Streit über Kretschmann:Hessen buhlt um Baden-Württembergs Autobauer

Baden-Württembergs designierter Ministerpräsident Kretschmann verlangt einen ökologischen Umbau der Autoindustrie - jetzt begehren CDU, SPD und Pkw-Lobby auf. Hessens Regierungschef Bouffier legt der Branche die Flucht aus dem grün-roten Nachbarland nahe.

Der designierte baden-württembergische Ministerpräsident Winfried Kretschmann provoziert mit seinen autokritischen Äußerungen Kritik bei SPD und Union. Der hessische Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) lud die Industrie zu Investitionen in seinem Bundesland ein.

Koalitionsverhandlungen in Baden-Wuerttemberg

Designierter grüner Regierungschef Kretschmann (beim Blick über Stuttgart): Wie sieht die Zukunft der Autoindustrie aus?

(Foto: dapd)

Es sei wirtschaftspolitisch äußerst unklug, ein wesentliches Standbein der deutschen Wirtschaft infrage zu stellen, sagte Bouffier zu den Aussagen des Grünen Kretschmann. "Der Automobilstandort Hessen setzt auf Autos und Mobilitätskonzepte. Hessen freut sich über jegliche neue Investition von Automobilherstellern und Zulieferern, wenn diese in Baden-Württemberg unter der künftigen grün-roten Landesregierung nicht mehr willkommen sind." Auch CDU-Generalsekretär Hermann Gröhe hatte Kretschmann vorgeworfen, den Wirtschaftsstandort zu gefährden: "Herrn Kretschmanns abstruse Forderung macht deutlich, wer der große Verlierer von Grün-Rot sein wird: die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer bei Daimler, Porsche und den vielen Zulieferern."

Auch die SPD, Kretschmanns künftiger Koalitionspartner, kritisierte den designierten Ministerpräsidenten. Landeschef Nils Schmid machte deutlich, dass ihm das erste große industriepolitische Signal seines Partners in die falsche Richtung geht: "Klar ist doch: Jede baden-württembergische Landesregierung hat Benzin im Blut." Es bestehe zwar Einigkeit, dass die Autohersteller ihre Produktion auf umweltfreundlichere Fahrzeuge umstellen müssen - aber selbstverständlich sei auch, dass es weiter einen hohen Bedarf an individueller Mobilität gebe: "Wir brauchen also nicht weniger, sondern andere Autos."

Weniger Autos bedeuteten weniger Wohlstand und weniger Arbeitsplätze, sagte Garrelt Duin, wirtschaftspolitischer Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion. Kretschmann wandele auf einem schmalen Grat: "Die Grünen dürfen die industrielle Basis nicht leichtfertig aufs Spiel setzen.

Autobauerverband warnt Kretschmann indirekt

Kritik kam auch vom Verband der deutschen Automobilindustrie. Lobbypräsident Matthias Wissmann sagte den Stuttgarter Nachrichten: "Wenn Herr Kretschmann grüne Autos sehen möchte, dann braucht er sich nur die Produkte anschauen, die in seinem Heimatland vom Band laufen." Die deutschen Premiummarken kämen bei der CO2-Reduzierung schneller voran als ihre Wettbewerber, der deutsche Straßenverkehr sei europäischer Vorreiter im Klimaschutz. Die Zeit der Grabenkämpfe sei längst vorbei. Wissmann warnte Kretschmann indirekt, Entscheidungen zum Nachteil des Wirtschaftsstandortes zu treffen. Die Produktion von Premium-Autos sei entscheidend für den Industrie- und Innovationsstandort Deutschland - sechs von zehn Arbeitsplätzen bei den deutschen Automobilherstellern hingen davon ab.

Der baden-württembergische Sportwagenhersteller Porsche sieht in den Äußerungen des designierten Ministerpräsidenten dagegen keinen Grund zur Besorgnis. Sportwagen seien per se effizient und umweltschonend, sagte ein Unternehmenssprecher. Außerdem würden Spritspar-Technologien zunächst in der Oberklasse entwickelt und später auf Kleinwagen übertragen. Porsche will Kretschmann nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten zu einem Gespräch einladen. Man freue sich auf eine konstruktive Zusammenarbeit, sagte der Sprecher.

"Weniger Autos sind natürlich besser"

Kretschmann hatte sich in einem Interview mit Bild am Sonntag offen für eine geringere Produktion von Kraftfahrzeugen in der Bundesrepublik ausgesprochen: "Weniger Autos sind natürlich besser als mehr", sagte er. Die deutschen Autohersteller sollen in geringerem Maße produzieren und exportieren als bisher. In Zukunft müssten "ganze Mobilitätskonzepte" verkauft werden, zu denen "Laufen, Fahrradfahren, Autofahren, Eisenbahnfahren" gehörten, sagte er. "Das müssen wir so klug vernetzen, dass man gut vorankommt und die Umwelt schont."

Der ökologische Umbau der Autoindustrie sei ein Kernprojekt seiner künftigen Arbeit, kündigte Kretschmann an. Sorgen machen müsse sich Baden-Württembergs Automobilindustrie um Daimler und Porsche unter einem grünen Regierungschef zunächst nicht, "aber sie muss in Zukunft Autos bauen, die viel weniger Sprit verbrauchen". Ohne eine ökologischere Ausrichtung seien die Fahrzeughersteller bedroht: "Wenn die Automobilindustrie es nicht schafft, grüner zu werden, wird sie keine Zukunft haben."

Baden-Württemberg ist das Kernland der deutschen Autoindustrie. Mehr als jeder vierte Beschäftigte der Branche in Deutschland arbeitet hier. 241 Betriebe aus der Branche zählten 2008 nach Angaben des Statistischen Landesamtes in Stuttgart knapp 207.000 Mitarbeiter - das ist fast jeder fünfte Industriebeschäftigte in der Autobranche des Bundeslandes. Zu den großen Namen der Branche gehören neben Daimler und Porsche der weltgrößte Autozulieferer Bosch und der drittgrößte deutsche Zulieferer ZF Friedrichshafen. Weitere wichtige Arbeitgeber sind Audi mit seinem Werk in Neckarsulm und Zulieferer wie der Kolbenspezialist Mahle oder der Kühler-Hersteller Behr.

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