Im Kino: In einer besseren Welt:Auf die Fresse

Zwei Jungs setzen sich gegen einen terroristischen Mitschüler zur Wehr und beschließen, nun alles Unrecht der Welt zu rächen: Susanne Biers oscargekrönter Film über Jungs und Männer, Friedfertigkeit und Gewalt.

T. Kniebe

Das Böse, auf das die Menschen in diesem Film reagieren müssen, zeigt seine Fratze zum ersten Mal in Afrika. Dort arbeitet Anton (Mikael Persbrandt), Arzt bei einer internationalen Hilfsorganisation, in einem nicht näher bestimmten Krisengebiet. Eine bewusstlose junge Frau wird mit der Schubkarre in seine Krankenstation gefahren. In ihrem Bauch klafft eine tiefe Wunde.

Kinostarts - 'In einer besseren Welt'

Anton (Mikael Persbrandt) ist Arzt im humanitären Einsatz und überzeugter Pazifist. Seine Frau Marianne (Trine Dyrholm) hat ihn allerdings trotzdem verlassen. Szene aus dem dänischen Film "In einer besseren Welt" von Susanne Bier.

(Foto: dpa)

Dann ein Schnitt, Anton hat die Frau operiert und gerettet, die Sonne steht tief über der Savanne, der Wind wirbelt Staubfahnen auf. Der Arzt ist erschöpft, verschwitzt, blutbesudelt. Auf der Tonspur dräuen atavistische Trommeln. Sein afrikanischer Kollege sagt, diese Art der Verletzung kenne er, sie sei das Werk eines lokalen Warlords namens Big Man. "Big Man sieht eine Schwangere und wettet mit seinen Kumpanen: Wird es ein Junge oder ein Mädchen? Dann schneidet er der Frau den Bauch auf, um nachzuschauen."

Dieser Vorschein der Gewalt bleibt zunächst ohne Folgen. Denn gleich geht es weiter nach Dänemark, in eine Gegend am Meer, wo Antons zwölfjähriger Sohn Elias (Markus Rygaard) zur Schule geht. Dort, in der ländlichen Provinzidylle, scheint die dänische Konsensgesellschaft noch intakt - mit Pädagogen in hellen Klassenzimmern, die an das Gute im Menschen glauben und über alles vernünftig reden wollen. Oder doch nicht? Elias wird jeden Tag auf dem Schulweg verhöhnt, erniedrigt und verprügelt - vom blonden Warlord seiner Schule. Seine Mutter beschwert sich, aber die Lehrer wollen es nicht wahrhaben.

Nein, die "bessere Welt", die der Film im deutschen und auch im englischen Titel verspricht, liegt nicht in der europäischen Wohlstandsgesellschaft. Im dänischen Original heißt er denn auch treffender "Die Rache". Es geht darum, Grenzbereiche menschlicher Emotion auszuloten - wofür die Regisseurin Susanne Bier eine besondere Begabung hat. In vielbeachteten Filmen wie "Open Hearts" oder "After The Wedding" hat sie Schicksalsschläge und Familienkatastrophen gnadenlos genau in den Blick genommen, so lange, bis kein Auge mehr trocken blieb - aber entscheidend war doch, dass dort nie richtige Schurken gab, alles Handeln verständlich blieb, Versöhnung möglich war.

Dass es so etwas wie das absolut Böse geben könnte, das keine Gemeinschaft in ihrer Mitte dulden darf, ist ein neuer, verstörender Gedanke in ihrem Werk. Da wallen Gefühle auf, die manche Zuschauer wohl eher nicht in sich selbst vermutet hätten - und vielleicht war es diese mitreißende Entschlossenheit, den Finger auf die Wunden der Zeit zu legen, die Susanne Bier nun den Oscar für den besten fremdsprachigen Film eingebracht hat.

Wie man effektiv mit blonden Möchtegern-Warlords umgeht, zeigt jedenfalls Elias' Freund Christian (William Nielsen). Er ist neu in der Klasse, schwer verbittert vom Tod seiner Mutter, herausgerissen aus seiner englischen Privatschule für reiche Kids. Aber er weiß, wie das Leben so läuft: Mit Elias zusammen überfällt er den Schläger hinterrücks in der Schultoilette, zieht ihm die Fahrradpumpe brutal über den Kopf, drückt ihm ein Messer an die Kehle. Die Eltern wären entsetzt, wenn sie davon wüssten - doch die Methode ist effektiv: Der Mini-Terrorist wird friedlich und verschwindet alsbald aus der Geschichte.

