Anklage gegen Ex-Staatssekretär:Der Fall des Ludwig-Holger Pfahls

Er galt als Ziehsohn von Franz Josef Strauß, war Verfassungsschutzpräsident und Staatssekretär im Verteidigungsministerium: Kaum ein anderer deutscher Spitzenbeamter ist so tief gefallen wie Ludwig-Holger Pfahls. Jetzt schreibt die bayerische Justiz die Geschichte fort: Pfahls muss sich voraussichtlich abermals vor Gericht verantworten - wegen Bankrotts in 93 Fällen, Betrugs und Erpressung.

Nicolas Richter

So also endet es: im Burger King, am Nürnberger Hauptbahnhof. Ludwig-Holger Pfahls hat sich hier verabredet, mit einem Mann, dem er 10.000 Euro schulden soll. Es ist zwölf Uhr mittags am 18. Dezember 2010. Als Pfahls den Bekannten trifft, sagt er, draußen warteten zwei Herren, von denen werde er sein Geld bekommen. Pfahls geht; der Gläubiger bleibt zurück mit den beiden Fremden, sie überreichen ihm einen Umschlag mit 5000 Euro. Die Hälfte fehlt.

Ludwig-Holger Pfahls

Er wollte noch groß sein, obwohl er es nach einer Haftstrafe längst nicht mehr war: Ludwig-Holger Pfahls, hier 2007, als sein Ruf schon ruiniert war.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

Da schärfen ihm die Geldboten das Folgende ein: Er werde den Herrn Pfahls jetzt nicht mehr anrufen, sonst bekomme er richtig Ärger. Was er da gerade erhalten habe, sei genug. Der Eingeschüchterte soll um seine Gesundheit gefürchtet haben, gar um sein Leben. Er hat dann kein Geld mehr von Pfahls verlangt.

Mit dieser Szene schreibt die bayerische Justiz die traurige Geschichte von Ludwig-Holger Pfahls fort, der einst Präsident des Bundesamts für Verfassungsschutz war und Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Hohe Ämter im Staat, in denen die innere und äußere Sicherheit des Landes verteidigt werden. Dann aber: kriminelle Geschäfte, Flucht, Gefängnis. Und jetzt also Abrechnungen mittags am Bahnhof, in einer Burger-Braterei, die mit dem Spruch wirbt: "Weil du großen Hunger hast, bekommst du auch wahre Größe." Pfahls ist oft hungrig gewesen, dabei allerdings immer kleiner geworden. Wann immer es so schien, als könne er nicht mehr weiter fallen, fiel er noch tiefer.

Wenige Tage nach dem Bahnhofstreffen, kurz vor Weihnachten, wurde Pfahls verhaftet. Jetzt hat ihn die Staatsanwaltschaft Augsburg angeklagt wegen Bankrotts in 93 Fällen, Betrugs und Erpressung. Im Strafrecht bedeutet Bankrott, Geld beiseitezuschaffen, um es seinen Gläubigern vorzuenthalten. Pfahls hatte enorme Schulden. Als Staatssekretär hatte er dem Waffenlobbyisten Karlheinz Schreiber vor zwei Jahrzehnten geholfen, Fuchs-Panzer nach Saudi-Arabien zu verkaufen. Schreiber dankte mit 873.000 Mark, angeblich hatte er sogar 3,8 Millionen Mark versprochen.

Pfahls tauchte Ende der neunziger Jahre unter, Fahnder suchten ihn weltweit. Im Jahr 2005 schließlich verurteilte ihn das Landgericht Augsburg wegen Steuerhinterziehung und Vorteilsannahme. Pfahls blieben, außer einem ruinierten Ruf, nur Verbindlichkeiten: Der Justiz schuldete er 90.000, dem Finanzamt gut anderthalb Millionen Euro. Sein früheres Ministerium forderte 3,8 Millionen Mark.

Die neueste Anklageschrift erzählt von einem Mann, der nach Strafprozess und einem Jahr in Haft versuchte, ins Leben zurückzufinden, allerdings nicht ins bescheidene. Pfahls wollte groß leben, obwohl er es längst nicht mehr war. Die Ermittler werfen ihm vor, sein Geld im Ausland vor den Gläubigern versteckt zu haben. Um trotzdem einen "hohen Lebensstil" zu finanzieren, habe Pfahls in kleinen Tranchen Geld zurückgeholt, indem er es meist auf Inlandskonten seiner Ehefrau überwies. Weil seine Frau wusste, dass sie seine Armut nur inszenierten, ist nun auch sie angeklagt.

