Boris Palmer: Stuttgart 21 nach der Wahl:"Wir brauchen einen sofortigen Baustopp"

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Der grüne Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer gilt als heißer Anwärter auf einen Platz im grün-roten Kabinett. Nach der gewonnenen Landtagswahl spricht er über das Streitthema Stuttgart 21 und stellt Forderungen an die SPD. Außerdem hat er einen Wunsch für Stefan Mappus.

Michael König

Boris Palmer, 38, ist seit vier Jahren Oberbürgermeister von Tübingen. Bei der Schlichtung im Streit um Stuttgart 21 im Herbst 2010 avancierte er zum Sprachrohr der Gegner des Protests und verschaffte sich durch seine detailreiche Kenntnis des Projekts auch bei den Befürwortern Respekt. Der Technikvorstand der Deutschen Bahn, Volker Kefer, unterbreitete Palmer am Ende der Schlichtung ein Jobangebot - was der Vater einer Tochter dankend ablehnte.

Der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer wurde durch sein eloquentes Auftreten während der Schlichtungsgespräche unter der Führung von Heiner Geißler (r.) bundesweit bekannt. (Foto: dpa)

sueddeutsche.de: Herr Palmer, Sie haben bewiesen, dass ein Grüner Oberbürgermeister werden kann. Hätten Sie geglaubt, dass es einmal für das Amt des Ministerpräsidenten reichen würde?

Boris Palmer: Nein, sicher nicht. Auch Winfried Kretschmann selbst hätte das nicht gedacht. Aber das letzte Jahr hat die politischen Verhältnisse im Land völlig umgedreht. Wir hatten die Auseinandersetzung um Stuttgart 21, dann kam der handstreichartige Kauf der EnBW und der atompolitische Kurs der Landesregierung hinzu. Das waren die Voraussetzungen dafür, dass die Bilder aus Japan in Baden-Württemberg besonders heftige Reaktionen ausgelöst haben.

sueddeutsche.de: Also war die Atomkatastrophe in Japan ausschlaggebend für den Wahlsieg?

Palmer: Japan konnte nur so stark wirken, weil der Ministerpräsident sich als oberster Atomlobbyist positioniert hatte. Norbert Röttgen hätte weniger Probleme gehabt. Entschieden hat die Wahl die Persönlichkeit der Kandidaten. Stefan Mappus hat mit seiner Haudrauf-Rhetorik bewusst die Konfrontation gesucht. Er hat das Konsensprinzip, dass die CDU aus gutem Grund immer berücksichtigt hatte, einfach aufgegeben. Damit hat er die Menschen geradezu vertrieben. Winfried Kretschmann verkörpert genau das Gegenteil: Bodenständigkeit, Seriosität und Besonnenheit. Er hat eine Politik des Gehörtwerdens versprochen. Genau das haben die Menschen bei Mappus vergeblich gesucht.

sueddeutsche.de: Baden-Württemberg war das Stammland der Konservativen. Hat sich das nun nachhaltig geändert?

Palmer: Wir erleben einen Wechsel zurück zur konsensorientierten Politik. Und ich hoffe, dass wir darüber hinausgehen können: Nicht nur Konsens allein, sondern auch mehr Bürgerbeteiligung. Das muss die Devise dieser Landesregierung sein.

sueddeutsche.de: Die Regierung ist noch nicht im Amt, doch Ärger zeichnet sich schon ab: Die SPD ist grundsätzlich für Stuttgart 21, die Grünen sind dagegen.

Palmer: Auch die SPD will ja eine Volksabstimmung. Außerdem habe ich die Hoffnung, dass der Stresstest und die wahre Aktenlage, die für uns ja bislang gar nicht zugänglich war, auch die SPD noch mal ins Grübeln bringt, ob sie für diese Projekt wirklich weiter kämpfen will. Ein sofortiger Baustopp ist zwingend. Es dürfen keine weiteren Fakten geschaffen werden.

sueddeutsche.de: Wenn sich eine Mehrheit dafür aussprechen sollte, wären die Grünen plötzlich Bauherren des neuen Bahnhofs. Spätestens dann droht Ihnen ein handfester innerparteilicher Krach.

Palmer: Die Grünen waren schon immer eine streitlustige Partei, davor fürchte ich mich nicht. Was uns Sorgen machen muss, ist die immense Herausforderung, eine Regierung zu führen und einen Ministerpräsidenten zu stellen. Wir müssen uns thematisch breiter aufstellen und wesentlich mehr Menschen ansprechen. Es genügt nicht, für ein Zehntel der Bevölkerung die richtigen Aussagen zu treffen. Und es erfordert sicherlich Disziplin, denn die Mehrheit im Landtag ist sehr knapp.

sueddeutsche.de: Welche Rolle werden Sie in der neuen Regierung übernehmen?

Palmer: Darüber habe ich mir noch keine Gedanken gemacht, weil ich bislang nicht glauben konnte, dass man im Wachzustand den Regierungswechsel erleben kann. Letztlich entscheidet der Ministerpräsident, wen er ins Kabinett beruft. Ich sehe mich dort noch nicht. In Tübingen haben über 40 Prozent Grün gewählt, wir haben das Direktmandat errungen. Das klingt eher nach einer Aufforderung, dort zu bleiben.

sueddeutsche.de: Stefan Mappus hat der neuen Regierung alles Gute gewünscht. Was wünschen Sie Herrn Mappus?

Palmer: Ich wünsche ihm eine Zeit der Besinnung.

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