Tarifstreit der Zeitungen:In eigener Sache

Journalisten beschäftigen sich mit Krisen und Kämpfen, das ist ihr Alltag. Mal ergreifen sie Partei für den amerikanischen Präsidenten oder die deutschen Lokführer, mal dagegen; je nach Standpunkt. Nur mit einer Gruppe beschäftigen sich die meisten von ihnen fast nie: der eigenen. Mittwoch jedoch war Kampftag, auch in der SZ. Dafür gibt es Gründe.

Detlef Esslinger

Journalisten beschäftigen sich mit Krisen und Kämpfen, das ist ihr Alltag. Sie schreiben über alle möglichen Ungerechtigkeiten auf der Welt. Mal ergreifen sie Partei für den amerikanischen Präsidenten oder die deutschen Lokführer, mal dagegen; je nach Standpunkt. Nur mit einer Gruppe beschäftigen sich die meisten von ihnen fast nie: der eigenen. Die Mehrheit der Journalisten macht ihren Job sehr, sehr gern, und zum Berufsethos gehört die Haltung, unparteiisch zu beobachten - was nur keinem Menschen gelingt, sobald es um die eigene Sache geht. Der Vorsitzende des Bayerischen Journalistenverbandes, Wolfgang Stöckel, hat kürzlich seine Kollegen zum Kämpfen aufgerufen - und die Bemerkung hinzugefügt: "auch wenn das Kämpfen manchem von uns gar nicht liegen mag".

An diesem Mittwoch war Kampftag, auch in der Süddeutschen Zeitung. Mehr als 150 Redaktionsmitglieder haben gestreikt; sie folgten einem Aufruf von Verdi und Deutschem Journalistenverband (DJV). In den meisten Ressorts waren nur Ressortleiter zur Arbeit gekommen. Daher besteht diese Ausgabe viel stärker als sonst aus Texten von Nachrichtenagenturen und vorproduzierten Beiträgen. Dass Drucker streiken, kommt in fast allen Tarifrunden vor; dass Journalisten dies tun, so gut wie nie. Am Dienstag gab es Streiks in 30 Zeitungshäusern, am Mittwoch legten außer bei der SZ auch 200 Journalisten der WAZ-Mediengruppe (Westdeutsche Allgemeine, Neue Ruhr/Neue Rhein Zeitung) die Arbeit nieder. Es sollte Druck auf die Verleger ausgeübt werden, mit denen sich die Gewerkschafter in Dortmund zu Verhandlungen, zur vierten Runde, trafen.

Es ist eine außergewöhnliche Auseinandersetzung, was sich schon daran ablesen lässt, dass die erste Zusammenkunft bereits neun Monate zurückliegt. Wenn es in Deutschland um die Löhne von Krankenschwestern oder Lokführern, von Ärzten oder Ingenieuren geht, dann ist die Ausgangslage meistens so: Die Gewerkschaft fordert eine Lohnerhöhung um soundso viel Prozent, die Arbeitgeber bieten fast nichts, und nach ein paar Wochen trifft man sich irgendwo in der Mitte. Die Journalisten-Verhandlungen sind lediglich insofern gewöhnlich, als Verdi und DJV ein Plus von vier Prozent bei Gehältern und Honoraren fordern. Außergewöhnlich sind die Gespräche wegen der Position der Verleger.

Reale Verluste

Ihr Ziel ist diesmal nicht, eine Lohnerhöhung so gering wie möglich zu halten. Ihr Ziel ist, eine Lohnsenkung durchzusetzen. Statt 13,75 Monatsgehältern wollen sie nur noch 13 bezahlen. Ferner möchten sie die Arbeitszeit von 36,5 auf 40 Stunden in der Woche erhöhen, dies aber finanziell nicht kompensieren - im Gegenteil: Drei Jahre lang soll der Tarifvertrag gelten, aber nur im dritten Jahr soll es eine "maßvolle" Erhöhung geben. Für die ersten beiden Jahre bieten die Verleger jeweils eine Einmalzahlung an.

Mit solch einer Position ist schon lange kein Arbeitgeberverband mehr angetreten, nicht einmal Gesamtmetall während der Finanz- und Wirtschaftskrise. Und es ist dies nur der eine Teil des Pakets der Verleger. Besonders umstritten ist, was sie darüber hinaus fordern: den Nachwuchs grundsätzlich schlechter zu bezahlen als die bisherigen Redakteure. Die Arbeitgeber verlangen ein "Tarifwerk II". Es sieht vor, dass Redakteure im ersten Berufsjahr nur noch 2650 Euro bekommen, statt 2987 Euro wie bisher - und im siebten Jahr nur noch 3100 Euro; das wären exakt 900 weniger als heute.

