Niedersachsens Ministerpräsident McAllister:"Die Kernenergie hat in Deutschland keine Zukunft"

Gutes Konzept, schlechte Kommunikation: Im Gespräch mit der SZ verteidigt Niedersachsens Ministerpräsident McAllister das Energie-Programm der Union, das auch schon vor Fukushima auf "erneuerbare Energien" gesetzt habe. Angst vor den Grünen hat der CDU-Politiker nicht - er sieht den Atomausstieg als Chance für seine Partei. Doch beim Thema Endlagerung windet sich McAllister.

Michael Bauchmüller und Stefan Braun

Obwohl noch nicht einmal ein Jahr im Amt, gehört Niedersachsens Ministerpräsident David McAllister, 40, zu den Hoffnungsträgern der CDU. Er mahnt an, bei der Energiewende konsequent zu bleiben.

Deutschlands erster kommerzieller Nordsee-Windpark in Betrieb

David McAllister (CDU) auf der nordwestlich von Borkum gelegenen Plattform des Offshore-Windparks "Bard Offshore 1": Im SZ-Interview erklärt der niedersächsische Ministerpräsident, warum er schon vor Fukushima Kernkraftskeptiker war - und wie er sich die Energiewende vorstellt.

(Foto: dpa)

SZ: Herr McAllister, sind Sie Atomkraftgegner oder -befürworter?

McAllister: Kernkraftskeptiker. Und das war auch vor Fukushima schon so. Aber seit Fukushima hat die Kernenergie in Deutschland endgültig keine Zukunft mehr, die Katastrophe hat alles verändert. Es wird dafür keine Mehrheiten mehr geben.

SZ: Noch vor sechs Monaten hielt die Union eine Laufzeitverlängerung für revolutionär.

McAllister: Das Konzept war zielführend, weil wir schon damals auf erneuerbare Energien gesetzt haben ...

SZ: ... was nur keiner gemerkt hat vor lauter Laufzeitverlängerung.

McAllister: Das ist öffentlich leider so wahrgenommen worden. Man muss einräumen, dass schon damals eine Mehrheit der Bevölkerung gegen die Laufzeitverlängerung war. Selbst in unserer eigenen Anhängerschaft war die Meinung mindestens geteilt. In dieser Frage hatten wir zentrale gesellschaftliche Gruppen gegen uns: Kirchen, Gewerkschaften, Umweltverbände. Angesichts dessen war die Kommunikation unseres Konzepts nicht hundertprozentig optimal.

SZ: Nicht optimal? Das klingt verharmlosend. War die Union nicht einfach auf dem falschen Dampfer?

McAllister: Die Ereignisse von Fukushima haben zu einer Neubewertung der gesellschaftlichen Akzeptanz der Risiken geführt. Erstmals gab es einen solchen Unfall in einem Hochtechnologieland. Das ist ein dramatischer Einschnitt, darauf muss man reagieren.

SZ: Muss man aber dann nicht einmal sagen: Sorry, da haben wir uns geirrt?

McAllister: Für mich habe ich das getan. Für andere kann ich da nicht sprechen. Ich war schon vorher skeptisch, habe die Entscheidung aber mitgetragen. Genauso erwarte ich, dass wir jetzt zusammenstehen beim Ausstieg. Die Energiewende ist die Riesenchance für die Union - wenn wir konsequent bleiben.

SZ: Was heißt das: konsequent?

McAllister: Wer aus der Kernenergie raus will, muss woanders reingehen. Wer schneller raus will, muss anderswo schneller rein. Klipp und klar, wir wer-den den Ausstieg jetzt durchsetzen müssen, wenn wir nicht unsere Glaubwürdigkeit verspielen wollen. Die Kernenergie hat in Deutschland keine Zukunft. Und ich sehe keinen Sinn mehr darin, Kämpfe der Vergangenheit zu führen.

SZ: Nimmt die Mehrheit Ihnen das auch ab? Viele vermuten hinter dem Kurswechsel der Union bis heute Wahltaktik.

McAllister: Die Wahlen sind vorbei, trotzdem hält die Union Kurs. Das ist doch konsequent. Es ist uns sehr ernst damit. Die Partei, die eine Modernisierung der Energieversorgung am besten begründet und umsetzt, wird Erfolg haben.

