Atomkatastrophe in Japan: Fragen und Antworten:Kommt es zur nuklearen Explosion?

Die Betreiber des Kernkraftwerks Fukushima-1 haben nur improvisiert - das Austreten von Radioaktivität konnten sie nicht verhindern. Gab es bereits eine Kernschmelze? Ist Fisch aus Japan noch genießbar? Und lohnt es sich, Jodtabletten zu nehmen?

Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen.

Die Schreckensmeldungen nehmen kein Ende. Nach dem Brand und einer Explosion in der Nacht zum Dienstag ist die innere Schutzhülle des Reaktors 2 in Fukushima beschädigt. Die meisten in den Kontrollräumen arbeitenden Spezialisten wurden abgezogen, weil die Gefahr der radioaktiven Verseuchung zu groß geworden ist. Einige wenige harren aus, das Atomkraftwerk ist also noch nicht aufgegeben worden. Niemand kann sagen, ob mit der Rumpfmannschaft ein weiteres Ansteigen der Hitze und ein Bersten des Stahlmantels um den Reaktorkern zu verhindern ist. Für Mittwoch wird eine Windrichtung erwartet, die günstig ist für Tokio.

Was passiert mit einem Kernkraftwerk ohne Arbeiter?

Der Zustand, den die Blöcke 1 bis 3 des Kraftwerkskomplexes Fukushima 1 zurzeit haben, kann nach Meinung von Experten ohne menschliches Zutun nicht gehalten werden. Die Reaktoren würden über kurz oder lang in die Kernschmelze übergehen.

Derzeit wird mit Anlagen, die dafür nicht geeignet sind, Meerwasser in die Reaktoren gepresst, was kein Betriebshandbuch vorsieht. Es fließt dabei vermutlich auf Wegen durch die Rohrleitungen, die unkonventionelle Stellungen von Ventilen voraussetzen. Sollten die letzten Mitarbeiter wegen der Strahlenbelastung abgezogen werden, würden irgendwann Pumpen versagen, Ventile blockieren oder den Notstromaggregaten der Treibstoff ausgehen.

"Weglaufen geht nicht", sagt Lothar Hahn, ehemaliger Geschäftsführer der Gesellschaft für Reaktorsicherheit (GRS). "Das sind alles keine Routinemaßnahmen, die sich automatisieren ließen." Allerdings ist unbekannt, ob die japanischen Anlagen womöglich einen entfernten Kontrollraum haben. In solchen Notstandswarten ließen sich immerhin die Vitalfunktionen eines Reaktors steuern, sagt ein Sprecher der GRS.

(cris)

Hat die Kernschmelze bereits eingesetzt?

Fachleute nehmen an, dass Brennelemente zumindest zum Teil geschmolzen sind; auch die Betreiber und die japanische Regierung bestätigen das oder schließen es jedenfalls nicht mehr aus. Ob der Vorgang jedoch gestoppt wurde oder weitergeht, ist unklar. Kabinettschef Yukio Edano hat seine Landsleute jedenfalls vor Gesundheitsgefahren durch die ansteigende radioaktive Strahlung aus nunmehr vier Reaktorblöcken gewarnt.

In Block 4 hat es ein Feuer in einem sogenannten Abklinglager für gebrauchte Brennelemente gegeben. Die Blöcke 1 bis 3 sind außer Kontrolle, weil alle normalen Maßnahmen versagt haben. Sie werden mit Meerwasser notgekühlt, das die Brennelemente nach Aussagen des Verbands der Atomindustrie zur Hälfte umspült hat; die japanische Atomaufsicht Nisa hat diese Maßnahme als stabil bezeichnet.

Den drei Blöcken gemeinsam ist, dass die Brennelemente überhitzt sind und schwere Schäden erlitten haben. Sonst hätte sich weder Wasserstoff gebildet, der in allen drei Reaktoren explodiert ist und die Gebäudehülle beschädigt hat, noch wäre strahlendes Cäsium beim Ablassen von radioaktivem Dampf oder durch Lecks in den Sicherheitsbehältern in die Umwelt gelangt.