Auch ihre Finanzierung des Presseversorgungswerks, einer zusätzlichen Altersversorgung für Redakteure, wollen die Verleger für den Nachwuchs auf die Hälfte zusammenstreichen. Alles zusammengerechnet würden künftige Journalisten bis zu einem Viertel weniger erhalten als ihre bereits etablierten Kollegen.

Abwanderung ins Netz

Wieso fordern Arbeitgeber so etwas, noch dazu mitten im Aufschwung? Die Verleger bestreiten, dass ihre Branche etwas vom Aufschwung spürt. Sie weisen vor allem auf den Rückgang bei den Anzeigen hin. Stellen-, Immobilien- und Autoanzeigen sind inzwischen weitgehend ins Internet abgewandert; diese Inserenten dürften auf alle Zeit verloren sein. "Wir rufen gerne in Erinnerung, dass die Anzeigenumsätze der deutschen Zeitungen heute um 43 Prozent niedriger sind als im Jahr 2000", sagte Verlegerpräsident Helmut Heinen vor ein paar Tagen der Stuttgarter Zeitung.

Seit zwei Jahren sind die Einnahmen aus dem Vertrieb der Zeitungen höher als aus dem Anzeigengeschäft, nachdem jahrzehntelang das Geschäftsmodell darin bestand, sich zu einem Drittel über die Leser und zu zwei Dritteln über die Inserenten zu finanzieren. Viele Zeitungen, auch die Süddeutsche Zeitung, haben in den vergangenen Jahren Stellen abgebaut, zum Teil über Abfindungen, zum Teil über betriebsbedingte Kündigungen. Im vergangenen Jahr machten viele Verlage zwar wieder etwas Gewinn. Das lag aber auch daran, dass die Preise fürs Papier vorübergehend stark zurückgingen.

Das alles sind Entwicklungen, die auch von den Journalisten nicht bestritten werden. Mit welch grundsätzlichem Misstrauen sie aber inzwischen den Verlegern entgegentreten, brachte DJV-Hauptgeschäftsführer Kajo Döhring vor kurzem mit einem bildhaften Vergleich zum Ausdruck. Im Fachblatt Medium-Magazin sagte er: "Bis zur Jahrtausendwende wurde das Geld mit dem Lastwagen vom Hof gefahren. Jetzt reicht es nur noch für die Schubkarre."

Verwalten statt gestalten?

Viele Journalisten nehmen ihre Verleger als Eigentümer wahr, die traditionell nur verwalten statt gestalten, die immer kreativ sind beim Finden von Einsparmöglichkeiten, selten aber bei der Entwicklung neuer Geschäftsfelder und Erlösmodelle. Warum haben sie sich die Immobilienanzeigen wegnehmen lassen, anstatt selber rechtzeitig Online-Portale dafür zu gründen? Warum verschenken sie immer noch die Texte ihrer Journalisten auf den Online-Portalen ihrer Blätter, anstatt endlich Geld von Menschen zu kassieren, die sich lieber dort als in der Zeitung über das Ende von Osama bin Laden informieren?

Müssten sie nicht zugleich ARD und ZDF noch viel stärker attackieren, jene öffentlich-rechtlichen Anstalten, die von vielen Redaktionen jahrelang publizistisch verteidigt wurden, die nun aber mit tagesschau.de und heute.de ein Angebot bereithalten, das jedem alles bietet und dafür nichts verlangt? Und was glauben die Verleger, wie viele junge Akademiker sich noch für den Beruf des Journalisten interessieren werden, wenn sie mit vergleichsweise mickrigen Gehältern abgespeist werden?

Welchen Sinn macht denn noch das Ringen um 28-jährige Leser, falls es bald keine 28-jährigen Redakteure mehr gibt? Haben Rückgänge der Auflagen vielleicht auch damit zu tun, dass Sparrunden der vergangenen Jahre gerade bei Lokalzeitungen zu vielem geführt haben mögen, aber sicher nicht zu mehr Qualität? Das sind die Fragen, die viele Journalisten ihren Arbeitgebern stellen.

Mit anderen Worten: Es ist eine Auseinandersetzung, die noch mehrere Monate lang dauern könnte. Bei Redaktionsschluss dieser Notausgabe waren keine Fortschritte zu erkennen.

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