Krieg in Libyen: Deutsche Position:"Ich schäme mich für die Haltung meines Landes"

Deutschland hat sich im UN-Sicherheitsrat enthalten - welch historische Fehlentscheidung. Ein "Ja" hätte Berlin nicht zur aktiven Teilnahme an der Militäraktion verpflichtet - trotzdem haben sich Merkel und Westerwelle in Europa isoliert.

General a. D. Naumann, Ex-Chef des Nato-Militärausschusses

Mit der Resolution 1973 des Sicherheitsrates ist die Frage des Eingreifens entschieden. Die Einrichtung einer Flugverbotszone hat begonnen, Luftangriffe zum Schutz bedrohter Menschen sind erlaubt und werden geflogen, nur der Einsatz von Besatzungstruppen in Libyen ist ausgeschlossen. Es greift nicht der Westen ein, sondern die zivilisierte Welt, die Vereinigten Arabischen Emirate und Katar werden sich beteiligen. Das ist ein wichtiges Signal, denn damit wird Gaddafis Behauptung, der Aufstand sei ein Produkt des Westens, zur Lüge.

Westerwelle äußert sich zu Libyen-Konflikt

Er steht in der Kritik wegen seiner Entscheidung bezüglich der Flugverbotszone über Libyen: Auch an diesem Sonntag rechtfertigte Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) in Berlin die Enthaltung Deutschlands im UN-Sicherheitsrat. Berlin hatte im Gegensatz zu den EU-Ländern Frankreich, Großbritannien und Portugal nicht mit "Ja" gestimmt.

(Foto: dpa)

Auch die in der arabischen Welt beliebten Verschwörungstheorien sind durchkreuzt: Es geht nicht um Öl, es stehen weder al-Qaida noch Israel dahinter, nein, es geht um den Schutz von Moslems, die Freiheit wollen und die ein brutaler Diktator und seine Armee deshalb bekämpfen. Deutschland hat sich in seiner ersten Bewährungsprobe als nicht-ständiges Mitglied des Sicherheitsrates gegen die USA, seine europäischen Verbündeten und die Arabische Liga entschieden und sich zusammen mit Russland, China, Indien und Brasilien der Stimme enthalten. Eine historische Fehlentscheidung.

Auf die übliche, an alle gerichtete Bitte der Vereinten Nationen, sich zu beteiligen, hätte Deutschland unter Verweis auf seine Fähigkeiten sagen können, man könne nichts beitragen. Abgesehen von den ECR-Tornados hat Deutschland nichts zu bieten, was gebraucht würde: Die betagten Tornados der Luftwaffe leisten weniger als die modernen F-16 der Vereinigten Arabische Emirate, und die beiden Eurofighter-Geschwader sind nur mit Lenkwaffen kurzer Reichweite ausgestattet.

Deutsche Interessen wurden geschädigt

Doch Deutschland hat gesagt, es wolle nicht beitragen, und so zählt allein die deutsche Entscheidung, sich bei einer Abstimmung über den Schutz der Freiheit zu enthalten. Das Militärische ist Nebensache, denn ein Mitglied des Sicherheitsrates kann zustimmen, ohne sich an der Durchführung zu beteiligen. Hier wurde nicht deutsches Interesse gewahrt, sondern geschädigt.

In der Frage "Handeln - ja oder nein?" stand die Welt einmal mehr vor dem in solchen Tragödien unausbleiblichen Dilemma: Nichts tun und zusehen, wie ein Diktator blutig Rache nimmt, oder Handeln, ohne zu wissen, ob der erste Schritt reicht und wie man das Eingreifen beenden kann. Man kann in dieser Lage nicht unschuldig bleiben. Wer eingreift, weiß, dass das den Tod Unschuldiger bedeuten kann; doch wer zuschaut, duldet, dass viele Unschuldige ermordet werden.

Ich habe im Kosovo-Konflikt als erster deutsche General, der jemals den Nato-Rat in dieser Frage, in einer Lage ohne UN-Mandat, militärisch zu beraten hatte, immer wieder betont, dass man bereit sein muss, den Weg zu Ende zu gehen, wenn man auch nur den ersten Schritt tut. Ich habe deshalb vor einer Flugverbotszone gewarnt - und weil es noch Anfang letzter Woche unwahrscheinlich erschien, dass die notwendige Rechtsgrundlage erreichbar sein würde, und der Eindruck bestand, die Arabische Liga würde das Eingreifen des Westens fordern, ohne zu einer eigenen Beteiligung bereit zu sein.

