Im Gespräch: Suelette Dreyfus:Im Untergrund mit Assange

Suelette Dreyfus hat 1997 mit Julian Assange ein Buch über die Jahre in der illegalen Hacker-Szene geschrieben. Jetzt erscheint "Underground" auf deutsch. Ein Gespräch über die Anfänge des politischen Internets und die Motive des Wikileaks-Gründers.

Niklas Hofmann

In den frühen neunziger Jahren war Suelette Dreyfus, Journalistin und Medienwissenschaftlerin an der Universität Melbourne, Teil des australischen Hacker-Untergrunds. Zu dem gehörte unter dem Namen "Mendax" auch Wikileaks-Gründer Julian Assange. Hacks in die Netzwerke von Unis und Telekommunikationsfirmen riefen damals Polizei und Justiz auf den Plan. Assange wurde 1996 zu 2100 Dollar Schadenersatz und einer Bewährungsgeldstrafe verurteilt. Gemeinsam mit Assange recherchierte Dreyfus damals drei Jahre lang für ein Buch über die Hacker-Szene. "Underground" erschien im Original 1997. Nun erscheint das 600-Seiten-Werk erstmals bei Haffmans & Tolkemitt auf Deutsch.

Leipziger Buchmesse - Julian Assange

Es gibt keine öffentlichen Fotos von Suelette Dreyfus auf denen sie zu erkennen ist. Die Co-Autorin des Wikileaks-Gründers Julian Assange will nicht auf Bildern gezeigt werden.

(Foto: dpa)

SZ: Sie bemühen sich in Ihrem Buch, die Hackerszene, die Sie beschreiben, als etwas genuin Australisches zu schildern. Gilt das auch für Wikileaks?

Suelette Dreyfus: Absolut. Das Interessante an Wikileaks, was genauso für den frühen australischen Untergrund gilt, ist die Grundhaltung, dass nicht jede Autorität recht hat, und dass man dagegen rebellieren muss. Die embryonische Version davon schildere ich in Underground. Eine deutlich weiterentwickelte Version davon sehen wir in Wikileaks und in (der Hackergruppe, Red.) Anonymous. Die Politisierung der Jugend im Internet ist eine wirkliche Strömung. Das ist das verbindende Thema, das vom frühen Underground bis heute reicht. Wir haben nun eine Jugendkultur, die sehr amorph ist, schwer festzunageln, sehr agil, hochbeweglich und sehr anpassungsfähig. Und das traf auch schon auf den frühen Untergrund zu.

SZ: Wie politisch waren die frühen Hacker denn? Das klingt im Buch alles auch sehr spielerisch. Sie versuchten einfach in jedes Computernetzwerk einzudringen, an das sie herankommen konnten.

Dreyfus: Bei einer Reihe der Hacker, die ich interviewt habe, habe ich schon Spuren einer frühen Politisierung gefunden. Zum Beispiel der Wank-Wurm, den man den weltweit ersten politisch motivierten Computerwurm oder den ersten Wurm mit einer politischen Botschaft nennen könnte. Das war ein ziemlich bedeutender Meilenstein. Denn es war ganz deutlich, dass der Autor oder die Autoren dieses Wurms die Autoritäten ablehnten, die Atomenergie förderten. Also machten sie sich darüber lustig, machten eine Art Satire daraus, als deutliches Zeichen der Ablehnung.

Das war spielerisch, weil der Wurm den Behörden vor allem einen Streich spielte. Er drang in die Netzwerke der Nasa und des US-Energieministeriums ein und tat so, als würde er große Datenmengen löschen, obwohl nichts dergleichen geschah. Die Daten waren also alle noch intakt, obwohl einige Leute deswegen vielleicht Herzanfälle hatten, was vielleicht auch etwas hart war. Die gleiche Politisierung fand man auch bei den International Subversives (Assanges Hackergruppe Anm. d. Red.).

SZ: Sie zitieren Julian Assange im Buch damit, dass er Technologie als Agenten des Wandels angesehen habe. Das war damals schon so?

Dreyfus: Das hat er schon in ziemlich jungen Jahren so gesehen. Er konnte absolut klar erkennen, in welche Richtung die Technologie die Dinge treiben würde. Das heißt nicht unbedingt, dass er eine Vision von Wikileaks hatte. Aber er hatte sicherlich eine technologische Vision. Das Besondere an Technologie ist ja, dass sie die Fähigkeit verbessert, Informationen kostengünstig einer großen Zahl von Menschen zukommen zu lassen, und bessere Informationen zu liefern, als das andere Quellen können.

Julian hat einen sehr scharfen, technischen Verstand und deswegen war ihm Effizienz immer sehr wichtig. Ich habe ihn einmal dabei beobachtet, wie er Umzugskisten packte. Die meisten Leute werfen einfach ihre Sachen in die Kartons. Julian packte dagegen eine Kiste, und wenn auch noch der geringste Platz in der Kiste frei blieb, packte er sie wieder aus. Kein noch so kleiner Platz in der Kiste sollte verschwendet werden.

SZ: Das klingt in der Tat nach einem technischen Verstand, aber doch auch etwas überraschend. Denn in verschiedenen anderen Berichten über Julian Assange, dem Buch von Daniel Domscheit-Berg zum Beispiel, oder dem New-Yorker-Porträt von Raffi Khatchadourian, wird interessanterweise auch beschrieben, wie er umzieht, und eben genau das hervorgehoben: Dass er einfach einen Koffer nimmt und Dinge hineinwirft.

Dreyfus: Das ist eine andere Sache. Der Unterschied ist der, dass er einen technischen Verstand hat, den er einsetzt, wenn ein Rätsel geknackt werden muss, das er für wert erachtet geknackt zu werden, entweder, weil er so etwas für die Gesellschaft tut, oder, weil es seinen Verstand schärft. Dann fokussiert er sich darauf. Die Umzugskisten in diesem Fall waren so eine Rätselaufgabe. Aber es geht seinem technischen Verstand eben um Effizienz, und das hat auch mit der Skalierbarkeit von Information zu tun. Er sieht eben, dass man, wenn man einen positiven Wandel in der Welt erreichen will, es in einer Weise tun muss, die skalierbar ist.

Der einzige Weg, etwas in sehr großem Maßstab zu machen, das auch bezahlbar ist, funktioniert über Information. Ich denke, das ist der Punkt um den es ihm ging, als er Wikileaks gegründet hat. Man kann eine Milliarde Dollar verdienen mit einem Internet-Start-up, das tatsächlich funktioniert, und dann mit diesem Geld Menschen in den ärmsten Ländern der Welt mit Nahrungsmitteln versorgen. Aber wird das wirklich einen langfristigen gesellschaftlichen Wandel hervorrufen? Es wird mittelfristig viel Leid lindern, das ist wichtig. Aber es dreht nicht unbedingt an den technischen Stellschrauben für eine optimale Lösung. Julians Verstand ist in dem Sinne technisch, dass es ihm um Optimierung geht. Ob es um die Optimierung des Platzverbrauchs in einem Umzugskarton geht oder um die Optimierung des gesellschaftlichen Wandels zum Besseren.

Die Angst vor dem Unbekannten

SZ: Wie politisch war Assange denn damals?

Im Gespräch: Suelette Dreyfus: Dreyfus sagt über Assange: "Solange ich ihn kenne, hat er sich für Fragen der Gerechtigkeit interessiert. Er hat sich auch immer offline für die Gesellschaft engagiert."

Dreyfus sagt über Assange: "Solange ich ihn kenne, hat er sich für Fragen der Gerechtigkeit interessiert. Er hat sich auch immer offline für die Gesellschaft engagiert."

(Foto: AFP)

Dreyfus: Solange ich ihn kenne, hat er sich für Fragen der Gerechtigkeit interessiert. Er fand auch immer schon, dass es unvernünftig sei, nur um des Hackens willen zu hacken. Dass es im Leben Wichtigeres gäbe. Er hat sich auch immer offline für die Gesellschaft engagiert.

SZ: Im Buch gehen Sie in der Beschreibung einzelner Hacks seitenweise in extreme Details, bei der Beschreibung der Gerichtsverfahren zitieren Sie ganze Passagen aus dem Protokoll. Kommt dieses Maß an Genauigkeit von Julian Assange oder von Ihnen?

Dreyfus: Von uns beiden. Wir sind buchstäblich Zehntausende Seiten Dokumente durchgegangen - Telefonmitschnitte, Abhörprotokolle, Gerichtsakten, Zeugenaussagen. Man muss dem Leser einen Grad an Detailreichtum liefern, damit er das Vertrauen hat, dass das, was beschrieben wird, wahr ist. Das kann man nur aus den Originaldokumenten bekommen. Teile davon müssen in den Text, das kann man nicht nur mit Fußnoten machen, weil man dem Leser die Beweise dann nicht wirklich zugänglich macht.

SZ: Das erscheint einem wie ein Vorgeschmack des "Scientific Journalism", den Julian Assange heute propagiert.