Bei Block 2 nehmen japanische Behörden und Industrievertreter inzwischen an, dass dort das sogenannte Containment beschädigt ist, also der äußere, auf hohen Überdruck ausgelegte Mantel aus Stahlbeton um den Reaktorkern. Ab einer Temperatur von etwa 900 Grad Celsius heizt nicht nur die Wärme aus andauernden radioaktiven Zerfällen die Brennelemente auf, sondern auch die Oxidation der Hüllrohre aus einer Zirkonlegierung.

Als einigermaßen sicher gelten die abgeschalteten Reaktoren erst, wenn sie den sogenannten Cold Shutdown erreicht haben und die Temperatur im Kern unter 100 Grad Celsius gesunken ist.

(cris)

Was passiert mit den verbrauchten Brennstäben?

Explosion at nuclear plant

Explosion im Atomkraftwerk Fukushima-1 in Japan: Derzeit wird mit Anlagen, die dafür nicht geeignet sind, Meerwasser in die Reaktoren gepresst.

(Foto: dpa)

Im Block 4 hat es am frühen Dienstagmorgen deutscher Zeit einen Brand und eine Explosion im Abklinglager für gebrauchte Brennelemente gegeben. Diese werden einige Jahre lang in einem Wasserbecken aufbewahrt, das in Siedewasserreaktoren wie den Fukushima-Blöcken im Dachgeschoss des Reaktorgebäudes eingebaut ist. Das Wasser dämpft die austretende Strahlung und nimmt die Nachwärme auf; ungekühlt könnten die Elemente schmelzen.

Offenbar hatte in Block 4 auch die Kühlung des Beckens versagt, sodass das Wasser verkochen konnte, oder der Pegel ist aus anderen Gründen gefallen. Dann dürfte sich Wasserstoff an den erhitzten Brennelementen gebildet haben, der später explodierte. Das Feuer wurde gelöscht, aber der Brand hat durch die beschädigte Gebäudehülle viel Radioaktivität in die Atmosphäre getragen.

Dieses Ereignis lenkt die Aufmerksamkeit auf die Abklingbecken anderer Blöcke, die alle nur durch die Gebäudehülle geschützt sind. Da die Reaktoren 1 und 3 ihr Dach verloren haben, sind die Lager womöglich nun direkt der Umwelt ausgesetzt. Über die Zustände in den Becken gibt es keine Informationen. Der Verband der japanischen Atomindustrie vermerkt seit Dienstagmittag deutscher Zeit jedoch, dass in den Abklingbecken der Meiler 5 und 6, die bisher als sicher galten, die Temperatur steigt. In den Lagern können ebenso viele Brennelemente stehen wie im Reaktorkern. Ihr nukleares Inventar ist gefährlich, weil sie viel strahlende Spaltprodukte enthalten.

In der Wiederaufbereitungsanlage in Rokkasho in Nordjapan hat sich die Naturkatastrophe hingegen vergleichsweise glimpflich ausgewirkt. Auch diese Anlagen, in denen gebrauchte Brennelemente verwahrt und zu neuem Nuklearmaterial verarbeitet werden, sind auf funktionierende Kühlung angewiesen. Im Gegensatz zum Atomkraftwerk in Fukushima sprangen dort jedoch die Dieselgeneratoren problemlos an.

Am Freitagabend und Samstag mussten die Ingenieure zwei Lecks flicken. Noch am Sonntag wurden die Wiederaufbereitungsanlage und die Urananreicherung wieder auf externen Strom umgestellt, am Dienstagmorgen folgte die Kühlung für das Abklingbecken. Erhöhte Radioaktivität sei in der Umgebung nicht gemessen worden, meldet der Betreiber.

(cris/weis)

Welche Schäden richtet Radioaktivität im Meer an?