Doch nun leben wir in einer anderen Lage: Die Rechtsgrundlage ist eindeutig und die breite Beteiligung gesichert. Die Gefahr, das Niederschlagen Gaddafis könne zu einem Aufflammen anti-westlicher Stimmung führen, besteht nicht. Nun muss die Welt handeln, will sie nicht als Hampelmann vor einem Diktator in die Knie gehen oder sich von vergiftetem Lob für weise Zurückhaltung betören lassen.

Wie sich Deutschland disqualifiziert

Doch die Resolution wirft die Frage auf, ob sie allein genügt, den Diktator zu stürzen. Die nächsten Tage werden das zeigen. Was nicht geschehen darf, ist zuzusehen, sollte Gaddafi zum Sturm auf Bengasi ansetzen: Wer eingreift, muss durchgreifen. Die Resolution 1973 bietet dazu viele Möglichkeiten, sie schließt nicht Bodentruppen, nur fremde Besatzungstruppen aus.

Militärisch ist die Resolution machbar. Man wird Flugplätze und Luftverteidigungs-Anlagen bombardieren und sie zum Teil elektronisch auszuschalten. Aber man muss den Luftraum über der Fläche eines 1,8 Millionen Quadratkilometer großen Staates lückenlos und rund um die Uhr überwachen können, man muss jede Flugbewegung erkennen und sie unverzüglich unterbinden können, sie notfalls durch Abschuss beenden.

Man braucht also Luftraumüberwachung und Jägerleitung durch Awacs-Flugzeuge, man braucht die Fähigkeit zum elektronischen Kampf, man braucht moderne Jagdflugzeuge und Luftbetankung, man braucht eindringfähige Jagdbomber, um notfalls Flugplätze, Radaranlagen und Flugabwehrstellungen mit großer Präzision bombardieren zu können, man braucht Spezialkräfte zur Rettung abgestürzter eigener Piloten und man muss wissen, wie man die libyschen Hubschrauber am Boden hält. Diese komplexe Operation muss man führen können, und das können nur zwei auf unserer Welt: Die USA und die Nato, die allerdings nur, weil die USA Mitglied sind.

Wenig Schwierigkeiten für die Nato

Das militärische Risiko ist für beide gering. Weder die veralteten libyschen Kampfflugzeuge noch die meist sowjetischen Flugabwehrwaffen sind für Nato-Kräfte ein ernstzunehmender Gegner. Man muss wegen des Einsatzes eigener Flugzeugträger auch die schwache libysche Marine im Auge behalten, doch man kann gelassen sagen: Die Überlebensdauer der libyschen Flotte wäre sehr begrenzt.

Zusätzlich muss die eingreifende Koalition in der Lage sein, libysche Bodentruppen aus der Luft nachhaltig bekämpfen zu können. Auch das ist keine Schwierigkeit für die Nato oder eine internationale Koalition. So bleibt zu bedenken, dass der Druck, mehr zu tun, nach einem Eingreifen rasch wachsen wird, wenn der schnelle Erfolg ausbleibt. Auch das wäre für die Nato kein militärisches Problem, wohl aber ein politisches.

Doch rechtfertigt das Gesagte die Enthaltung Deutschland im Sicherheitsrat? Ich meine: Nein. Ich schäme mich für diese Haltung meines Landes, das seine Freiheit und seinen Wohlstand auch der Bereitschaft seiner Verbündeten verdankt, für die Deutschen einzutreten und das noch nicht einmal den Traum der Einheit ohne sie hätte verwirklichen können.

So disqualifiziert man sich als Mitglied des UN-Sicherheitsrates, man isoliert sich in Europa und man verhindert, dass Europa mit einer Stimme spricht. Man tut also Alles, um die unersetzliche Verbindung mit den USA zu beschädigen. Es ist nicht weise, sich von German Angst leiten zu lassen und zu Sankt Florian zu beten. Beten muss man jetzt nur um Eines: Dass Deutschland nie wieder in die Lage kommen möge, zu seinem Schutz die Hilfe Anderer zu brauchen.

Klaus Naumann, 71, war von 1991 bis 1996 Generalinspekteur der Bundeswehr und anschließend bis 1999 Vorsitzender des Nato-Militärausschusses. In seine Amtszeit fiel der Kosovo-Krieg - unter deutscher Beteiligung.

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