Nach der Atomkatastrophe in Japan:Die Angst vorm Fisch

Seit Fukushima fürchten sich viele deutsche Restaurantbesucher vor verstrahlten Lebensmitteln. Die Behörden beruhigen. Was aber, wenn sich die Radioaktivität im Pazifik weiter ausbreitet?

Malte Conradi und Lena Jakat

Seit Millionen Liter radioaktiv verseuchtes Wasser in das Meer vor Fukushima laufen, hat Jana Kämpfer ein Problem. Täglich muss die Geschäftsführerin nun eingestehen, dass die Zutaten für Sushi, Nudelsuppen und Wok-Pfannen in ihren beiden japanischen Restaurants gar nicht aus Japan stammen. Der Reis kommt aus Italien, der Fisch wird vor Norwegen oder Chile gefangen. "Es ist ein bisschen peinlich, dass wir uns jetzt outen müssen", sagt die Berlinerin.

Sushi Stäbchen Japan Reis

Die Atomkatastrophe von Fukushima-1 versetzt auch Fischesser in Deutschland in Sorge. Manche Sushi-Lokale outen sich nun - oft kommen die Produkte in ihren japanischen Restaurants gar nicht aus Japan.

(Foto: dpa)

Doch Gäste, die vor einigen Wochen vielleicht noch enttäuscht gewesen wären, reagieren nach der Atomkatastrophe von Fukushima erleichtert auf diese Nachricht. Um kompetent Auskunft geben zu können, werden die Mitarbeiter täglich mit neuen Informationen versorgt. Etwa zehn Prozent der Gäste, schätzt Kämpfer, wollen wissen, wo der Fisch gefangen wurde, bevor sie ihn verspeisen. Bei der Asian Power Food GmbH, die in der Hauptstadt eine Sushi-Kette mit Lieferservice betreibt, verzeichnete man in den vergangenen Wochen sogar einen etwa 20-prozentigen Umsatzrückgang.

Nicht nur in Berliner Sushi-Restaurants, überall sind die Fischesser verunsichert. In New York, Taiwan und Hongkong haben Restaurantbesitzer Geigerzähler angeschafft, um ihre Gäste zu beruhigen. Anrufe und E-Mails alarmierter Kunden sind in Fischrestaurants mittlerweile an der Tagesordnung.

Auch Verbraucherschützer registrieren die Sorgen der Deutschen. "Wir bekommen sehr sehr viele Anfragen, welchen Fisch man noch essen kann", heißt es etwa aus der bayerischen Verbraucherzentrale, die Entwarnung gibt.

Auch Matthias Keller, Pressesprecher des Fisch-Informationszentrums, einer Lobbygruppe der Fischwirtschaft, hält die Sorgen für völlig unbegründet. "Sushi ist nur eine japanische Zubereitungsart, keine der Ingredienzien kommt von dort." Trotz seiner großen Fangflotte könne Japan es sich gar nicht leisten, große Mengen Fisch zu exportieren, sagt Keller. "Es ist unwahrscheinlich, dass wir in Deutschland in den nächsten Monaten einen Anstieg der Radioaktivität im Fisch sehen, der überhaupt messbar ist."

Ganz so einfach ist es vielleicht doch nicht. Immerhin kann kein Wissenschaftler ernsthaft abschätzen, wie viel Cäsium und Jod vor Fukushima ins Meer gelangt sind.

Anfang April wurden vor der Nachbarpräfektur Ibaraki Sandaale gefangen, die doppelt so viel Jod-131 enthielten wie erlaubt. Die jungen Sandaale werden Konago genannt und gelten in der Region als Delikatesse. Bei einem anderen Fang aus derselben Gegend lag der Cäsiumgehalt deutlich über dem Grenzwert. Die japanischen Behörden haben den Fang von Konago in Ibaraki inzwischen verboten, auch 20 Kilometer um Fukushima ist Fischfang untersagt.

Für deutsche Restaurantbesucher sehen die hiesigen Kontrollbehörden jedoch keine Gefahr. Denn bei der Einfuhr in die Europäische Union unterliegen Fischereiprodukte aus Japan strengen Kontrollen.

"Der Pazifik ist ein riesiger Wasserkörper"

Die EU-Mitgliedsländer einigten sich Anfang April nach anfänglichem Lavieren auf einheitliche, niedrigere Grenzwerte, die nunmehr den japanischen Standards entsprechen. Zuvor hatte die EU bei Cäsium eine Höchstbelastung von 1250 Becquerel pro Kilogramm erlaubt, während der entsprechende Wert in Japan bei 500 liegt. In Deutschland werden japanische Lebensmittel seit der Katastrophe von Fukushima nur noch an 15 Flughäfen, Grenzübergängen und Häfen eingeführt und kontrolliert.

Fisch aus japanischen Gewässern landet hierzulande ohnehin kaum auf dem Tisch: So stammen laut Lobbyist Keller von den fast zwei Millionen Tonnen Fisch, die hierzulande verarbeitet werden, gerade einmal 76 Tonnen aus Japan.

Was aber, wenn sich die Radioaktivität im Pazifik weiter ausbreitet? Der Nordpazifik, genauer gesagt die Beringsee und das Ochotskische Meer, ist der Lebensraum des Alaska-Seelachses. Aus dieser Dorschart wird jedes fünfte Fischprodukt hergestellt, das in Deutschland auf den Markt kommt. Die Fanggebiete liegen 2500 Kilometer von der japanischen Küste entfernt.

"Der Pazifik ist ein riesiger Wasserkörper", sagt Michael Welling vom staatlichen Johann-Heinrich-von-Thünen-Institut. Nach seiner Einschätzung werden sich die radioaktiven Stoffe schnell sehr stark verdünnen. Bis die ersten Partikel die Fanggebiete im Nordpazifik erreichen, dürfte es Monate oder sogar Jahre dauern.

Dennoch haben EU, Verbraucherschutzministerium und die Fischindustrie nun verstärkte Kontrollen auch für Fisch aus dem Nordpazifik angekündigt. In Deutschland werden die zuständigen Landesbehörden in den kommenden Wochen damit beginnen, stichprobenartig Importe etwa aus der Beringsee zu kontrollieren. Die Filets, die jetzt in deutschen Supermärkten liegen, wurden ohnehin vor dem Unglück in Fukushima gefangen. Bis ein sogenannter Alaska-Seelachs (auch: Pazifischer Pollack) im deutschen Kühlregal landet, vergehen immerhin bis zu 15 Wochen.

In den Berliner Sushi-Restaurants unter der Leitung von Jana Kämpfer bekommen die Gäste schon bald überhaupt keine japanischen Produkte mehr serviert. Entweder bräuchten die Japaner die Zutaten selbst, oder sie könnten wegen der strengen Grenzwerte nicht mehr exportiert werden, sagt sie. "Sake und unsere spezielle Mehlsorte bekommen wir genauso gut aus Kalifornien."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: