Grüne: Claudia Roth:"Die Union ist weit weg, Atompolitik hin oder her"

Grünen-Chefin Claudia Roth will mit der Regierung über einen schnelleren Atomausstieg beraten. Eine Koalition mit der Union ist für sie dennoch undenkbar - trotz Avancen von Horst Seehofer.

Michael Bauchmüller

Grünen-Parteichefin Claudia Roth ist bereit zu Gesprächen mit der Regierung über einen rascheren Atomausstieg - wenn er denn rasch genug sein wird. Schwarz-grüne Koalitionen allerdings würden auch dadurch nicht wahrscheinlicher.

Bundesvorstandssitzung Grüne - Roth

Für Claudia Roth ist Schwarz-Grün derzeit keine Option.

(Foto: dpa)

SZ: Frau Roth, hat die Kanzlerin Sie eigentlich schon eingeladen? Zum Konsensgespräch über Atomkraft?

Roth: Nein, das wundert mich. Dabei wäre das jetzt die richtige Ebene: Gespräche mit den Parteien und Fraktionen, um tatsächlich einen Konsens zu vereinbaren. Das würde ich erwarten. Stattdessen setzt sie eine Ethik-Kommission ein.

SZ: Was ist daran so schlimm?

Roth: Mit Verlaub, das sind honorige Mitglieder. Aber die Gefahren der Atomkraft kennen wir doch alle zur Genüge. Wir brauchen jetzt keine Kommissionen, sondern einen neuen, breiten Konsens, der dann wirklich hält.

SZ: Und die Grünen wären dabei?

Roth: Wir wären ja ganz schlechte Grüne, wenn wir bei dem Thema nicht gesprächsbereit wären. Natürlich sind wir bereit für einen nationalen Konsens, aber nicht für Etikettenschwindel. Das heißt, die Koalition muss schon zugestehen, dass diese Laufzeitverlängerung ein Fehler war, sie muss bereit sein, die sieben ältesten AKW plus Krümmel abzuschalten, sie muss zurückgehen zum alten Atomausstieg und glaubwürdig an einem noch schnelleren Ausstieg arbeiten.

SZ: Ganz schön viele Vorbedingungen für offene Gespräche.

Roth: Sonst ist es kein Konsens, sonst ist es Nonsens. Wir hatten ja schon einmal einen Atomkonsens unter Rot-Grün, der ohne Not aufgebrochen wurde. Dahinter kann man jetzt nicht zurückfallen. Der Ausstieg ist in der nächsten Legislaturperiode möglich. Der Einstieg in die Erneuerbaren ist schon viel weiter, als wir selber gedacht haben. Und die Gesellschaft ist es auch.

SZ: Sicher? Wie lange wird denn der Schock von Fukushima wohl halten?

Roth: Darum geht es nicht. Es sind ja nicht mehr nur die alten Anti-AKW-Kämpfer, die bei den letzten Demos auf den Straßen waren. Da waren auch ihre Kinder und Enkel, Gewerkschaften, Kirchen, Unternehmer. Ich bin nicht umfragegläubig: Aber in den Umfragen sind 80 Prozent gegen Kernkraft. Frau Merkel muss ihre Politik mal wieder an die gesellschaftlichen Mehrheiten andocken.

SZ: Gut, dass Sie Umfragen ansprechen: Wie viel vom grünen Umfragehoch geht denn auf die Atomdebatte zurück?

Roth: Die hohen Werte haben wir ja nicht erst seit Japan, die haben wir auch schon im vorigen Jahr gehabt. Aber natürlich hat da auch die Laufzeitverlängerung eine Rolle gespielt. Wir kämpfen seit 31 Jahren gegen die Atomkraft. Deshalb müssen wir jetzt keine Kreiselpolitik machen wie die anderen. Das wird goutiert.

SZ: Aber wie lange noch? In Union und FDP gewinnen ja jetzt auch die Atom-Aussteiger die Oberhand.

Roth: Wenn es so wäre, dass diese Bundesregierung glaubwürdig und ehrlich gemeint so schnell wie möglich aussteigt, wäre ich als Grüne natürlich dafür. Allerdings bin ich noch nicht überzeugt, dass diese Koalition es ernst meint.

"Die CSU jagt verzweifelt Stimmen"

SZ: Mindestens die CSU klingt neuerdings ziemlich überzeugt vom Ausstieg.

Roth: Ich bitte Sie! Die jagen doch verzweifelt hinter den Stimmungen her. Das ist keine überzeugende Linie, sondern schlicht Angst vor dem Machtverlust.

SZ: Und wie groß ist Ihre Angst, dass die Grünen den Markenkern einbüßen?

Roth: Es ist eine herbe Fehleinschätzung zu glauben, die Grünen seien eine Ein-Punkt-Partei. Klar spielt die Ökologie eine große Rolle, aber auch Themen wie Gerechtigkeit, Demokratie, Selbstbestimmung. Da machen wir uns keine Sorgen. Die Atompolitik ist nicht alles.

SZ: Werden denn schwarz-grüne Koalitionen nun wieder leichter?

Roth: So einfach ist es nicht. Es bleiben immer noch große Unterschiede in der Sozial- und Gesellschaftspolitik. Etwa in der Frage, wie wir eine Modernisierung dieses Landes hinbekommen, ökologisch und ökonomisch. Da gehört auch soziale Gerechtigkeit dazu, Mindestlohn und eine andere Gesundheits- und Bildungspolitik. Diese Union ist sehr weit von uns weg, Atompolitik hin oder her. Ihre Avancen können die sich derzeit sparen.

SZ: Avancen?

Roth: Ja, das ist beeindruckend. Erst waren wir monatelang der Hauptgegner der Union, jetzt sind Leute wie Horst Seehofer plötzlich nett zu uns. Aber doch nur, weil der Lieblingspartner der Union dümpelt. Merkel und ihre Mannen sind Zahlenmeister, die rechnen aus, dass es mit der FDP nicht mehr reicht - da nehmen sie halt die Grünen. Inhaltlich ist das null begründet. So geht das nicht.

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