in ein Programm zur "Verhinderung der Selbstverletzung" dazu, dass Gefängniswärter alle fünf Minuten seinen Zustand überprüften, er tagsüber nicht schlafen und nachts nur Boxershorts tragen dürfe, damit er sich nicht mit anderen Kleidungsstücken Schaden zufüge.

Aus diesem aufgezwungenen Schutzprogramm versuchte sich Manning zu befreien. Nach Auskunft seines Anwalts, David Coombs, der auf die Verteidigung von Soldaten spezialisiert ist, wurde ein entsprechender Antrag jedoch vergangene Woche abgelehnt. Daraufhin habe Manning frustriert von sich gegeben, die Regelung sei "absurd". Wenn er sich verletzen wolle, könne er das auch mit dem Gummiband seiner Unterwäsche oder seinen Plastik-Sandalen tun. Zwar stufte nach Auskunft von Mannings Anwalt sogar der Gefängnis-Psychiater die Gefahr einer Selbstverletzung als "niedrig" ein. Dennoch reagierte die Gefängnis-Leitung sofort auf Mannings Kommentar: Nun darf er nach Anwaltsangaben nachts gar keine Klamotten mehr tragen und muss auch zum Morgenappell nackt antreten.

Für Kritiker von Wikileaks sind diese Schilderungen eine Erinnerung daran, wie groß die Gefahren für Informanten der Veröffentlichungs-Webseite sind. Zwar ist unklar, ob Manning tatsächlich die Wikileaks-Quelle war und wie er enttarnt wurde. Der Vorwurf gegen ihn basiert auf einem Internet-Chat mit dem Hacker Adrian Lamo, von dem unverifizierbare Auszüge mit einem Bekenntnis von Manning veröffentlicht wurden. Drei Monate nach Mannings Verhaftung wurde auf einer Computerkonferenz in Las Vegas das ominöse US-Regierungsprogramm "Vigilant" vorgestellt. Mit diesem Programm soll es US-Sicherheitsexperten gelungen sein, Mannings verdächtiges Verhalten im Internet aufzuspüren und ihm in Chats sein Geständnis zu entlocken.

Einige Computer-Experten bezweifeln diese Geschichte und vermuten hinter ihrer Verbreitung einen Versuch der USA, potentielle Informanten abzuschrecken. Doch unabhängig von Mannings Motivation für sein Bekenntnis verweisen Kritiker von Wikileaks auf eine grundsätzliche Schwäche der Organisation: Während traditionelle investigative Journalisten ihre Informanten zur Diskretion mahnen und ihnen sogar helfen, mögliche Spuren zu verwischen, gibt es bei Wikileaks keine solche Betreuung für unerfahrene Quellen. So half die Organisation Manning erst nach dessen Verhaftung und sammelte bis Januar 2011 umgerechnet knapp 12000 Euro Spenden für Anwaltskosten. Wie viel Manning von dem Geld erhielt, ist jedoch unklar.

Daniel Domscheit-Berg, früherer Sprecher von Wikileaks und einer der Gründer der neuen Veröffentlichungs-Plattform Openleaks, räumt ein: "Für mich war Mannings Verhaftung der schlimmste Moment bei Wikileaks." Schon davor, aber erst recht danach habe er sich viele Gedanken über Quellenschutz gemacht. Dabei habe Wikileaks ein System entwickelt, das die Argumentation traditioneller Journalisten umdreht: "Wenn ein Informant mit einem Zeitungsreporter arbeitet, riskiert er, dass dieser über ihn spricht oder gerichtlich dazu gezwungen wird", sagt Domscheit-Berg. Bei dem Einsende-System von Wikileaks - und auch bei Openleaks - sei gar nicht zu erkennen, wer Dokumente einreicht, wie bei einem Brief ohne Absender. "Somit besteht zumindest keine Gefahr, dass ein Informant von anderen verraten wird."

Doch auch Daniel Domscheit-Berg räumt ein, dass eine Betreuung von Quellen wichtig ist. "Dafür sollen bei Openleaks die Stärken von zwei Partnern verbunden werden: eine gute technische Plattform und die Erfahrung von Journalisten", sagt er.

Dafür prüfen Entwickler der Gruppe derzeit, ob sie einen sogenannten Rückkanal einrichten können. Über einen solchen Kommunikationsweg könnten Journalisten, ohne ihre Quelle zu kennen, Nachrichten mit Tipps für ihren Informanten hinterlassen. "Es ist auch technisch eine komplizierte Strategie", sagt Domscheit-Berg, "und wir sind da noch am Anfang einer langen Entwicklung."

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