SZ: So ähnlich klingen auch jene in der Union, die zwar beflissen erklären, dass sie aussteigen wollen, aber bei allen Alternativen Bedenken formulieren.

McAllister: Wir müssen den realistischen Weg raus aus der Kernenergie weisen. Wir brauchen einen größeren politischen Konsens, auch bei der Durchsetzung der Alternativen. Dabei bitte ich darum, dass Kirchen, Gewerkschaften und andere gesellschaftliche Gruppen, die resolut gegen die Kernenergie eingetreten sind, uns beim Weg in die alternativen Energien genauso vehement unterstützen. Das ist eine Herkulesaufgabe.

SZ: Und das kostet viel Geld.

McAllister: Schon klar. Die Energiewende wird noch viel Kämpfe und Konflikte bringen, auch um Geld. Aber wenn wir glaubwürdig sein wollen, müssen wir die Kraft haben, Prioritäten zu setzen.

Ich habe nicht die geringste Angst vor den Grünen

SZ: Wie viel Angst vor den Grünen steckt hinter dem neuen Kurs?

McAllister: Ich habe nicht die geringste Angst vor den Grünen. Die Grünen sind die führende politische Kraft in Deutschland, um zu sagen, was alles nicht geht. Auf Dauer wird das nicht reichen. Die CDU wird ihre energiepolitische Kompetenz beweisen.

SZ: Wie und wo?

McAllister: Wir in Niedersachsen haben den Wind, andere machen Wind. Die Offshore-Windenergie ist eine Jahrhundertchance für die Nordseeküste.

SZ: Wann wird das konkret? Es fehlt ja schon an Leitungen für den Strom.

McAllister: Geduld. Wir leben immer noch in einem Rechtsstaat. Ich könnte ja gerne ihrer Forderung nachkommen und heute noch den ersten Spatenstich für eine neue Leitung machen. Aber so wird es nicht funktionieren. Es gibt klare Regeln: Raumordnungsverfahren, Planfeststellungsverfahren, Planfeststellungsbeschluss. Und dann gibt es gegebenenfalls juristische Verfahren. So funktioniert unser Rechtsstaat. Das ist auch gut so.

SZ: So wird das nie etwas.

McAllister: Doch. Es geht um die Akzeptanz des Netzausbaus bei den betroffenen Menschen. Ohne Beteiligung der Bürger wird es nicht funktionieren. Und die Kommunen, die von neuen Leitungen betroffen sind, sollten Ausgleichszahlungen erhalten. Denn die Gemeinden haben derzeit keinen Vorteil, wenn eine Stromtrasse über ihren Boden läuft.

SZ: Wie schnell geht der Ausstieg?

McAllister: Eine konkrete Jahreszahl kann in der jetzigen Phase niemand seriös nennen. Wenn es nach mir geht; je schneller, desto besser. Aber wir brauchen eine fundierte Grundlage.

SZ: Und Gorleben?

McAllister: Bei der Endlagerung trägt Niedersachsen bisher die gesamte nationale Last und Verantwortung. Gorleben sollte ergebnisoffen zu Ende erkundet werden. Wenn sich der Salzstock aber als nicht geeignet erweist, muss spätestens dann nach anderen Lösungen für die Entsorgung gesucht werden.

SZ: Was heißt spätestens?

McAllister: Spätestens heißt, spätestens im Falle der festgestellten Nicht-Eignung. Auf die Möglichkeit, dass Gorleben ungeeignet sein könnte, sollte der Bund vorbereitet sein. Das heißt, er sollte durch die wissenschaftliche Erforschung anderer Endlagermedien wie Tonschichten und Kristallin vorbereitet sein.

SZ: Sie reden noch sehr in Rätseln.

McAllister: Wenn sich der Salzstock als nicht geeignet erweist, muss spätestens dann nach anderen Lösungen für die Entsorgung der hochradioaktiven Abfälle gesucht werden. Und wenn alternative Entsorgungsmöglichkeiten zu Gorleben geprüft werden, müssen auch die anderen Länder in die Pflicht genommen werden. Wie Gorleben ergebnisoffen erkundet wird und ein mögliches bundesweites Suchverfahren alternativer Entsorgungsmöglichkeiten ablaufen könnte, liegt in der Zuständigkeit des Bundes.

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