Vor der japanischen Küste gelangen radioaktive Stoffe derzeit über die Luft in den Pazifik - und vermutlich auch mit dem verseuchten Kühlwasser, das zurück ins Meer geleitet wird. "In Japan würde ich jetzt nicht unbedingt frischen Fisch essen", sagt Ulrich Rieth vom Institut für Fischereiökologie am Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut in Hamburg. "Für deutsche Verbraucher besteht aber momentan kein Grund zur Sorge"" Die Edelgase Xenon und Krypton seien reaktionsträge und daher keine Bedrohung.

Gefährlicher seien radioaktives Jod und Cäsium. "Doch die werden im Meer so stark verdünnt, dass sie die Fische kaum belasten", sagt Rieth. Jod ist sehr kurzlebig und nach 80 Tagen vollständig zerfallen. Algenblätter für Sushi zum Beispiel, die lange getrocknet werden, enthalten also keine bedenklichen Jodmengen mehr. Cäsium ist langlebiger - noch heute werden in der Ostsee höhere Cäsiumwerte gemessen als in der Zeit vor Tschernobyl; sie sind aber unbedenklich.

So sorgt auch im Pazifik der Wasseraustausch für eine effektive Verteilung des radioaktiven Metalls und somit für eine geringe Cäsiumkonzentration in Fischen. Deutschland hat im vergangenen Jahr 1,9 Millionen Tonnen Fischereierzeugnisse importiert. Davon stammten nur 76 Tonnen aus Japan, darunter Pazifischer Pollack, Thunfisch und Wildlachs

(fue)

Ist der Großraum Tokio akut bedroht?

Japan nach dem Tsunami - Soldaten mit Schutzmasken

Japanische Soldaten in Schutzkleidung: Den drei Reaktorblöcken von Fukushima-1 ist gemeinsam, dass die Brennelemente überhitzt sind und schwere Schäden erlitten haben.

(Foto: dpa)

Noch am Dienstagmorgen deutscher Zeit berichteten diverse Internet-Dienste von einer "radioaktiven Wolke", die in Richtung Tokio ziehe. Ursache hierfür sei der mittlerweile aus Norden kommende Wind. Doch ein Blick auf die Daten der von den USA betriebenen Wetterstation am Flughafen Fukushima hätte gezeigt: Solche Schreckensmeldungen sind nicht gerechtfertigt.

Zwar wehte der Wind in der Region Fukushima am Montagabend deutscher Zeit nach Süden, aber nur schwach und wenige Stunden lang. Diese Luftbewegungen haben der Präfektur Ibaraki südlich von Fukushima zeitweise erhöhte Strahlungswerte eingebracht, aber keine bedrohliche Partikelwolke nach Tokio getragen. Das zeigen auch Computersimulationen der US-Behörde für Atmosphäre und Ozeane Noaa.

Die Noaa hat Wanderungen von Luftpaketen simuliert, die unter den aktuellen Wetterbedingungen vom Kraftwerk Fukushima ausgehen. Demnach zogen Partikelwolken am Dienstag auf das offene Meer hinaus (was auch für Mittwoch erwartet wird). Am Dienstag war die Windrichtung in Fukushima uneinheitlich.

Am Mittwoch soll kräftiger Wind aus Nordwest in Richtung Meer einsetzen. Zudem hat leichter Regen eingesetzt, was hoffen lässt, dass ein Teil der aktuell austretenden radioaktiven Partikel aus der Luft gewaschen wird.

(pai)

Was ist in den anderen Kernkraftwerken Japans los?

Nach dem Erdbeben und dem nachfolgenden Tsunami hat Japan außer in dem havarierten Kernkraftwerk Fukushima 1 auch in der nur zwölf Kilometer entfernten Anlage Fukushima 2 mit ihren vier Reaktoren den Notstand ausgelöst. Die Kühlsysteme von Block 1 bereiteten Probleme, auch bei Block 4 traten später Komplikationen auf. Allerdings war offenbar nicht der Primärkreislauf blockiert, also das Wasser, das die Brennelemente umströmt.

Infolge des Tsunamis fehlte wahrscheinlich Meerwasser, um dem Kühlmittel in Wärmetauschern ausreichend Hitze entziehen zu können, was zu einem Anstieg von Druck und Temperatur in den Reaktoren führte. Nach Angaben des Betreibers Tepco, dem auch Fukushima 1 gehört, ist es aber inzwischen gelungen, alle vier Reaktoren in einen stabilen Zustand zu versetzen, bei dem kein Überdruck im Kühlsystem besteht und die Temperatur unter 100 Grad Celsius liegt.

Im Kernkraftwerk Onagawa, einer Anlage mit drei Blöcken, war ein Brand in der Turbinenhalle ausgebrochen, der aber in der Nacht auf den 12. März gelöscht wurde. Nach Angaben der japanischen Atomaufsichtsbehörde Nisa sind alle drei Blöcke abgeschaltet und mindestens zwei davon im gleichen, stabilen Zustand wie Fukushima 2.

Erhöhte Messwerte für Radioaktivität hatten am Sonntag erneut Alarm ausgelöst. Die Behörden führten dies aber auf Strahlung zurück, die in Fukushima 1 freigesetzt worden sei. Ebenfalls am Sonntag fiel im Atomkraftwerk Tokai nach Angaben der Feuerwehr eine Kühlpumpe aus, laut dem Betreiber ist eine ausreichende Kühlung durch andere Pumpen aber sichergestellt.

(pkr)

Kann es zu einer nuklearen Explosion kommen?

Kernbrennstoff wird in einem Reaktorkern sehr sorgfältig angeordnet, damit die Kettenreaktion auf einem kontrollierten Niveau gehalten werden kann. Bei einer kompletten Kernschmelze fließen Urantabletten, Hüllrohre, Abstandshalter und Steuerstäbe als glühender Brei zusammen. Die Techniker in der Leitwarte haben dann keinerlei Kontrolle mehr über die Abstände der einzelnen Bestandteile.

Damit in dieser Situation die zuvor unterbrochene Kettenreaktion nicht wieder in Gang kommt, geben die Helfer in Fukushima zurzeit reichlich Borsäure zum kühlenden Meerwasser. Sie fängt Neutronen ab, die Urankerne zur Spaltung anregen. Darum halten es Fachleute für unwahrscheinlich, dass bei einer Kernschmelze Uran-235 eine kritische Dichte bekommt und die Kettenreaktion wieder anspringt.

Und selbst wenn es in einem kleinen Bereich passierte, in den vielleicht nicht genug Bor vorgedrungen ist, würde die entstehende Wärme die Kernbrennstoffe vermutlich auseinandertreiben. Die nukleare Explosion ist daher unwahrscheinlich, aber nicht kategorisch physikalisch ausgeschlossen.

(cris)

Sind Jodtabletten jetzt sinnvoll?

Gegen radioaktive Strahlung schützt grundsätzlich kein Medikament, denn diese schädigt den Körper nicht chemisch - wie etwa bei einer Vergiftung -, sondern physikalisch: Radioaktives Material bombardiert die Moleküle des Körpers und zertrümmert sie. Insofern wirken Jodtabletten nur indirekt. Indem sie die Schilddrüse mit nichtradioaktivem Jod sättigen, soll verhindert werden, dass sich strahlende Jod-Varianten in diesem empfindlichen Organ ansammeln.

Radioaktives Jod gilt als besonders gefährlich für den Organismus, weil es je nach Variante eine verhältnismäßig kurze Halbwertszeit von Stunden bis zu Tagen besitzt. Das bedeutet, die Jod-Atome entladen einen Großteil ihrer zerstörerischen Aktivität in diesen relativ kurzen Zeiträumen.

Die kurze Halbwertszeit von Jod ist aber auch ein Grund, warum die Einnahme von Jod-Tabletten in Deutschland derzeit nicht nötig ist: Bis Jod-Isotope aus Fukushima über die Stratosphäre nach Deutschland gelangen, haben sie ihre Gefährlichkeit praktisch verloren. Außerdem wären bei akuter Strahlenbelastung Jod-Dosierungen nötig, die nicht ohne ärztlichen Rat eingenommen werden sollten.

(pai)

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