Streik bei der Frankfurter Rundschau:Eine Zeitung schmilzt weg

"Es wird ein Hauen und Stechen geben" - In der "Frankfurter Rundschau" macht sich Untergangsstimmung breit. Seit Jahren schmilzt die Tageszeitung dahin wie keine andere in Deutschland. Nun streiken die Redakteure der "FR".

Marc Widmann

Langsam ist die alte Frau herangetrippelt an die streikenden Redakteure, seit 85 Jahren ist sie schon Frankfurterin, jetzt muss sie etwas fragen. "Ich habe gehört, dass die FR nach Berlin gehen soll?", sagt sie, "ich hab mich so erschrocken!" Sie ist an einen erfahrenen Sportredakteur geraten, kundig im Beschreiben der Frankfurter Eintracht und seit neuestem auch im Beruhigen von Lesern. "Nein", sagt er mit sanfter Stimme, "die Rundschau bleibt noch hier."

Demonstration von Mitarbeitern der Frankfurter Rundschau

Am Donnerstagmittag streikt fast die ganze Redaktion der Frankfurter Rundschau vor dem Verlagsgebäude. Ein Großteil der Redakteure soll entlassen werden. "Es herrscht Trauer um den Verlust des Ganzen", beschreibt ein Mitarbeiter die Stimmung.

(Foto: dapd)

Das ist immerhin die halbe Wahrheit. Ein großer Teil der 115 Redakteure, mehr als 40, soll entlassen werden. Ein anderer Teil, gut 20, soll nach Berlin umziehen und dort die überregionalen Seiten der FR planen und redigieren. Und ja, ein Teil bleibt in Frankfurt, um über die Region zu berichten; vielleicht auch der Sport-Redakteur. Er weiß es noch nicht. Er hat nächste Woche ein Gespräch bei den Chefs. Am Donnerstagmittag steht er erstmal eine Stunde lang vor dem Verlagsgebäude und streikt, wie fast die ganze Redaktion: "Im Newsroom sitzen nur noch ein paar Chefs."

In Frankfurt waren die harten Sparpläne rasch Stadtgespräch, hängen blieb vor allem der Umzug der Mantelredaktion nach Berlin. Aus dem einst stolzen Blatt werde "ein halber Etikettenschwindel", kommentierte die benachbarte FAZ, eigentlich müsste die Zeitung bald "Berliner Rundschau" heißen. So etwas können sie jetzt gerade noch gebrauchen bei der FR. Seit einer Woche steht die Redaktion unter Schock. "Dass sie uns die ganzen Ressorts wegrasieren, kam in dieser Härte völlig überraschend", erzählt ein Redakteur.

"Die Rundschau muss in Frankfurt bleiben!", steht auf ihren Plakaten. Daneben redet Marcel Bathis, ein stämmiger Mann, der Vorsitzende des Betriebsrats. Er wirft den Gesellschaftern vor, sie würden den Haustarifvertrag "umgehen, verletzen, vergewaltigen". Darin stehe, bis Ende 2012 seien Ausgliederungen und Abspaltungen verboten. "Ich bin nur Drucker, nicht Jurist", sagt Barthis, "aber für mich ist der Geist und Inhalt klar." Er will kämpfen. Er sei schon längst abgehärtet.

Seit Jahren schmilzt die FR dahin, wie keine andere überregionale Tageszeitung in Deutschland. Viel Geld wurde zu ihrer Rettung aufgewendet und "verbrannt", wie ein Redakteur einräumt. Die Sanierung klappte nie richtig. Ihre Redakteure wurden weniger, haben auf Urlaubs- und Weihnachtsgeld verzichtet, manche wurden ausgelagert in eine GmbH und praktisch als Leiharbeiter an die FR zurückvermietet. Das Modell soll nun auf einige der bisherigen FR-Redakteure übertragen werden. Neue GmbHs würden entstehen, heißt es in der Redaktion, für die regionale und die digitale Berichterstattung. Wer dahin wechselt, ist kein FR-Redakteur mehr. "Die günstigsten und die billigsten werden genommen", prophezeit Barthis, "die bereit sind, 24 Stunden zu arbeiten."

"Ein Vorgehen wie bei Schlecker"

Und das ausgerechnet bei der FR. Bei einer linksliberalen Zeitung, die oft eher links als liberal war, und seit einiger Zeit zu 40 Prozent der DDVG gehört, der Medienholding der SPD. "Deren Haltung hat uns ganz besonders erschüttert", sagt Verdi-Vertreter Manfred Moos. Er vergleicht "den Versuch, Leute rauszuschmeißen und ihnen anzubieten, bei anderen Unternehmen zu schlechteren Konditionen weiterzuarbeiten", mit dem Vorgehen der Drogeriekette Schlecker.

Für manche Redakteure ist etwas zerbrochen. Für die Überzeugtesten vor allem. "Es herrscht Trauer um den Verlust des Ganzen", versucht eine Mitarbeiterin die Stimmung zu beschreiben. Um den eigenen Posten, aber genauso um die eigenständige Stimme, die die FR in der Presselandschaft war.

War? Herausgeber Alfred Neven DuMont ärgert sich über derlei Trauerreden. Dummerweise kommen sie nun auch aus seiner eigenen Redaktion. Zu den Sparplänen sagt ein Redakteur: "Das ist tödlich, man kann davon ausgehen, dass es in zwei Jahren endgültig vorbei ist." Und eine Kollegin befürchtet: "Es wird ein Hauen und Stechen geben." Untergangsstimmung macht sich breit.

In der Hauptstadt haben währenddessen die Redakteure der Berliner Zeitung einen Offenen Brief geschrieben. Darin steht: "Der Umgang mit den Kollegen der FR empört uns." Man werde das Schwesterblatt "solidarisch unterstützen, wo wir können". In dem Brief steht aber auch, dass für die Zusatzarbeit, die sie in Berlin künftig für den Mantel der FR leisten sollen, das Personal gar nicht reiche: "Wir fordern eine ehrliche Planung."

Bei der FR haben sie neben der Teeküche eine Pinnwand mit Leserbriefen aufgehängt. Etwa 80 sind eingetroffen zu den Sparplänen seit vergangenem Freitag. Nach der Umstellung auf ein kleineres Format waren es einst deutlich mehr. "Mir hat es fast den Atem verschlagen", schreibt ein treuer Abonnent. Und ein anderer teilt mit, er kündige hiermit: "Sie können sich jetzt ja in Berlin neue Leser suchen."

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