Atomkatastrophe in Japan:Zahlen der Angst

10.000.000-mal stärker als normal sei das Wasser in den Reaktorgebäuden von Fukushima-1 verstrahlt, hieß es am Wochenende. Ein Wert, der Schlagzeilen produziert und Furcht schürt - aber stimmt er auch?

Patrick Illinger

An diesem Wochenende verbreiteten Medien weltweit eine erschreckende Zahl: Wasser sei in Gebäuden der Reaktoranlage von Fukushima-1 gefunden worden, das - man staune - 10.000.000-mal stärker radioaktiv sei als normal. Zehn-Millionen-mal! Damit ließen sich natürlich wunderbare Schlagzeilen machen.

Atomkatastrophe in Japan: Techniker in der havarierten japanischen Atomanlage Fukushima-1: Immer wieder müssen die Männer die Arbeit unterbrechen, weil die Strahlung zu hoch ist.

Techniker in der havarierten japanischen Atomanlage Fukushima-1: Immer wieder müssen die Männer die Arbeit unterbrechen, weil die Strahlung zu hoch ist.

(Foto: AP)

Zum Schrecken aller am Sonntag arbeitenden Journalisten meldeten gegen 15:30 Uhr deutscher Zeit die Agenturen plötzlich, der japanische Kraftwerksbetreiber Tepco wiederrufe die Zahl. Einen Fehler soll der Tepco-Sprecher zugegeben haben, sich entschuldigt haben, und nein, so hoch liege der Wert des strahlenden Wassers keinesfalls.

Von einem krassen Messfehler war die Rede

Die mediale Erregung kam prompt und heftig. Die Tepco nehme die eigenen Angaben zurück hieß es in Eilmeldungen. Von einem krassen Messfehler war die Rede. Wie so oft in den vergangenen Tagen wurde die Betreibergesellschaft harsch kritisiert. Redakteure wie Leser fragten sich: Wie kann man sich denn derart vertun? Haben die nicht mal einfachste Messgeräte?

Das 100.000- fache sei richtig hieß es später. Das Hunderttausendfache des ... und das ist die eigentliche Frage: des was eigentlich? Tepco trifft in diesem Fall nämlich keine Schuld an der Verwirrung. Es war ein schlichter, geradezu banaler Kommunikationsfehler. Beide Zahlenangaben stimmen.

Es kommt nur auf die Frage an: Was ist normal?

Den absoluten Strahlungswert des kontaminierten Wassers gab Tepco - vorher wie nachher - mit 1000 Millisievert pro Stunde an. Diesen Wert kann man eben mit verschiedenen "Normalwerten" vergleichen. Setzt man ihn in Beziehung mit der Strahlung von natürlichem Wasser, so kommt man tatsächlich auf einen Faktor von mehreren Millionen. Natürliches Wasser strahlt eben kaum.

Vergleicht man den Strahlungswert des verseuchten Wassers von Fukushima jedoch mit Kühlwasser, das normalerweise durch einen funktionierenden Reaktor fließt, so kommt man auf einen Faktor von (nur) 100.000. Denn Kühlwasser in einem Reaktor ist schon im Normalzustand stärker radioaktiv als Wasser aus dem Hahn.

Beide Zahlen stimmen also. Es kommt nur darauf an, mit was man den absoluten Wert vergleicht. Man kann nicht wissen, wie viele Äpfel Hans besitzt, auch wenn bekannt ist, dass er siebenmal so viele wie Peter hat.

Aber zehn Millionen, das klingt einfach stark.

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