Waffenexporte:Schwellenländer rüsten auf

Friedensforscher warnen: Bei Rüstungsexporten schauen Industriestaaten oft nur aufs Geschäft. Die Sicherheitspolitik und der konkrete Abnehmerkreis spielen nur eine untergeordnete Rolle - das erweist sich als fatal.

Gunnar Herrmann

Die Schwellenländer rüsten auf und die Industriestaaten suchen neue Absatzmärkte für ihre Waffenindustrie. Aus diesem Grund hat der Handel mit Kriegsmaterial im vergangenen Jahrzehnt zugenommen.

Centennial of Naval Aviation

Vor allem in Schwellenländern finden die Industriestaaten Abnehmer für ihre Rüstungsgüter.

(Foto: AP)

Wie das Stockholmer Friedensforschungsinstitut Sipri an diesem Montag bekanntgibt, lag das Volumen der internationalen Rüstungsgeschäfte in den Jahren 2006 bis 2010 um 24 Prozent über jenem im Zeitraum von 2001 bis 2005.

Etwa 30 Prozent aller Waffenlieferungen stammen demnach aus den USA, die damit größtes Exportland sind, gefolgt von Russland und Deutschland. Größter Abnehmer von Kriegsmaterial ist Indien, das für neun Prozent der Rüstungseinkäufe steht. Besonders die europäischen Waffenhersteller hätten in den vergangenen Jahren stark um Aufträge im Ausland geworben und dabei Unterstützung von ihren Regierungen erhalten, erklärt Mark Bromley, Europaexperte bei Sipri.

Ein "exzellentes Beispiel" für diesen harten Wettbewerb der Europäer im Waffengeschäft ist den Friedensforschern zufolge Libyen. Nach der Aufhebung des Waffenembargos im Jahr 2003 hätten insbesondere Frankreich, Italien, Russland und Großbritannien versucht, größere Aufträge vom Gaddafi-Regime zu erhalten, sagt Pieter Wezeman, der für Sipri Waffenexporte nach Nordafrika untersucht.

Die Rüstungskonzerne hätten gehofft, dass nach mehr als zehn Jahren Handelsverbot ein großer Nachholbedarf besteht. Allerdings wurden sie enttäuscht - es kamen lediglich kleinere Deals zustande, bei denen unter anderem bereits vorhandene Waffensysteme wie etwa Kampfflugzeuge etwas modernisiert wurden.

Große Geschäfte mit Libyen blieben aus - zum Glück

Große Bestellungen blieben dagegen aus. Anfang dieses Jahres wurden dann die Sanktionen gegen Libyen wegen des Bürgerkriegs wieder eingeführt. Warum Muammar al-Gaddafi nach dem Ende des Embargos 2003 seine Chance zur Aufrüstung nicht stärker nutzte, ist Wezeman zufolge unklar. "Vielleicht wollte er den Preis ein wenig drücken, vielleicht vertraute er einfach seiner Armee nicht genug, um sie mit neuen Systemen auszustatten", sagt der Forscher.

Angebote hatte der Diktator einige. So hofften die Franzosen, ihm bei seinem Staatsbesuch in Paris im Jahr 2007 neue Kampfjets vom Typ Rafale zu verkaufen. Und als Tony Blair im selben Jahr nach Tripolis reiste, hatte er eine Abordnung der britischen Rüstungsindustrie in seinem Gefolge, die unter anderem ein neues Luftabwehrsystem an Libyen liefern wollte.

Heute, da in Europa über einen militärischen Einsatz gegen Libyen nachgedacht wird, dürfte man froh sein, dass aus diesen Geschäften nichts wurde.

Die Märkte im eigenen Land schrumpfen

Wezeman sagt, die Vorgänge seien ein typisches Beispiel dafür, dass bei Rüstungsgeschäften oft ökonomische Überlegungen im Vordergrund stünden. "Es wäre aber wünschenswert, dass man den Waffenhandel stärker unter sicherheitspolitischen Aspekten betrachtet", meint der Forscher. "Man hätte sich fragen sollen: Dient es unserer Sicherheit, wenn Gaddafi diese Waffen bekommt? Und was bedeutet es für die Sicherheit der Region? Und für die Sicherheit der Menschen, die in Libyen leben?"

Hintergrund des Werbens der Industriestaaten um neue Absatzmärkte für ihre Waffen ist insbesondere das ständige Schrumpfen der eigenen Rüstungsbudgets. Da die heimischen Armeen immer weniger Geld für neues Material ausgeben können, drohen in der europäischen Waffenindustrie Pleiten und der Verlust vieler Arbeitsplätze.

Um dies zu verhindern - und um zu garantieren, dass weiterhin komplexe Waffensysteme wie zum Beispiel Kampfflugzeuge im eigenen Land entwickelt werden können - sucht man Kunden im Ausland. "Es gibt einen harten Wettbewerb zwischen den Lieferanten um große Rüstungsaufträge in Asien, dem Nahen Osten, Nordafrika und Lateinamerika", fasst Paul Holtom, Direktor des Waffenhandelsprogramms bei Sipri, zusammen.

Indien zum Beispiel, das größte Abnehmerland, kauft unter anderem wegen des schwelenden Konfliktes mit Pakistan, der Rivalität mit dem großen Nachbarn China und auch wegen Sicherheitsproblemen im eigenen Land so viele Rüstungsgüter. Größter Lieferant war in den vorigen Jahren Russland.

In Indien ist Sipri zufolge auch zu beobachten, wie Schwellenländer versuchen, sich eine eigene, moderne Waffenindustrie aufzubauen. Die Bestellung wird oft an Bedingungen wie Technologietransfer oder die Verlagerung von Teilen der Fertigung nach Indien geknüpft. Um sich Aufträge zu sichern, würden Konzerne sich auf solche Forderungen einlassen. Deutschland konnte seine Exporte im vergangenen Jahrzehnt deutlich mehr steigern, als viele der anderen Industriestaaten.

Deutscher Waffenexport hat sich nahezu verdoppelt

Von 2006 bis 2010 verkauften deutsche Waffenhersteller 93 Prozent mehr ins Ausland als in den fünf Jahren zuvor. Deutschland konnte in der Rangliste der größten Waffenexporteure von der vierten an die dritte Stelle aufrücken. Besonders begehrt sind deutsche Kriegsschiffe - sie stehen für insgesamt 43 Prozent des Exportvolumens - gefolgt von gepanzerten Fahrzeugen, von denen seit 2006 mehr als 2300 Stück ins Ausland verkauft wurden.

Die deutschen Rüstungslieferungen gingen zu 43 Prozent an europäische Staaten. Bester Kunde war Griechenland, das unter anderem mehrere U-Boote bestellt hat. Wegen der angespannten Haushaltslage in Athen ist Sipri zufolge aber damit zu rechnen, dass dieser Markt künftig weniger lukrativ sein wird. Weitere große Abnehmer deutscher Waffen waren Südafrika, die Türkei, Südkorea und Malaysia.

Das Friedensforschungsinstitut Sipri gibt jedes Jahr eine Statistik zur Entwicklung der internationalen Waffengeschäfte heraus. Die Daten werden von den Forschern ausschließlich aus öffentlichen Quellen wie Regierungsberichten, Zeitungen und Fachmagazinen erhoben.

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