Nachbeben der Landtagswahlen:Die CDU hat ihre Kernkompetenz verspielt

Genau wie die CSU in Bayern war die CDU in Baden-Württemberg jahrzehntelang eng mit dem Staat verwachsen, ja fast eins geworden mit ihm. In letzter Zeit hat sie jedoch ihre Balance verloren. Ihre Technikgläubigkeit hat sie blind gemacht für die Sorgen der Menschen - deshalb hat Mappus verloren.

Stefan Braun

Wer verstehen will, was am Sonntag in Baden-Württemberg passiert ist, der muss sich nur vorstellen, die CSU sei von der Macht in Bayern vertrieben worden. Genau das ist der CDU im Südwesten passiert. Die in Jahrzehnten mit dem Staat verwachsene, fast eins gewordene Partei hat zum ersten Mal seit 58 Jahren die Wahlen verloren. Für viele Menschen fühlt sich das an, als würde ihre Welt einstürzen. Sie wurden geboren, sind aufgewachsen, älter geworden, ihr Leben hat sich entwickelt, gewandelt, hat vielleicht Purzelbäume geschlagen. Nur die CDU ist immer dageblieben. Das Land, das Wirtschaftswunder und die Partei gehörten zusammen. Diese Ordnung schien ewig zu währen. Jetzt ist sie weg. Das muss erst einmal verarbeitet werden.

CDU PK nach Bundesvorstandssitzung

Kanzlerin Merkel mit Stefan Mappus: Die CDU hat ihre Kernkompetenz verspielt

(Foto: dpa)

So gesehen ist es verständlich, dass nicht nur alte Christdemokraten im Südwesten von einem "Schlag ins Gesicht", gar von "Weltuntergang" reden. Trotzdem ist der Wechsel überfällig gewesen. Demokratie lebt davon, dass Macht nicht vererbt wird. Als Erklärung für den Machtverlust der CDU reicht das freilich ebenso wenig aus wie die These, über die CDU sei das Unglück von Japan hereingebrochen. Sicher, Japan hat viel verändert. Aber die Wahl ist nicht dort entschieden worden. Was dort geschah, hat nur die früheren Fehler der CDU in grelles Licht gerückt und der Niederlage den entscheidenden Schwung gegeben.

Die Katastrophe von Fukushima hat offengelegt, wie sehr sich die CDU im Land der Tüftler und Weltmarktführer auf die Kernenergie versteifte und die Ängste vor der Atomkraft nicht mehr ernst nahm. Ihre Technikgläubigkeit machte sie blind für die Sorgen der Menschen - einen besseren Grund, Wahlen zu verlieren, hat es lange nicht mehr gegeben.

Volkspartei im besten Sinne

Die Ursachen für die Niederlage der CDU liegen allerdings noch tiefer. Die Christdemokraten haben in den letzten Jahren ihre Kernkompetenz und größte Fähigkeit verspielt. Sie haben die große Balance, die sie lange beherrscht haben, nicht mehr gehalten - die Balance zwischen einer hochmodernen, kreativen, mutigen Wirtschaft und einer wertegebundenen, bodenständigen Gesellschaft; die Balance zwischen den konservativen Milieus auf dem Land und dem liberaleren Milieu der Städte; und die Balance zwischen den konservativen und liberalen Strömungen in den eigenen Reihen.

Die baden-württembergische CDU war nie deswegen stark, weil sie eine bestimmte Richtung besonders entschlossen vertreten hätte. Sie war jahrzehntelang stark, weil sie den wirtschaftlichen Fortschritt, den kreativen Ehrgeiz der Tüftler und den christlich geprägten Fleiß und das Arbeitsethos aufs geschickteste miteinander verbinden konnte. Sie verkörperte, was die fleißigen Schwaben und die etwas liberaleren, weil lebensfroheren Badener im Wirtschaftswunderland lebten. Die CDU war eine Volkspartei im stärksten Sinne des Wortes.

Keine Niederlage des Konservatismus

Dementsprechend liegen alle falsch, die das Land nur als konservativ beschrieben haben - und deshalb heute glauben, der Konservatismus habe seine historische Niederlage erlitten. Die konservative Staats-CDU eines Hans Filbinger wäre kaum in der Lage gewesen, so viele Stimmen zu ernten, hätte es nicht auch CDU-Politiker wie den liberalen und beliebten Manfred Rommel im Stuttgarter Rathaus gegeben. Ein wirbelwindiger Modernisierer wie der Filbinger-Nachfolger Lothar Späth hätte sich kaum lange gehalten, wenn ihn nicht der bodenständige Erwin Teufel als Fraktionschef kontrolliert und gebremst hätte.

Ja, auch der bodenständige Teufel wäre nicht so stark gewesen, hätte ihn die Oettinger-Fraktion nicht getrieben, sich in der Gesellschafts- und Schulpolitik zu öffnen. Mehr noch: Die CDU in Baden-Württemberg hätte sich nicht so lange die Macht sichern können, wenn sie nicht immer wieder das Gespür dafür entwickelt hätte, wann sie einen Ministerpräsidenten aus dem Amt nehmen musste. Filbinger, Späth, Teufel sind nicht durch Wahlen, sondern durch die eigene Partei gestürzt worden.

Ein solider Arbeiter war gefragt, kein Rambo

Die CDU war Regierung und Opposition, sie repräsentierte im Großen und Ganzen das Staatswesen. Mächtiger kann eine Partei in einer Demokratie kaum mehr werden. Zuletzt aber hat sie sich nachhaltig selbst geschadet. Sie hat sich intern geschwächt, sie hat sich extern mit Großprojekten übernommen - und sie hat das Gefühl für die Mehrheit der Menschen verloren.

Auf den richtigen Wechsel von Erwin Teufel zu Günther Oettinger reagierte sie, anders als früher, nicht geschlossen, sondern zerstritten. In der Energiepolitik glaubte sie so sehr an die Mach- und Beherrschbarkeit der Kernenergie, dass ihr das Gespür abhanden kam für die Gefahren. In der Wirtschaftspolitik wollte sie sich mit Großem wie Stuttgart 21 schmücken - und merkte nicht, dass die politischen wie ökonomischen Proportionen nicht mehr stimmten. Und als Stefan Mappus gewählt wurde, hat der nicht verstanden, dass auch die Baden-Württemberger einen soliden Arbeiter und Landesvertreter, keinen Rambo als Regierungschef möchten.

Die CDU hat ihr Gefühl für Umgangsformen und Prioritäten verloren. Dass das in einem Land wie Baden-Württemberg bestraft würde, hätte sie wissen müssen. Insofern hat sie sich ihre Niederlage selbst zu verdanken.

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