Fukushima-1: Vorwürfe gegen Tepco:Kopflos in die Katastrophe

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Das Notkühlsystem: improvisiert. Die Baupläne: ohne Gedanken an Tsunamis erstellt. Ingenieure des Atomkraftwerks Fukushima-1 erheben jetzt schwere Vorwürfe gegen die Betreiberfirma Tepco - wurde systematisch geschlampt?

Marlene Weiss

So ganz kann Shiro Ogura noch immer nicht glauben, was geschehen ist. "Dieses Erdbeben hat mich völlig überrascht", sagt der pensionierte Ingenieur bei einer Pressekonferenz des atomkraftkritischen Bürgerzentrums (CNIC) am Mittwochabend in Tokio leise. Über seinem grauen Hemd trägt er statt einer Krawatte einen japanischen Holzanhänger, seine Worte kommen zögernd. "Das Beben war so viel stärker als alles, mit dem wir je gerechnet haben."

Das völlig zerstörte Atomkraftwerk Fukushima-1: Kühlsysteme waren nach Aussagen eines Ingenieurs "improvisiert". (Foto: AP)

35 Jahre lang hat Ogura für Toshiba gearbeitet und Atomkraftwerken geplant und gebaut. Mit Ausnahme des vierten Reaktors war er an der Entwicklung von allen sechs Blöcken im Kraftwerk Fukushima1 beteiligt. Er war Spezialist für das Design der Kühlsysteme. Über die technische Auslegung dieser Kühlsysteme, vor allem über die Sicherheitsanforderungen, entschieden jedoch andere, sagt er: "Man hat mir die Bedingungen mitgeteilt, die die Kühlsysteme erfüllen müssen, und genau solche habe ich entwickelt." In der Firma habe man immer gesagt, es gebe keine Erdbeben von mehr als Stärke acht auf der Richterskala.

Längst hat die Betreiberfirma Tepco eingeräumt, dass das Kraftwerk Fukushima nicht für ein Beben der Stärke neun ausgelegt gewesen sei. Aber Oguras Vorwürfe gehen weit darüber hinaus: Aus Mangel an Erfahrung und Fachwissen hätten die japanischen Ingenieure bei der Entwicklung des ersten Fukushima-Reaktors schlicht die Pläne von General Electric übernommen. Die US-Firma baute den Reaktor mit Toshiba im Auftrag von Tepco. Die GE-Pläne seien jedoch für US-Reaktoren ausgelegt gewesen, sie hätten also keine Tsunamis in Betracht gezogen, sagt Ogura.

Er selbst war damals Mitte 20 und stand am Anfang seiner Karriere. "Als wir später unsere eigenen Kraftwerke entworfen haben, sind wir dabei geblieben", räumt er ein. Darunter waren auch die Reaktoren zwei bis sechs in Fukushima. "Wir hatten keine Erfahrung, wir wussten nichts", sagt Ogura heute. "Wir konnten die Annahmen nicht kritisch überprüfen."

Später, als er kurz vor der Rente stand, habe er sich gefragt, ob die Sicherungssysteme wohl auch noch im Falle eines Tsunamis funktionieren würden. Die Konstruktionsvorgaben seien damals überarbeitet worden, und man habe Tsunamis in Betracht gezogen. "Aber ich glaube, der Tsunami, an den man damals dachte, war viel kleiner, als der, den es jetzt gegeben hat", sagt Ogura.

Ein weiterer ehemaliger Toshiba-Ingenieur, Masashi Goto, macht ähnlich düstere Angaben über die Sicherheit des Kraftwerks: Das Notkühlsystem sei improvisiert und eigentlich nicht als Sicherungssystem vorgesehen. Und die Ventile und Rohre seien nicht auf den erhöhten Druck bei einem Unfall ausgelegt gewesen. Auch deshalb sei schon zu Beginn der Havarie Radioaktivität nach außen gelangt. Er fühle sich verantwortlich, sagt Shiro Ogura noch. Auf die Frage, ob er die laxen Sicherheitsvorschriften in seiner Zeit bei Toshiba kritisiert habe, antwortet er jedoch knapp: "Nein, das ist nie vorgekommen."

© SZ vom 19.03.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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