Dreyfus: Das stimmt. Julian nennt das "Scientific Journalism". Im Kern geht es darum, ungefilterte Informationen zu liefern, die die Menschen selbst verifizieren können. Das war beim Schreiben des Buchs auf jeden Fall sehr wichtig.

SZ: Man könnte auch den Eindruck gewinnen, dass Wikileaks eine Abkehr von Julian Assanges Hackerwurzeln darstellt. Anders als manchmal in der Öffentlichkeit der Eindruck erweckt wird, ist ja keiner der großen Wikileaks-Scoops durch Hacks ans Tageslicht gekommen. Man hätte doch denken können, dass jemand mit seinen Hackerfähigkeiten davon mehr Gebrauch macht.

Dreyfus: Es geht nicht nur um technische Fähigkeiten. Hacken im ältesten, ursprünglichen Sinn des Wortes bedeutet überhaupt nichts Illegales. Gemeint ist jemand, der ein schwieriges Problem nimmt, eine clevere technische Lösung dafür findet und umsetzt. Das ist die ursprüngliche Bedeutung eines Hacks und eines Hackers. In diesem Sinne hat Julian die alte Definition des Hackers genommen und auf Wikileaks übertragen. Es ist eine clevere technische Lösung für das schwierige Problem des Whistleblowing. Und das ist wirklich ein schwieriges Problem. Er hatte schon sehr früh das Interesse, eine Veröffentlichungsplattform für Whistleblower und Gruppen die sich für Gerechtigkeit einsetzen, zur Verfügung zu stellen.

SZ: Wenn Sie die Zeit beschreiben, als die australische Polizei in Verbindung mit dem FBI hinter den Hackern her war, klingt das an manchen Stellen wie Räuber und Gendarm. Andererseits beschreiben Sie die Zeit auch als traumatisch für die Hacker. Manchmal hat man den Eindruck, dass die Behandlung durch die Polizei objektiv nicht so schlimm war wie die Ängste der Hacker. Gab es da eine selbstgeschaffene Paranoia?

Dreyfus: Ja, vor allem eine Angst vor dem Unbekannten. Man hatte von anderen Leuten aus dem Underground gehört, bei denen es eine Razzia gab, da kursierten Horrorgeschichten, die viel schlimmer waren als die Wirklichkeit. Es gab auch ein paar richtig harte Polizisten. Aber die Realität war wahrscheinlich in den meisten Fällen nicht so schlimm, wie sie sie selbst damals aus der Distanz wahrgenommen haben. Nachts im Dunkeln, wenn es komische Geräusche in ihrem Hinterhof gab, die Eltern ausgegangen waren, und sie bis drei Uhr morgens gehackt hatten und erschöpft waren. Das sind Momente, in denen man es mit der Angst bekommen kann.

Verbrechen ohne Opfer

SZ: Die meisten - auch Julian Assange - kamen ja mit relativ milden Strafen davon, Geldstrafen, teils auf Bewährung. Das erscheint nun nicht so drastisch. Was war denn das Traumatische?

Dreyfus: Was wirklich äußerst traumatisch für die Hacker war, war, dass die Polizei ihre Computer beschlagnahmte. Und Computer waren damals etwas anderes als heute. Man konnte nicht einfach losziehen und einen Ersatz kaufen. Die meisten von ihnen kamen auch nicht eben aus wohlhabenden Elternhäusern. Und ihnen ihre Computer wegzunehmen, war, als hätte man ihnen einen Arm oder ein Bein abgeschnitten. Die Rechner waren wirklich ein Kern ihrer Persönlichkeit. Sie erlaubten ihnen mit der Online-Community zu kommunizieren, und in dieser Community eine eigene Identität zu haben.

Es war also ein Verlust von Identität und von Gemeinschaft. Es war auch ein Verlust von Information. Die meisten waren Informationsjunkies, alle höchst intelligent. Und sie kamen dann nicht an aktuelle Informationen, weil sie keinen Zugang mehr hatten. Es war so, als hätte man jemandem, der sehr wissbegierig ist, den Zugang zu allen Bibliotheken verwehrt. Außerdem wurden sie vom Kreis ihrer Freunde abgeschnitten, die dieselben Interessen hatten. Das war, als hätte man ihnen Isolierband über den Mund geklebt, weil sie nicht mehr wirklich mit diesen Menschen reden konnten.

Und man hatte ihnen das einzige Werkzeug ihrer eigenen Form der Kreativität genommen. Das war also in verschiedener Hinsicht eine viel schlimmere Strafe als irgendetwas, was sie im Gerichtsverfahren, bei Verhören, Befragungen oder im Gefängnis hätten erleiden können. Viel schlimmer.