Ein klarer Pyrrhussieg

Genau, sagt da der innere Actionproll: Immer heftig druff, wenigstens im Kino muss ja nun nicht diskutiert werden. Der Gedanke, auch noch die andere Wange hinzuhalten, ist auf der Leinwand jedenfalls besonders schwer zu ertragen - aus merkwürdigen, wohl recht archaischen Gründen.

Adrenalin zum Überkochen

Moment, widerspricht nun sogleich der innere Pädagoge: Rechtzeitige kompromisslose Gegengewalt im Schulmilieu, das soll hier ernsthaft als Lösung gefeiert werden? Das kann ja wohl nicht wahr sein.

Ist es auch nicht. Die Racheaktion, so erfolgreich sie ist, erweist sich als klarer Pyrrhussieg, weil die Jungs nun glauben, jegliches Unrecht rächen zu können. Das führt bald zu neuen, gefährlichen Plänen, die auch schreckliche Konsequenzen haben. Derweil wird Anton, auf Heimaturlaub in Dänemark, in den Augen seines Sohnes immer mehr zum Versager. Auf einem Spielplatz in der rauen Hafengegend lässt er sich grundlos von einem aggressiven Muskelprotz ohrfeigen - und schlägt, obwohl er größer ist, nicht zurück.

Dann beschließt er auch noch, den Kindern eine Lektion in Gewaltlosigkeit zu erteilen, und nimmt sie in die Autowerkstatt mit, wo der Aggressor arbeitet. Dort wird er wieder geschlagen, verkauft aber seine Willenskraft, sich nicht zur Gegenwehr provozieren zu lassen, als Sieg. "Mama würde es sicher mögen, wenn du nicht so ein Feigling wärst", antwortet daraufhin sein enttäuschter Sohn.

Für einen Mann, möge er auch noch so friedfertig sein, ist so ein Satz schwer auszuhalten - sogar als Zuschauer. Susanne Bier und ihr langjähriger Autor Anders Thomas Jensen wissen das natürlich. Und sie tun alles, um das Adrenalin nicht nur in Wallung, sondern zum Überkochen zu bringen. Das passiert schließlich, als Anton nach Afrika zu seiner Krankenstation zurückkehrt - und gezwungen ist, dem Warlord Big Man, an dessen Bein schon die Maden nagen, medizinische Hilfe zu leisten...

Was man noch sagen kann, ohne die emotionale Tortur der Geschichte zu verraten: Anton erscheint am Ende als souveräner, starker Mann, gerade weil er sich fast immer in der Gewalt hat - eine Traumrolle für den Schweden Mikael Persbrandt, hierzulande aus der Serie "Kommissar Beck" bekannt. Mit seiner Sympathie für diese Figur gibt der Film eine Denkrichtung vor - eine allgemeingültige Antwort aber verweigert er.

Denn wer auf jede Aggression reagieren muss, in jeder Situation darauf beharrt, sich nichts gefallen zu lassen - der lässt sich natürlich auch auf das Spiel des Gegners ein, wird Krieger wider Willen, bestimmt sein Leben nicht selbst. Da ist Susanne Bier ganz klar. Genauso aber treibt sie der Gedanke um, dass man Dingen auch Einhalt gebieten muss, dass die Aufgabe, sich zu wehren, nie ganz auf abstrakte Institutionen abgewälzt werden kann. Ein Widerspruch, der nicht lösbar scheint - auch Anton, der Arzt im humanitären Einsatz, wird seine Prinzipien am Ende verraten haben.

HÆVNEN, DK, SW 2010 - Regie: Susanne Bier. Buch: Anders Thomas Jensen. Kamera: Morten Søborg. Mit Mikael Persbrandt, Trine Dyrholm, Ulrich Thomsen, William Nielsen, Markus Rygaard. Universum, 117 Minuten.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: