Interview: Wirtschaftsforscher Dennis Snower:"Es könnte Dominoeffekte geben"

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Bislang geben sich die Experten optimistisch, dass die Katastrophe in Japan für die Weltwirtschaft weitgehend folgenlos bleibt - Wirtschaftsforscher Dennis Snower widerspricht.

M. Balser, M. Beise und H.-J. Jakobs

Die klassischen Modelle der Wirtschaftswissenschaften hält er für verstaubt, ihn interessieren Phänomene der Psychologie und Soziologie. Dennis Snower, 60, leitet seit 2004 das Institut für Weltwirtschaft in Kiel. Der Sohn eines Damenmode-Unternehmers hat sich mit Arbeitsmarkt-Forschung einen Namen gemacht.

Der Wirtschaftsforscher Dennis Snower glaubt, dass es im Zuge der japanischen Atomkatastrophe zu Dominoeffekten kommen könnte. (Foto: dpa)

SZ: Professor Snower, nach der Finanzkrise hatten sich Staaten und Unternehmen weltweit 2010 überraschend gut entwickelt. Wird der Aufschwung durch das japanische Desaster gebremst?

Dennis Snower: Naturwissenschaftlich kennt man die genauen Auswirkungen der Katastrophe nicht. Ökonomisch ist klar: Japan wird seine hohen Staatsschulden weiter erhöhen. Und wenn Finanzmärkte nervös werden, geschieht das schubartig. Das könnte übergreifen. Noch aber tragen Japaner ihre Finanzlasten selbst.

SZ: Noch. Vielleicht können sie bald nicht mehr so viel sparen.

Snower: Bislang gingen wir von einem japanischen Wirtschaftswachstum in 2011 von 1,4 Prozent aus. Wenn der Großraum Tokio weiter so stark von der Katastrophe betroffen ist und der Energiemarkt leidet, könnte die Zuwachsrate auf 0,9 Prozent fallen. In der Krise nach dem Erdbeben in Kobe von 1995 haben die Japaner viele Investitionen im Ausland zurückgeholt und im Inland ihr Geld ausgegeben. So könnte es auch jetzt kommen - dann gibt es 2012 einen Aufschwung in Japan. Bei einem Super-GAU sähe es anders aus.

SZ: Tatsache ist, dass Produkte und Firmen in der globalisierten Wirtschaft eng verbunden sind.

Snower: Die Frage ist, wie robust diese Lieferketten sind. Ich habe schon vor der Katastrophe mit vielen Konzernchefs darüber gesprochen. Sie alle berichteten, die Lieferketten würden dünner. Es gibt möglicherweise weltweit viel weniger Zulieferer als vor zehn Jahren. Japans Industrie arbeitet eng mit Firmen in Thailand, Malaysia, Taiwan oder China zusammen. Das ist Teil von "Asian Incorporated". Es bedeutet einiges, wenn Chips aus Japan ausfallen. Es könnte zu Dominoeffekten kommen, die den gesamten asiatischen Raum erfassen. Und damit auch Autokonzerne und Computerfirmen auf anderen Kontinenten.

SZ: Die Rezession war in Japan schon vorher da.

Snower: Japan importiert nicht so viel. Knapp ein Prozent der deutschen Exportwaren gehen ins Inselreich, umgekehrt machen Güter aus Japan nur 2,7 Prozent der deutschen Importstatistik aus. Japan ist von sich selbst abhängig.

SZ: Es gibt Unruhen in Nordafrika, was zu schwankenden Ölpreisen führt. Die Zukunft des Euro ist unsicher. Und nun das Riesenproblem Japan - vielen wird es angst und bange.

Snower: Ja. Vor allem vor dem Hintergrund, dass uns jenes Problem, das uns in die Finanzkrise hineingeführt hat, auch wieder aus ihr hinausführte.

SZ: Was meinen Sie damit?

Snower: Dass die Finanzwirtschaft sich nach wie vor von der Realwirtschaft entkoppelt. Banken und Finanzfirmen hatten sich mit Niedrigzinsen billig viele Dollars ausgeliehen, um risikoreiche Papiere zu kaufen. Auch am tiefsten Punkt der Rezession waren die amerikanischen Aktien um 40 Prozent überbewertet. Dann kamen wir aus der Rezession, indem wir wieder mit Niedrigzinsen billige Dollars ausgeliehen haben. Die Lage ist labil. Kommt ein externer Schock, wie der aus Japan, ist das beunruhigend. Wir haben selbst im Aufschwung kein stabiles Fundament geschaffen.

SZ: Nun kommt zur weltweiten Schuldenkrise der Kapitalhunger Japans hin zu. Die Staatsschulden machten schon bisher mehr als 200 Prozent der Wirtschaftsleistung aus - und nun hat die Notenbank innerhalb kurzer Zeit 180 Milliarden Dollar in die Märkte gepumpt.

Snower: Bedingt durch die Folgen des Tsunamis könnte Japan in ein paar Jahren vom Nettogläubiger zu einem Nettoschuldner werden. Das Problem wird verschärft, weil keine Volkswirtschaft so überaltert ist, wie die japanische.

SZ: Verändert das nicht die Struktur der Weltwirtschaft?

Snower: Das ist unmöglich abzuschätzen. Wir sind noch weit davon entfernt, über einen "Haircut" - also Umschuldungen und Schuldenerlass - zu reden. Es muss andere Länder geben, die in dieser Lage stabilisieren, Schwellenländer wie China. Die Dynamik geht von ihnen aus.

SZ: Die Politik hat nach dem Japan-Desaster schnell reagiert und erst einmal für drei Monate alte Atom-Meiler in Deutschland aus dem Betrieb genommen. Was sagt der Ökonom dazu?

Snower: Wenn der Entschluss zur Atomkraft bisher richtig war und alles gründlich überlegt wurde, dann hat das Unglück in Japan daran nichts geändert. Wir assoziieren in Gedanken, ob etwas bei uns geschehen könnte, aber wir haben keine neuen Einsichten gewonnen über die Risiken. Die Erdbebengefahr in Japan korreliert nicht mit der deutschen.

SZ: Die Bundesregierung argumentiert anders.

Snower: Man kann sagen, wir waren uns nicht sicher - und jetzt gibt man zu, es nicht richtig gesehen zu haben. Von der hohen Wissenschaft her lässt sich nicht ableiten, was in dieser Frage richtig oder falsch ist.

SZ: Welche wirtschaftlichen Auswirkungen hat das Moratorium?

Snower: Keine. Deutschland ist Exporteur von Energie. Da gibt es genügend Freiraum. Einige Atommeiler kann man schließen, ihr Anteil an der Energieversorgung ist zu gering. Wenn man aber alle Kernkraftwerke schließen würde, dann gäbe es eine Lücke.

SZ: Kann die Weltwirtschaft gut ohne Atomstrom leben?

Snower: Global betrachtet, ist Atomkraft für die Wirtschaft eine notwendige Brückentechnik. Langfristig brauchen wir aber ein Weltenergiesystem mit korrekten Preisen für alle Energiearten. Das würde bei der Atomkraft die Kosten für die Endlagerlösung oder Instandhaltung einschließen. Auch CO2 und Treibhausgase müssen globale Preise haben.

SZ: Das japanische Beispiel zeigt, wie heftig, ja offenbar skrupellos die japanische Atomlobby vorgegangen ist. Viele vermuten, dass sich auch in anderen Ländern Atomlobbys so verhalten. Muss Wirtschaftsmacht neu definiert werden?

Snower: Mit Information muss freizügiger umgegangen werden. Sie muss an die Außenwelt fließen. Das ist eine wichtige Moral der Geschichte. Wenn man jedem misstraut, schadet das der Weltwirtschaft. Das erzeugt Unsicherheit. Auf den Finanzmärkten wie in der japanischen Atomwirtschaft.

SZ: Altkanzler Ludwig Erhard verkündete, die Hälfte der Wirtschaft sei Psychologie. Die düsteren Bilder aus Japan könnten lange Zeit die Laune trüben.

Snower: Da die Psychologie eine so große Rolle spielt, ist die Politik in der Pflicht. Sie darf nicht folgen, sie muss führen.

© SZ vom 17.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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