SZ: Sie wussten, dass sie etwas Verbotenes tun, und warteten fast auf die Festnahme. Es scheint aber, dass sie dann eher eine Behandlung wie Kriegsgefangene - auf Augenhöhe - erwartet hätten, als eine Behandlung als gewöhnliche Verbrecher.

Dreyfus: Das liegt zum Teil daran, dass sich nur wenige von ihnen als Verbrecher verstanden. Das meiste, was sie taten, wenn auch nicht alles, waren Verbrechen ohne Opfer. Das betrifft vor allem die Elite unter ihnen. Sie beteiligten sich nicht an Betrug oder dem Diebstahl von Kreditkartendaten. Sie lasen Informationen, die sie nicht hätten lesen können dürfen. Sie machten teils Kopien davon, für ihre eigenen privaten Zirkel. Darum war es für sie wohl doch eine Überraschung, dass man sie wie Verbrecher behandelte.

Es gibt aber noch ein anderes Element, das wiederum eine Vorahnung von dem gibt, was wir heute erleben. Sie fühlten sich gezwungen, in die Netzwerke von Universitäten und ähnlichem einzudringen, um Zugang zu Informationen zu erlangen, von denen sie fanden, dass sie frei verfügbar sein sollten. Und die heute auch frei verfügbar sind. Ihre Sicht der Dinge damals war - diese Information sollte uns zur Verfügung stehen. Sie steht uns nicht zur Verfügung. Also gehen wir los und holen sie uns. Denn wir sind die junge Generation und wir haben ein Recht darauf.

SZ: Sie haben gerade dieses spielerische Element jugendlicher Auflehnung beschrieben. Aber an welcher Stelle wird das wirklich politisch?

Dreyfus: Hacker stolpern oft über manche Dinge. Sie haben mir erzählt, dass sie einmal im System einer Softwarefirma waren und dort den proprietären Code eines Konkurrenzunternehmens gefunden haben. Und sie waren ziemlich sicher, dass der Konkurrent das nicht gestattet hatte. Das fanden sie natürlich lustig, aber sie erkannten eben auch das Unethische daran. Sie konnten es natürlich nicht herausposaunen. Aber sie haben es gesehen und wahrgenommen.

Und ich glaube, wenn man Hacker ist und sich in diesem Umfeld bewegt, dann beginnt man unter die Oberfläche und hinter die Fassade all dessen zu blicken, was wir tagtäglich sehen, aber nicht wissen. Man sieht die wirklichen Machtstrukturen, sieht, wer diejenigen sind, die in diesen Strukturen wirklich Macht ausüben, wie sie das tun, wie sie diese Macht bekommen und wie sie sie behalten. Und das geschieht ja nicht immer nur auf ethische Weise.

SZ: Das ist also dasselbe wie das, was die Wikileaks-Depeschen tun? Einen Blick auf eine Welt zu zeigen, in der vielleicht nicht das Gegenteil von dem wahr ist, was wir annehmen, die aber doch anders ist?

Dreyfus: Da gibt es verschiedene Ebenen. Aber nehmen wir zum Beispiel den Arabischen Frühling. Ich bin ziemlich sicher, dass die Menschen in Tunesien, Libyen oder Ägypten wussten, dass es bei ihnen viel Korruption gab. Aber vielleicht fehlte ihnen der belastbare Beweis, vielleicht wussten sie nicht, wie weitverbreitet sie war, oder vielleicht war ihnen nicht klar, wie korrupt die Menschen, die über das ganze Geld und die ganze Macht verfügen, wirklich waren. Plötzlich lieferten ihnen die Depeschen die ungefilterte Wahrheit über das Ausmaß dieser Korruption und über andere schmutzige Dinge, Folter und so weiter. Das scheint mir doch ein Wendepunkt zu sein.

Hillary Clinton sagt zwar gerne, es seien Twitter und Facebook gewesen, die die Unruhen anstießen. Die ägyptischen Protestler haben ein sehr gutes, knappes Handbuch zusammengestellt, das erklärt, wie man das macht, wie man sein Regime verändert. Und das Erste, was auf Seite eins und noch einmal auf der letzten Seite gesagt wird, ist: Benutzt nicht Facebook, benutzt nicht Twitter! Da finde ich es doch überraschend, dass die US-Außenministerin sagt, dass es Twitter und Facebook waren, die diese Volksrevolutionen ausgelöst haben. Nein, es war die Wahrheit, die die Revolutionen ausgelöst hat, die ungefilterte Wahrheit. Und die kam aus den Depeschen.

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