Widerstand gegen AKW-Abschaltungen:Atomkonzerne gehen auf Konfrontationskurs zur Kanzlerin

Der Beschluss der Bundesregierung, die ältesten Meiler vom Netz zu nehmen, stößt laut SZ-Informationen auf Widerstand der Betreiber. Dabei wären nach Auskunft des Umweltbundesamtes neun Meiler sofort verzichtbar. Baden-Württemberg hat den Konzern EnBW bereits angewiesen, Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 vom Netz zu nehmen.

Nach dem Beschluss der Bundesregierung, die sieben ältesten Meiler vorübergehend vom Netz zu nehmen, prüfen Atomkraftwerksbetreiber rechtliche Schritte. So erwägt nach SZ-Informationen Eon eine Klage gegen die entsprechende Verfügung des Umweltministeriums. Branchenkreisen zufolge ziehen auch weitere Konzerne dies in Betracht. Die Koalition hatte am Dienstag beschlossen, die sieben ältesten Reaktoren für eine gründliche Überprüfung drei Monate lang abzuschalten. Das Moratorium soll klären, ob die Vorkehrungen in Deutschland reichen, um eine Katastrophe wie in Japan zu verhindern. Blieben die sieben Reaktoren dauerhaft vom Netz, könnte das Schadenersatzforderungen in Milliardenhöhe nach sich ziehen, hieß es bei den Unternehmen.

Kernkraftwerksbetreiber Eon, RWE, EnBW, Vattenfall

Kernkraftwerksbetreiber Eon, RWE, EnBW, Vattenfall: Die Atomkonzerne prüfen Klage gegen Abschaltungen

(Foto: dpa)

Bund und Länder hatten sich darauf verständigt, den vorübergehenden Stillstand mit einem Paragraphen anzuordnen, der eigentlich der Gefahrenabwehr dienen soll. Diese Grundlage sei äußerst wacklig, verlautete aus Kreisen des größten deutschen Energieversorgers Eon. Die Prüfung rechtlicher Schritte sei das Management seinen Aktionären angesichts eines Eingriffs in das Eigentum des Konzerns schuldig. "Das wird unsere Juristen beschäftigten", verlautete aus der Spitze eines zweiten Konzerns. Auch der RWE-Konzern kündigte an, man werde die Verfügung bewerten. Ob der Konzern klagt, ließ ein Sprecher offen.

Ursprünglich hatte Eon angekündigt, sein Kraftwerk Isar 1 freiwillig vom Netz zu nehmen. Dies habe der Konzern gestoppt, nachdem die Bundesregierung angekündigt hatte, alle sieben Altkraftwerke vom Netz zu nehmen. Das Kraftwerk laufe nun in reduziertem Betrieb weiter, bis eine behördliche Verfügung vorliege, sagte ein Sprecher. Sie muss vom bayerischen Umweltministerium ergehen und wäre die Grundlage etwaiger Klagen. In Baden-Württemberg wies das Umweltministerium am Mittwochabend den Konzern EnBW an, Neckarwestheim 1 und Philippsburg 1 vom Netz zu nehmen.

Die Opposition kritisierte die schwache rechtliche Grundlage. Grünen-Fraktionschefin Renate Künast sagte, die Regierung habe "kein rechtlich ordnungsgemäßes Verfahren gewählt, sondern unsauberes Gewurstel". Merkel nannte die Kritik bei einem Wahlkampfauftritt in Waldshut-Tiengen an der Schweizer Grenze am Mittwochabend "spitzfindig". Es sei "nicht die Stunde für die Parteien, sich in solche Debatten zu verstricken". Umweltminister Norbert Röttgen (CDU) sagte, das Moratorium sei politisch gemeint, nicht rechtlich: "Die Exekutive kann nicht Gesetze außer Kraft setzen." Die Opposition will am Donnerstag im Bundestag die Beschleunigung des Atomausstiegs beantragen.

Die Bundesrepublik kann nach Berechnungen des Umweltbundesamtes problemlos auf neun Kernkraftwerke verzichten. "Dies ist ohne Einschränkungen der Versorgungssicherheit und ohne zusätzliche Stromimporte möglich", sagte der Präsident des Umweltbundesamtes, Jochen Flasbarth, der Süddeutschen Zeitung. Neben den sieben ältesten Kernkraftwerken könne so auch jetzt schon das Kernkraftwerk Krümmel stillgelegt werde. Krümmel steht nach Zwischenfällen seit Jahren schon still. Als Begründung führt das Umweltbundesamt die großen Überkapazitäten im deutschen Kraftwerkspark an. Derzeit gebe es eine überschüssige Kapazität von 15 Gigawatt.

Ein völliger Atom-Ausstieg ist den Berechnungen zufolge schon im Jahr 2017 möglich. Dazu seien über die im Bau befindlichen Kraftwerke hinaus keine weiteren Kohlekraftwerke nötig, sagte Flasbarth. Voraussetzung sei ein weiterer Ausbau erneuerbarer Energien und der bereits geplante Ausbau von effizienten Blockheizkraftwerken und Gaskraftwerken. "Mit wesentlich höheren Kosten durch die Energiewende müssen wir nicht rechnen", so Flasbarth. Bis 2050 lasse sich der komplette Strombedarf Deutschlands aus erneuerbaren Quellen decken.

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