Bin Ladens Tod und der Einsatz am Hindukusch:Osama, Obama und das Afghanistan-Dilemma

Wie geht es nach dem Tod von Bin Laden mit dem Einsatz in Afghanistan weiter? Experten empfehlen Washington einen Strategiewechsel - und "eine große diplomatische Öffnung hin zu den Taliban".

Janek Schmidt

Nach dem Tod von Al-Qaida-Chef Osama bin Laden zeichnet sich eine neue Dynamik für den Einsatz ausländischer Truppen in Afghanistan ab. Zum einen entwickelt sich eine Debatte über einen möglichen beschleunigten Abzug aus dem Land. Vor allem aber sehen Sicherheits-Experten neuen Spielraum für eine Abkehr der afghanischen Taliban von den arabischen Al-Qaida-Kämpfern und somit für Verhandlungen über eine politische Nachkriegslösung.

In Washington traf die Todesnachricht von Bin Laden zu einem brisanten Zeitpunkt ein, da die US-Regierung derzeit darüber debattiert, wie viele Soldaten aus welchen Provinzen in diesem Jahr abgezogen werden sollen. Um diesen Prozess zu beeinflussen, sagte etwa der republikanische Abgeordnete Barney Frank: "Wir sind dorthin gegangen, um Osama bin Laden zu schnappen. Nun haben wir ihn." Somit sei dies ein Argument für einen schnelleren Abzug.

Zwar traten westliche Vertreter aus Militär und Regierungen dem umgehend entgegen. So bekräftigte Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen: "Die Nato-Verbündeten und ihre Partner werden ihren Einsatz fortsetzen, um sicherzustellen, dass Afghanistan nie wieder ein sicherer Zufluchtsort für Extremismus wird." Auch der britische Premier David Cameron räumte ein, die Tötung Bin Ladens sei "eindeutig eine hilfreiche Entwicklung", aber er "denke nicht, dass sie zwingend irgendwelche Zeitpläne ändern wird".

Doch nach Einschätzung mancher Beobachter könnte genau dies eintreten. So sagt die Mitbegründerin des Kabuler Forschungsinstituts Afghanistan Analysts Networks, Martine van Bijlert: "Ich glaube nicht, dass die US-Regierung den Tod von Bin Laden nutzen möchte, um einen schnellen Abzug einzuleiten, aber sie wird vielleicht nicht kontrollieren können, wohin sie von der öffentlichen Meinung getragen wird."

Davor warnt auch der frühere afghanische Botschafter in London, Ahmed Wali Massoud, dessen Bruder lange als mächtigster militärischer Widersacher der Taliban gekämpft hatte, bis er zwei Tage vor den Anschlägen des 11. September 2001 umgebracht wurde. "Die USA erwägen bereits, ihre Strategie im Krieg gegen den Terrorismus zu verändern", sagt Massoud, "und es gibt ein Risiko, dass die amerikanische Öffentlichkeit weiter fragen wird, wieso ihre Truppen noch immer in Afghanistan kämpfen."

Öffnung zu den Taliban

Ebenso stark wie in den westlichen Hauptstädten könnte sich die Lage nach dem Tod von Bin Laden in Afghanistan ändern. Felix Kühn, der in der Taliban-Hochburg Kandahar lebt und dort über die Islamisten forscht, sagt zwar: "Vor allem die Kommandeure der Taliban im Feld kommentieren den Tod als belanglos für ihren Kampf." Doch gibt er zu bedenken: "Die Taliban und al-Qaida sind zwei verschiedene Gruppen, deren Verbindungen nicht strukturiert sind, sondern maßgeblich auf persönlichen Kontakten basieren. Da kann ein Wechsel in der Führungsriege von al-Qaida eine bedeutende Entwicklung sein." Der Afghanistan-Kenner Thomas Ruttig empfiehlt daher: "Das ist eine Chance für Washington, seine Strategie zu ändern und das Vernünftige zu machen: eine große diplomatische Öffnung hin zu den Taliban."

Diese Gelegenheit haben offenbar auch westliche Regierungen erkannt, denn US-Außenministerin Hillary Clinton wandte sich bereits am Montag an die Taliban. Ihre Botschaft an die Aufständischen habe sich zwar nicht verändert, sagte sie, "aber heute hat sie vielleicht einen größeren Widerhall". Die Taliban hätten nun die Möglichkeit, "al-Qaida zurückzulassen und sich an einem friedlichen politischen Prozess zu beteiligen". Kurze Zeit später äußerte sich auch der britische Premier David Cameron: "Jetzt ist der Zeitpunkt, sich von al-Qaida zu lösen, die Waffen abzulegen und die Grundzüge der afghanischen Verfassung anzuerkennen."

Die afghanischen Taliban nehmen sich jedoch auffallend viel Zeit, um auf diese Entwicklung zu reagieren. Bislang gibt es nur Gerüchte, dass sie an einem Nachruf auf Bin Laden arbeiten. Der Islamisten-Experte Kühn sagt: "Der Tod von Bin Laden kann möglicherweise mehr Raum für die Taliban schaffen, sich über die Beziehung zu al-Qaida zu äußern, aber bis heute haben sie noch immer keine offizielle Stellungnahme zu dem Todesfall veröffentlicht."

Die Kabuler Politik-Analystin Bijlert vermutet, dass die Taliban derzeit noch überlegen, wie sie sich positionieren sollen. Dennoch erwartet sie eine Stellungnahme: "Sie werden sich bemühen, das Potential zur Mobilisierung von Bin Ladens Tod zu nutzen, aber sie werden zugleich versuchen, ihre Position zu al-Qaida ausreichend verschwommen zu belassen, um sich alle Optionen offen zu halten."

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: