Ludwig II.:So kalt, so stolz

Schmerzhaft war es, als die "Preißn" Bayerns Eigenstaatlichkeit 1870/71 ein Ende machten. Der als Träumer bekannte Ludwig II. betrieb dabei eine vernünftige Realpolitik - auch wenn böse Zungen anderes behaupten.

Joachim Käppner

Während der Münchner Gammelfleisch-Affäre wurde Cheffahnder Josef Wilfling 2007 vor dem Untersuchungsausschuss befragt. Er führte aus, die Spur des eklen Altfleischs verliere sich teilweise auf der Wiesn: "Dess hamm die Preißn gessn." Gelächter im Saal. Das Wort "Preißn" ist bei den Bayern noch immer ein beliebtes Synonym für alle nichtbayerischen und damit nicht satisfaktionsfähigen Landsleute - und doch Ausdruck eines alten Minderwertigkeitskomplexes. Denn die Preußen waren es, die Bayerns eigenstaatlicher Souveränität 1870/71 ein Ende machten.

Königstreue gedenken des 120. Todestages von Ludwig II. von Bayern, 2006

Friedlich und heimatverbunden: noch heute geht die Vision um, Bayern hätte selbständig bleiben, ein besseres Deutschland verkörpern können. Der traurige König Ludwig II. wird weiterhin verehrt.

(Foto: dpa)

In Bayern hat man immer gern mal geglaubt, zu Höherem, ja zur politischen und moralischen Führung Deutschlands berufen zu sein. Leider aber standen Anspruch und Fähigkeit allzu oft im beklagenswertesten Kontrast. Ludwig II., der traurige König Bayerns, war kein Gegner für Preußens Ministerpräsidenten Otto von Bismarck, der die Einigung der deutschen Lande energisch vorantrieb.

Bei seinem Besuch 1863 im Schloss Nymphenburg musterte der Preuße den damaligen Kronprinzen mit Erstaunen: "Ich hatte den Eindruck, daß er mit seinen Gedanken nicht bei der Tafel war und sich nur ab und zu seiner Absicht erinnerte, mit mir eine Unterhaltung zu führen. In den Pausen des Gesprächs blickte er über seine Frau Mutter hinweg an die Decke und leerte hastig sein Champagnerglas." Er weiß aber, er wird Ludwig noch brauchen. Im friedlichen Gefüge des Deutschen Bundes, dieses Sammelsuriums von Einzelstaaten, ist Bayerns Monarchie nach der preußischen die wichtigste. 1866, beim preußisch-österreichischen Krieg, stellt sie sich an der Seite Wiens dem Machtanspruch Bismarcks entgegen - und gehört zu den Verlierern, die ein folgenreiches Militärbündnis mit Berlin schließen müssen.

So kommt es, dass 1870 viele bayerische Soldaten im deutsch-französischen Krieg dabei sind. Ludwig hasst den Feldzug, von dem Bismarck hofft, er werde die deutsche Einheit unter Preußens Banner bringen. Aber vor der Münchner Residenz jubeln Ludwig die Bürger zu und singen "Die Wacht am Rhein". Noch 1867 hatte er an seine Freundin Sybilla von Leonrod geschrieben: "Vor Preussens Krallen wolle Uns Gott bewahren!" Doch Preußens Krallen halten ihn nun umschlossen, und er weiß es.

Im September 1870 triumphieren die deutschen Heere bei Sedan. Bismarck setzt die süddeutschen Staaten unter Druck, am 23. November 1870 wird in Versailles der Vertrag eines "ewigen Bundes" paraphiert, bald "Deutsches Reich" genannt. Deutschland ist einschließlich Bayerns geeint, wenn auch nicht in Freiheit, denn die haben die Monarchen 1849 umgebracht. Viele, voran Bruder Otto, haben Ludwig II. beschworen, diesen Weg nicht mitzugehen: "Ich beschwöre Dich, das Schreckliche nicht zu tun", nicht "die Selbstständigkeit dahinzugeben". Zu spät. Ludwig ist es sogar, der im "Kaiserbrief" im Namen der deutschen Fürsten Preußens Regenten Wilhelm I. den Titel des Kaisers anträgt.

Entworfen hat den Brief 1870 Bismarck, dem der preußische Botschafter Georg von Werthern zuvor telegrafiert hatte: "Ganz geheim! Der König von Bayern ist durch Bauten und Theater in große Geldnot geraten. Sechs Millionen Gulden würden ihm sehr angenehm sein, vorausgesetzt, dass die Minister es nicht erfahren. Für diese Summe würde er sich auch zur Kaiserproklamation und Reise nach Versailles entscheiden."

Am 18. Januar 1871 wird Wilhelm im Versailler Spiegelsaal zum Kaiser ausgerufen. Ludwig lässt sich wegen Zahnwehs entschuldigen. "Ach Ludwig", schreibt Otto aus Versailles, "welchen wehmütigen Eindruck machte es mir, unsere Bayern sich da vor dem Kaiser neigen zu sehen..., alles so kalt, so stolz, so glänzend, so prunkend und großtuerisch und herzlos und leer."

"Finis Bavariae" notiert der Politiker Ludwig von der Pfordten in sein Tagebuch. Seither geht die Vision um, Bayern hätte selbständig bleiben, ein besseres Deutschland verkörpern können: friedlich und heimatverbunden, Trachtenhut statt Pickelhaube. Der geistreiche CSU-Mann Peter Gauweiler schrieb einmal: "Mit einem souverän gebliebenen Bayern wäre auch die spätere imperiale Politik Wilhelms II. so nicht gelaufen und alles, was danach kam, dementsprechend auch nicht."

Kein Wunder, dass früh die Verschwörungstheorie aufkam, Bismarck habe dem klammen König Bayerns Eigenständigkeit quasi abgekauft. "Was ist der Preis, für den der König diesen Brief geschrieben hat?" fragte sich Werthern, und: "Wenn ich nur wüsste, ob Bismarck dem König heimlich etwas in die Tasche steckt." Tatsächlich erhielt Ludwig seit 1871 von den Preußen rund fünf Millionen Mark, über damals schon diskrete Schweizer Banken.

"Die Annahme, erst die Zusage der Gelder habe den Kaiserbrief Ludwigs II. erwirkt, wird in der neueren historischen Literatur meist als feststehende Tatsache ausgegeben", kritisiert Rupert Hacker, einer der besten Kenner der Materie. Aber hatte Ludwig überhaupt eine Wahl? Eher nicht - mitten im Krieg, in einem Taumel nationaler Einheitssehnsucht. Bayern wäre in die Einheit gezwungen worden oder eine isolierte Mittelmacht geblieben zwischen dem geeinten Deutschland und Österreich-Ungarn. Das Deutsche Reich wurde ein einheitlicher Wirtschaftsraum - Bayern, wenig industrialisiert, wäre eine rückständige, vom Wohlwollen der Starken abhängige Enklave des alten Deutschlands geworden. Und Ludwig II. holte als Gegengabe nicht nur Geld, sondern auch sehr weitreichende Autonomierechte für Bayern heraus.

Ja, der Träumer auf dem Thron, schreibt Marcus Spangenberg, "tat das einzig Richtige und handelte mit klarem Blick und als verantwortungsvoller Herrscher."

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