Nach den Landtagswahlen: Die Verlierer bleiben:Regieren bis zum bitteren Ende

Die Mitte der Gesellschaft ist bei den Grünen angekommen. Mit Kretschmann zeigen die 68er abermals, dass sie dieses Land nachhaltig verändert haben - jedenfalls mehr als Filialleiter-Politiker vom Schlage Nils Schmid oder Philipp Rösler wohl je tun werden. Am Tag danach aber scheint alles so wie immer. Trotz der Zäsur. Merkel wird keine Neuwahlen ansteuern. Schwarz-Gelb wird einfach weiter erodieren.

Kurt Kister

Auch am Tag danach bleibt zweierlei wahr: Die einzigen Sieger bei diesen Landtagswahlen sind die Grünen; der größte Verlierer wiederum ist die FDP. Guido Westerwelles Partei ist in Rheinland-Pfalz gemeinsam mit der Linken zur außerparlamentarischen Splitterpartei geworden; in Baden-Württemberg hat nicht nur der Triumph der Grünen, sondern auch das miserable Abschneiden der FDP Schwarz-Gelb die Macht gekostet. Die Grünen haben sich als die dritte Partei in Deutschland etabliert; die FDP führt nach ihrem einmaligen Höhenflug bei der Bundestagswahl 2009 derzeit eine weitgehend prekäre Existenz.

German Chancellor and leader of CDUMerkel looks up during news conference after party meeting in Berlin

Kanzlerin Merkel: Regieren bis zum bitteren Ende

(Foto: Reuters)

Außer den Grünen jedenfalls gab es am Sonntag unter den Parteien nur Verlierer. Zwar hat die CDU in Mainz ein achtbares Ergebnis erzielt, sie hat unter der fröhlich-skrupellosen Julia Klöckner sogar zugelegt. Auch in Stuttgart hat die CDU prozentual gar nicht so viel verloren, aber trotzdem wird der Name Stefan Mappus auf lange Zeit damit verbunden bleiben, dass die CDU nicht nur ihre seit Jahrzehnten andauernde Vormachtstellung eingebüßt hat, sondern vor allem auch ihre Verankerung bei den tendenziell konservativen Südwestdeutschen.

Während die CDU rechnerisch wenig, politisch aber enorm verloren hat, ist es der SPD wieder einmal gelungen, nach zwei rechnerischen Einbrüchen in Mainz und Stuttgart trotzdem obenauf zu bleiben. Kurt Beck, der bald letzte Ministerpräsident aus dem Westdeutschland des 20.Jahrhunderts, regiert dank der Grünen weiter. Nils Schmid verantwortet in Baden-Württemberg das schlechteste SPD-Ergebnis, das dort je zu verzeichnen war, schlüpft aber unter Winfried Kretschmanns Rockschößen in die Landesregierung. Wenn die SPD in Baden-Württemberg sogar bei einer derart ausgeprägten Wechselstimmung noch Prozentpunkte einbüßt, dann ist dies ein Armutszeugnis. Das schaffen sonst nur die Sozialdemokraten in Bayern.

Der Tag D+1

Jedenfalls gibt es keinen Zweifel mehr, dass auch die Mitte der Gesellschaft bei den Grünen angekommen ist. Im Südwesten waren sie ohnehin stets eine bildungsbürgerliche Partei mit ökologisch-hedonistischem Touch. Es nimmt nicht wunder, dass Kretschmann sie anführt, und es ist geradezu konsequent, dass er der erste grüne Ministerpräsident Deutschlands werden wird. Er ist ein 68er, und selbst wenn es Mode geworden ist, dass sich alerte Anfangvierziger voller selbstmitleidiger Ironie über diese Generation erheben, ändert das nichts daran, dass heute grauhaarige Lehrer und einst steinewerfende Außenminister a.D. dieses Land nachhaltig verändert haben - jedenfalls mehr, als man dies Filialleiter-Politikern wie Nils Schmid oder Philipp Rösler zutraut.

Gewiss, die Reaktorkatastrophe von Fukushima hat die Wahlen stark beeinflusst. Auch da aber hatten die Grünen den großen Vorteil, dass sie weder aktuell ihre Einstellung zur Kernkraft ändern noch sich für ihre frühere Haltung rechtfertigen mussten. Allerdings wäre es zu einfach, wenn sich nun CDU, FDP und durchaus auch die SPD darauf hinausredeten, dass sie ja nur so mäßig abgeschnitten hätten, weil der Atomstreit alles andere überlagert habe. Es ist auch eine Frage dessen, was Mappus euphemistisch "Politikstil" nannte. Dazu gehören die Arroganz, Bewegungen im Wahlvolk für vernachlässigbar zu halten; die Chuzpe, sich à la Brüderle auch noch darüber lustig zu machen; die einfältige Frechheit, als CSU-Generalsekretär in der Nachwahl-Runde ausgerechnet die CSU als nachdenkliche Semi-Ausstiegspartei zu zeichnen. Durch diesen "Politikstil" werden viele Leute vergrätzt und gehen nicht mehr zur Wahl. Allerdings hat die Wahlbeteiligung am Sonntag gezeigt, dass etliche wiederkommen, wenn sie das Gefühl haben, es gibt eine Alternative. Diese wiedergewonnenen Stimmen kamen überwiegend den Grünen zugute.

Angela Merkel hat in einem bemerkenswerten Augenblick am Montag erläutert, wie sich ihre Einstellung zur Kernkraft gewandelt habe. Solche Sätze kommen spät, zu spät - nicht nur wegen der verlorenen Wahlen. Am Tag danach scheint alles so zu sein wie immer: Die Kanzlerin ist betroffen; ein großer Verlierer, in diesem Falle Mappus, geht; die meisten anderen Verlierer bleiben und finden viele Gründe dafür, allen voran Westerwelle. Er sagt hundert Mal, er habe verstanden und es dürfe so nicht weitergehen. Was er verstanden hat, sagt er nicht. Mit hochgerecktem Kinn verbreitet er die Botschaft: Ich lass' mich von euch nicht fertigmachen. Diese Haltung ist politischer Selbstzweck geworden. Spätestens im April wird die FDP ein paar Personalkorrekturen vornehmen, die aber heute fast jeder Praktikant in einem Politikberatungsbüro schon kennt.

Nein, Merkel wird keine Neuwahlen ansteuern, wie dies Gerhard Schröder in ähnlicher Situation 2005 getan hat. Sie wird regieren bis zum bitteren Ende, weil sie eine Durchhalterin ist. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Koalition noch weiter erodiert, ist groß. Sie steht einem oppositionell dominierten Bundesrat gegenüber. Schwarz-Gelb wird noch mehr Kompromisse zu schließen haben und so die Zahl der eigenen Anhänger weiter verringern. Die CDU wird das, wenn auch schwer gebeutelt, überleben. Die FDP hat da schlechtere Chancen.

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