Lebensmittel und Gesundheit:Weicher Käse, harte Fakten

Wenn die Lebensmittelindustrie mit Gesundheitsversprechen wirbt, prüft die europäische Lebensmittelbehörde, ob das in Ordnung ist. Doch mal gilt die als zu industriefreundlich, mal als zu streng. Versteht sie genug von Wissenschaft?

Kathrin Burger

Dass Kalzium die Knochen schützt, ist nun amtlich verbrieft. Weil die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) diese Aussage anerkennt, dürfen Hersteller von Nahrungsmitteln damit offiziell werben.

Lebensmittel und Gesundheit: Lebensmittel werden oft mit einem Zusatz versehen wie: "Stärkt die Abwehrkräfte", "senkt den Cholesterinspiegel" oder "unterstützt die Gelenkfunktionen". Solche Behauptungen der Lebensmittelindustrie überprüft die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa. Auf der Basis der Health-Claims-Verordnung erlaubt sie nur noch wissenschaftlich fundierte Versprechen. Kritiker der Behörde aber fragen: Was ist in den Augen der Efsa eigentlich wissenschaftlich fundiert?

Lebensmittel werden oft mit einem Zusatz versehen wie: "Stärkt die Abwehrkräfte", "senkt den Cholesterinspiegel" oder "unterstützt die Gelenkfunktionen". Solche Behauptungen der Lebensmittelindustrie überprüft die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit Efsa. Auf der Basis der Health-Claims-Verordnung erlaubt sie nur noch wissenschaftlich fundierte Versprechen. Kritiker der Behörde aber fragen: Was ist in den Augen der Efsa eigentlich wissenschaftlich fundiert?

(Foto: AP)

Bei zahlreichen anderen Gesundheitsversprechen der Lebensmittelindustrie stellt sich die Behörde hingegen quer. Auch beim Thema Probiotika. Joghurt-Hersteller haben 100-seitige Dossiers mit Studien vorgelegt, die ihrer Meinung nach ausreichend belegen, dass Milchprodukte mit speziellen Laktobazillen dem Darm guttun und das Immunsystem aktivieren.

Die Efsa hat dennoch alle der mehr als 300 Anträge in Sachen Probiotika abgelehnt. Kein Hersteller darf solche Health Claims verwenden.

Das ärgert nicht nur die Industrie, sondern auch so manchen Wissenschaftler, allen voran Stephan Bischoff, Professor für Ernährungsmedizin an der Universität Hohenheim und Vorsitzender der Gesellschaft für Mukosale Immunologie und Mikrobiom.

Grundsätzlich findet Bischoff die europäische Health-Claims-Verordnung richtig, wonach die Industrie nur noch mit Gesundheitsversprechen für ihre Produkte werben darf, wenn diese durch Studien abgesichert sind. "Aber die Efsa lehnt derzeit alles ab, auch das, wofür es Evidenz geben könnte", sagt Bischoff. Ihre Kriterien seien ausgesprochen streng, strenger als bei Arzneimitteln "und teilweise wissenschaftlich nicht nachvollziehbar".

In der Wissenschaft brodelt es, mancher Forscher sieht die Vorreiterrolle der europäischen Probiotika-Forschung gefährdet, weil sie hauptsächlich in Industrielaboratorien stattfindet. Nun haben sich zahlreiche prominente Wissenschaftler, darunter auch Stephan Bischoff, auf der Internetseite www.gut-health.eu formiert. Sie wollen in ihren Heimatländern darauf hinarbeiten, dass die Prüfverfahren überarbeitet werden.

Mittel für Gesunde, nicht für Kranke

Hat man bei der Efsa ein Problem mit der Wissenschaftlichkeit? Gerhard Rechkemmer, Präsident des Max-Rubner-Instituts für Ernährung und Lebensmittelsicherheit, kann die Aufregung nicht verstehen und verteidigt die Efsa: Wissenschaftler aus öffentlichen Forschungsinstituten hätten gemeinsam mit der Industrie die Kriterien für die Beurteilung von gesundheitsbezogenen Aussagen durch die Efsa festgelegt.

Dass Probiotika bei manchen Krankheiten helfen, gilt als weitestgehend bewiesen. Doch die Efsa akzeptiert die Studien mit Kranken nur im Ausnahmefall als Beweis für den Wert der Gesundheitsversprechen. Schließlich seien Probiotika als Lebensmittel für die gesunde Bevölkerung gedacht, sagt Rechkemmer.

Was Gesunde von den aufgemotzten Joghurts haben, soll den Efsa-Kriterien zufolge nicht anhand "harter Endpunkte" geprüft werden. Das wären direkte Effekte auf die Gesundheit: wenn Menschen, die die entsprechenden Joghurts essen, seltener Durchfall haben oder weniger Infektionen. Bei der Prüfung der Probiotika werden nur Ersatzmessungen vorgenommen - etwa ob die Aktivität bestimmter Immunzellen erhöht ist oder die Zahl pathogener Keime im Darm niedriger.

"Dies ist nach wie vor sinnvoll", findet Rechkemmer. Mit Hilfe solcher Werte lasse sich zu einem relativ frühen Zeitpunkt erkennen, ob Lebensmittel einer Krankheit vorbeugen können, ähnlich wie der Cholesterinwert im Blut als Marker für Herz-Kreislauf-Erkrankungen gelte.

Dagegen meint Bischoff: "Diese Messwerte sind Kompromisslösungen. Wir behandeln doch Menschen, keine Laborwerte." Schließlich bedeutet ein hoher Cholesterinspiegel nicht zwingend einen Infarkt.

Die Efsa erhebe sich mitunter über die Kriterien, wie sie ansonsten in der Wissenschaft üblich seien, beklagen die Probiotikaforscher daher. Das habe sich auch nicht geändert, seit die Behörde im Dezember Vertreter der Probiotikazunft zum vermittelnden Gespräch geladen habe.

So hat die Efsa bei ihrer Health-Claim-Prüfung den Aufbau einer wissenschaftlichen Studie zum Trinkjoghurt Actimel von Danone moniert, die im British Medical Journal erschienen war. Arbeiten in der angesehenen Ärztezeitschrift werden vor der Veröffentlichung von mindestens zwei Experten auf Fehler und Sinnhaftigkeit geprüft.

Seltsam ist der Streit schon, schließlich ist die Efsa sonst eher als industriefreundlich verschrien. Kürzlich legte die Anti-Korruptions-Organisation CEO abermals offen, wie eng einige Efsa-Wissenschaftler mit der Wirtschaft verbandelt sind. Das finden Umweltschützer insofern skandalös, als die europäische Behörde etwa in Sachen gentechnisch veränderter Lebensmittel bislang jeden Antrag durchgewunken hat. "Hier sind die wissenschaftlichen Regeln für die Sicherheitstests im Gegenteil viel zu lax", sagt Christoph Then von der Nichtregierungsorganisation Testbiotech.

Auch als es um die Industriechemikalie Bisphenol A (BPA) ging, hat die Efsa lange keine Sicherheitsrisiken gesehen. Es gab offenbar Verflechtungen mit der Industrie. Doch vor allem liegt dem Streit um die Unbedenklichkeit von BPA wohl ein wissenschaftstheoretischer Disput zugrunde: Die Efsa stützt sich nämlich bei der Bewertung von Nahrungsgiften ebenso wie ihr US-amerikanisches Pendant FDA auf Studien, die in Bezug auf Studienaufbau und Testsysteme die Kriterien der "Guten Laborpraxis" (GLP) erfüllen.

Solche Studien sind extrem teuer, weil sie eine große Zahl an Versuchstieren verlangen, um statistischen Verzerrungen vorzubeugen. Deshalb werden sie vor allem von der Industrie durchgeführt, welche häufig auf eine Veröffentlichung in Fachjournalen verzichtet - und damit auch auf eine Prüfung durch andere Experten. Die GLP-Kriterien gelten als Goldstandard, wenn Stoffe auf eventuelle Risiken hin abgeklopft werden, auch im Chemikalienbereich. "Weil sie hohe Anforderungen stellen, standardisiert und wiederholbar sind", so Andreas Hensel, Präsident des Bundesinstituts für Risikobewertung.

Doch vielen Wissenschaftlern, die zu BPA forschen, ist dies ein Dorn im Auge. Auch ihnen gilt, wie den Probiotika-Experten, vor allem die Veröffentlichung einer Studie in einem guten Fachjournal als Qualitätsbeweis.

"Bei den Sicherheitsbewertungen der Efsa werden zwar auch Studien aus Fachjournalen berücksichtigt, aber nur, wenn sie gut gemacht sind", sagt Andreas Hensel, der für Deutschland im Wissenschaftlichen Beirat der Efsa sitzt. "Bei BPA aber waren einige Studien wissenschaftlich unzulänglich."

Dagegen sagt Hermann Kruse, Toxikologe an der Universität Kiel: "Natürlich sind GLP-Studien besser, aber es gibt mehrere tausend Studien aus guten Fachjournalen zu BPA. Die kann man nicht unter den Tisch fallen lassen."

Verhärtete Fronten

Die Fronten sind verhärtet. Dabei wurden bei der Gründung der Efsa im Jahr 2003 große Hoffnung in die neue Behörde gesetzt: Nach der BSE-Krise suchte man die Rettung in der unabhängigen Wissenschaft. "Man wollte nur die Besten der Besten für die Efsa rekrutieren", so Hensel. Allerdings stammen heute die meisten der 2500 Efsa-Wissenschaftler aus nationalen Behörden oder staatlichen Forschungseinrichtungen.

Schon der Zeitaufwand von einem Monat pro Jahr macht es fast unmöglich, den Gutachterjob bei der Efsa mit einer Stelle an der Universität zu vereinen. Nicht alle Besten der Besten arbeiten also für die Efsa.

Obendrein werde der Behörde zu viel aufgebürdet, kritisieren Fachleute. "Die Bearbeitung von Health Claims ist wissenschaftlich-regulatorische Arbeit", sagt Hensel. "Das ist nicht die Kernkompetenz freiwillig tätiger Wissenschaftler." Die EU-Kommission hat der Efsa 4600 Anträge weitergeleitet, die eigentlich bis Anfang 2010 bewertet sein sollten. Bislang haben die 22 dafür zuständigen Wissenschaftler jedoch nur 2150 abgearbeitet.

Die gleiche Kritik gibt es beim Thema Gentechnik: "Die 21 Mitglieder im zuständigen Panel können vom Arbeitsaufwand her kaum in der Lage sein, die unvorhersehbaren Langzeiteffekte von gentechnisch veränderten Organismen einzuschätzen", sagt die EU-Grüne Corinna Ze

rger. Peter Liese, der für die CDU im EU-Parlament sitzt, fordert deshalb zumindest eine bessere finanzielle Ausstattung der Gesundheitswächter. Die Kommission ist sich Liese zufolge offenbar des Problems bewusst. Verbraucher-Kommissar John Dalli soll vor kurzem versprochen haben, sich der Sache anzunehmen.

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