Japan: Kraftwerksbetreiber Tepco:Lug und Trug

Der Atomkraftwerksbetreiber Tepco ist für seine miese Geschäftspolitik berüchtigt. Und in der aktuellen Not geben die Verantwortlichen ein jämmerliches Bild ab.

Silvia Liebrich und Christoph Neidhart

Am Dienstag, fünf Tage nach dem verheerenden Erdbeben, riss Japans Premier Naoto Kan der Geduldsfaden. Fünf nervenzermürbende Tage lagen hinter ihm, in denen immer deutlicher wurde, was zunächst niemand wahrhaben wollte: Japan steuert auf eine atomare Katastrophe zu. "Was ist hier eigentlich los", soll der Regierungschef in die Runde gebrüllt haben, in der führende Manager des Energiekonzerns Tepco zum Rapport versammelt waren. Das Unternehmen betreibt die außer Kontrollen geratenen Atommeiler des Kernkraftwerks Fukushima. "Auf Euch kommt es jetzt an, ein Rückzug ist nicht denkbar, reißt Euch endlich zusammen", schleuderte er den völlig überforderten Verantwortlichen von Tepco entgegen.

Masataka Shimizu Takashi Fujimoto

Die Havarie der Reaktoren in Fukushima ist eine Blamage für die Verantwortlichen. Masataka Shimizu (im Bild vorne), der Chef der Betreiberfirma Tokyo Electric Power Company, musste scharfe Kritik von Regierungschef Kan einstecken. Nach einem Wutanfall hat der Premier selbst die Leitung des Krisenstabs übernommen, der verzweifelt gegen den GAU kämpft.

(Foto: AP)

Nicht nur die japanische Bevölkerung, auch die Regierung fühlt sich vom Management des Atomkonzerns im Stich gelassen. Offenbar hatte man den Premierminister und sein Kabinett die ersten Tage über das wahre Ausmaß der Katastrophe im Unklaren gelassen. Kan erfuhr angeblich erst aus dem Fernsehen, was sich in den stark beschädigten Meilern von Fukushima zusammenbraute. Das weckt Erinnerungen an Tschernobyl. Auch der damalige Kreml-Chef Michail Gorbatschow wurde 1986 erst nach vier Tagen über den Super-GAU in der Ukraine informiert.

Verschanzt hinter Sprechern

Japans Premier hat nun selbst die Leitung des Krisenstabs übernommen, der die Atomkatastrophe in den Griff bekommen soll. Kan ließ ihn direkt am Firmensitz von Tepco einrichten. Kein Wort dazu von Konzernchef Masataka Shimizu, der damit endgültig sein Gesicht verloren haben dürfte. Er verschanzt sich seit Ausbruch der Krise hinter seinen Firmensprechern und überlässt Rechtfertigungen und Erklärungen lieber anderen. Dabei hatte er im September vergangenen Jahres noch ganz andere Töne angeschlagen. Damals stellte der 66-Jährige die künftige Strategie von Tepco vor, zusammengefasst in einem Papier mit den vielversprechenden Titel "2020 Vision". Man wolle endlich wieder wachsen und mit Atomkraft vor allem auch im Ausland expandieren, versprach er. "Tepco wird einen Neuanfang machen", schreibt er im Vorwort des Papiers.

Shimizus Verheißung endet nun in einem Desaster, nicht nur für den Konzern, sondern für ganz Japan. Dabei sollten der Manager, der im Sommer 2008 sein Amt antrat, Japans größten Energieversorger endlich wieder auf den richtigen Weg bringen. Dessen Image leidet seit Jahrzehnten unter den dubiosen Machenschaften seiner Führung. Immer wieder geriet der Konzern wegen atomarer Störfälle, Vertuschungsversuche und Betrügereien in die Schlagzeilen. Behörden wurden systematisch getäuscht oder gar bestochen, um gefährliche Zwischenfälle in einigen der 17 Reaktoren des Konzerns zu vertuschen. Die Regierung in Tokio ließ deshalb 2002 alle Anlagen des Konzerns vorübergehend stilllegen und überprüfen. Als diese gut ein Jahr später wieder in Betrieb gingen, gab es heftige Proteste der Bevölkerung.

Doch die Regierung wiegelte ab und setzte sich über die Bedenken vieler Japaner hinweg. Trotzdem kam es auch danach immer wieder zu gefährlichen Zwischenfällen. Als 2007 durch ein Beben ein Reaktor beschädigt wurde und radioaktiver Dampf entwich, wurde auch das vom Unternehmen zunächst verschwiegen. Wie sich kurz darauf herausstellte, entging Japan schon damals nur knapp einer Katastrophe. Shimizus Vorgänger Tsunehisa Katsumata musste gehen. Auch er war, wie schon andere vor ihm daran gescheitert, die verkrusteten Strukturen des Konzerns aufzubrechen und umfassenden Sicherheitskonzepte durchzusetzen.

Symbol des Wirtschaftswunders

Der Name Tepco, die Abkürzung für Tokyo Electric Power Company, steht für einen der mächtigsten Energiekonzerne der Welt. Er gilt zugleich als Symbol für das japanische Wirtschaftswunder nach dem Zweiten Weltkrieg. Der Konzern wurde in den 50er Jahren durch den Zusammenschluss mehrere regionaler Stromversorger gegründet. Tepco wirkte später entscheidend am Aufstieg Japans zur weltweit führenden Atomenergie-Nation mit. 1971 ging mit Block I des havarierten Kraftwerks Fukushima der erste Atommeiler Japans ans Netz. Eine technische Glanzleistung in den Augen vieler Japaner, die das neuartige Kraftwerk damals bejubelten.

Inzwischen betreibt das Unternehmen insgesamt 17 Reaktoren in Japan. Dazu zählt auch das größte Kernkraftwerk der Welt: Kashiwazki Kariwa. Zusammen liefern die Tepcos Anlagen in Japan etwa so viel Atomstrom wie alle Kernkraftwerke in Deutschland zusammengenommen. Zuletzt wies der Konzern mit mehr als 50000 Mitarbeitern einen Umsatz von umgerechnet knapp 40 Milliarden Euro aus. Damit zählt Tepco zu den fünf größten Stromkonzernen der Welt.

Doch die Strukturen des Konzerns konnten mit dem rasanten Wachstum des Konzerns kaum Schritt halten. Tepco eilt seit zwei Jahrzehnten der Ruf voraus, intransparent und schwerfällig zu sein. Als Shimizu vor drei Jahren auf den Posten des Präsidenten berufen wurde, sollte sich das gründlich ändern. Über den Mann, der sich an der Eliteuniversität Keio in Tokio zum Verwaltungsfachmann ausbilden ließ, ist in Europa nur so viel bekannt, dass er seine Karriere bei Tepco bereits 1968 begann, sich zielstrebig nach oben arbeitete, bis er schließlich 2006 den Posten des Vizepräsidenten übernahm.

Doch der Neue an der Spitze von Tepco war von Anfang an zum Scheitern verurteilt. Er brachte nach Einschätzung von Branchenbeobachtern nicht den frischen Wind mit, der für eine solche Aufgabe notwendig gewesen wäre. Die Informationspolitik des Unternehmens verbesserte sich auch unter seiner Führung nicht wesentlich, obwohl er vor zwei Jahren grundlegende Reformen ankündigte. Die Katastrophe von Fukushima bedeutet nicht nur das Aus für die Karriere Shimuzus, sondern vermutlich auch das Ende des Konzerns. Anleger verkauften panisch ihre Anteile. Nachdem sich der Kurs binnen eines Tages halbiert hatte, sind die Aktien seit Montag vom Handel ausgesetzt. Hoffnungsträger Shimizu ist zum Totengräber geworden.

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