Ebenso die Ex-Ehefrau von Pfahls, die vor einem Monat in der Schweiz verhaftet und ausgeliefert wurde. Sie soll ihrem damaligen Mann in den neunziger Jahren laut Anklage geholfen haben, 3,8 Millionen Mark in Luxemburg unterzubringen. Etwa die Hälfte dieses Vermögens soll Pfahls vor einigen Jahren zurückgeholt und in ein deutsches Unternehmen investiert haben. Insgesamt sind jetzt acht Personen angeklagt, meist wegen Beihilfe zum Bankrott. Gegen zehn weitere Personen wird getrennt ermittelt.

Erstaunlich ist, dass der gesellschaftlich längst geächtete Pfahls doch noch so viele Unterstützer oder Komplizen fand für seine mutmaßlichen Verschleierungsmanöver. Mehrere Verdächtige sind Rechtsanwälte, die finanziell womöglich gar nicht auf das Geld von Pfahls angewiesen waren. Halfen sie aus Mitleid, aus alter Verbundenheit, hofften sie, ihn auszunutzen? Bei einem Anwalt zum Beispiel soll Pfahls einen höheren Betrag geparkt haben; dann ließ er sich das Geld in kleinen Tranchen als "Gehalt" auszahlen. Natürlich war dieses so knapp berechnet, dass man es nicht pfänden konnte. Der hilfsbereite Anwalt hat nun selbst seine Probleme mit der Justiz.

Mehrere Bekannte sollen ferner verschleiert haben, dass Pfahls eine Villa in Südfrankreich gehörte. So blieb auch dieses Anwesen dem Zugriff der Gläubiger entzogen. Unter den mutmaßlichen Helfern ist der einflussreiche Kaufmann Dieter Holzer, der Pfahls schon in der Zeit auf der Flucht geholfen hatte und deswegen bestraft wurde. Holzer bestreitet jetzt, Geld für Pfahls versteckt zu haben. Aber auch er sitzt vorerst in Haft.

Pfahls wirkte jedenfalls mittellos. Ende 2007 erklärte er zum Beispiel in einer eidesstattlichen Versicherung, dass er nur 275 Euro Bargeld besitze. Aber die Ermittler gehen von einem tatsächlichen Vermögen von vier Millionen Euro aus, in der Anklageschrift ist ein dinglicher Arrest in Höhe von 2,7 Millionen vermerkt. Geld wurde bei Pfahls auch durchaus ausgegeben. Das Haus seiner Frau in Oberfranken ließ er offenbar für Hunderttausende Euro umbauen und bezahlte mit Bargeld aus trüber Quelle. Ebenfalls in bar soll Pfahls für 34.000 Euro einen Audi Q7-Geländewagen gekauft und zur Tarnung auf den Namen seiner Frau zugelassen haben. Ihr schenkte er zudem Schmuck im Wert von mehr als 4000 Euro, auch den zahlte er mit Banknoten.

Die Staatsanwaltschaft ist Pfahls eher zufällig auf die Spur gekommen, als sie die Geschäfte einer maroden Firma untersuchte. Unverhofft stieß sie dabei auf Pfahls, den alten Bekannten. Im Herbst vergangenen Jahres telefonierte Pfahls noch ahnungslos mit Max Strauß, dem Sohn des früheren bayerischen Ministerpräsidenten. Strauß warnte davor, dass Telefonate oft von Behörden mitgeschnitten würden. Pfahls als früherer Verfassungsschützer wisse das ja selbst. So ein Schmarrn, entgegnete Pfahls. Tatsächlich war der Staat längst in der Leitung. Ein halbes Jahr lang haben die Ermittler seine Gespräche mitgehört und die Ereignisse deswegen ziemlich präzise rekonstruieren können. Nicht alles in der Anklageschrift muss deswegen stimmen. Aber wenn auch nur die Hälfte stimmt, hat Pfahls nichts Gutes zu erwarten.

Pfahls' Pflichtverteidiger, der Münchner Anwalt Walter Lechner, wollte sich zu den Vorwürfen nicht äußern. Laut Anklage hat Pfahls bisher sein Schweigerecht in Anspruch genommen, allerdings hat er ein Geständnis angekündigt. Er ist jetzt 68 Jahre alt und dürfte versuchen, eine Haftstrafe so niedrig wie möglich zu halten, indem er kooperiert. Die Staatsanwaltschaft rechnet mit einer Haftstrafe von mehr als vier Jahren. Weil Pfahls bisher jede Hilfe bei der Suche nach verstecktem Geld verweigert habe, müsse er seine Strafe auch voll verbüßen.

Den Prozess vor der 9. Wirtschaftskammer des Landgerichts Augsburg wird Richter Rudolf Weigell leiten, er gilt als akribisch, kundig und streng. Den Lobbyisten Schreiber nannte er "maßlos und raffgierig" und verurteilte ihn unlängst zu acht Jahren Haft. Welche Worte wird er für Pfahls finden, der zumindest nicht so selbstgerecht und rachsüchtig auftritt wie Schreiber? Wie auch immer es ausgeht, das feine Leben dürfte für Pfahls diesmal endgültig vorbei sein.

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