Prozess gegen mutmaßlichen Kriegsverbrecher:Die Akte Demjanjuk

Seit eineinhalb Jahren steht der mutmaßliche Kriegsverbrecher John Demjanjuk in München vor Gericht. Es ist einer der spektakulärsten NS-Prozesse der Rechtsgeschichte - an diesem Donnerstag wurde der 91-Jährige nun zu fünf Jahren Haft verurteilt. Die Historie des Falls.

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John 'Iwan' Demjanjuk steht nach Todesurteil und Freispruch in Muenchen vor Gericht

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Seit eineinhalb Jahren steht der mutmaßliche Kriegsverbrecher John Demjanjuk in München vor Gericht. Es ist einer der spektakulärsten NS-Prozesse der Rechtsgeschichte - an diesem Donnerstag wurde der 91-Jährige nun zu fünf Jahren Haft verurteilt. Ein Überblick über den Fall.

Iwan Demjanjuk kam am 3. April 1920 in Dubowi Macharynzi, das in der heutigen Ukraine liegt, zur Welt. Vermutlich von März bis Oktober 1943 war er KZ-Aufseher in Sobibor, wo er laut Anklage am Tod von mindestens 27.900 Juden beteiligt gewesen sein soll. Deshalb steht er nun in München vor Gericht. Nach dem Krieg lebte Demjanjuk als Displaced Person unter anderem in Feldafing am Starnberger See. 1950 emigrierte er in die USA und änderte seinen Vornamen von Iwan zu John.

John Demjanjuk

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Das erste Mal vor Gericht steht Demjanjuk 1986. In dem Prozess in Israel wird er zum Tode verurteilt - weil er als "Iwan der Schreckliche" Kriegsverbrechen im Vernichtungslager Treblinka verübt haben soll. Doch dies stellt sich als Irrtum heraus, er ist verwechselt worden. Demjanjuk wird 1993 freigesprochen (Foto) und kehrt in die USA zurück.

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Im Mai 2009 wird Demjanjuk jedoch aus seinem Haus in Ohio abgeholt (Foto) und nach Deutschland ausgeliefert. Seitdem befindet sich der inzwischen 91-Jährige in der Krankenabteilung des Münchner Gefängnisses Stadelheim.  

Ermittler: Demjanjuk-Ausweis echt

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Im Juli 2009 erhebt die Staatsanwaltschaft München Anklage gegen John Demjanjuk. Der Vorwurf: "bereitwillige" Beihilfe zum Mord an mindestens 27.900 Juden im Vernichtungslager Sobibor. Er soll bei der fabrikmäßigen Ermordung vor allem polnischer und niederländischer Juden "in gefühlloser und unbarmherziger Gesinnung" geholfen haben. Die Staatsanwaltschaft stützt den Vorwurf vorwiegend auf den Dienstausweis Demjanjuks, in dem vermerkt ist, dass er nach Sobibor abkommandiert worden sei. Demjanjuk wird vorgeworfen, dass er "nicht aus dem Lager floh, obwohl er hierzu die Möglichkeit in der dienstfreien Zeit und bei Außeneinsätzen hatte".

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Der Prozess gegen Demjanjuk beginnt am 30. November 2009 - als einer der wohl letzten Prozesse zur NS-Geschichte. Das Interesse ist riesig. Am Eingang kommt es zu tumultartigen Szenen. Auch zahlreiche Überlebende des Holocaust sind erschienen. In dem Prozess treten zudem 30 Nebenkläger auf - viele von ihnen haben Angehörige in Sobibor verloren.

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Der Angeklagte Demjanjuk lässt sich im Rollstuhl in den Gerichtssaal fahren, später liegt er während der Verhandlung immer wieder in einem Krankenbett. In einem aufwendigen Indizienprozess wird fortan untersucht, wo der Angeklagte während des Zweiten Weltkriegs vor 67 Jahren war und was er damals gemacht hat. Das Schwierige: Es gibt keine Holocaust-Überlebenden aus Sobibor, die auch nur eine einzige konkrete Tat Demjanjuks bezeugen könnten. Doch die Anklage argumentiert: Da Sobibor allein zur planmäßigen Ermordung von Menschen diente, hat sich jeder mitschuldig gemacht, der dort Dienst tat.

John Demjanjuk

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John Demjanjuk macht während des Prozesses keine Angaben zu den Vorwürfen. Er schweigt. In drei schriftlichen Erklärungen bezeichnet er sich als Opfer der Deutschen. Sein umstrittener Verteidiger Ulrich Busch ist davon überzeugt, dass das US-Justizministerium und interessierte Kreise in Israel die treibenden Kräfte dieses Prozesses sind. Busch stellt während des Prozesses zahllose Anträge und handelt sich dadurch den Vorwurf der Prozessverschleppung ein. Immer wieder kommmt es zu lauten Auseinandersetzungen zwischen ihm und dem Vorsitzenden Richter.

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In seinem Plädoyer im April 2011 sagt Staatsanwalt Hans-Joachim Lutz über Demjanjuk: "Seine Schuld besteht in seiner freiwilligen Mitwirkung an der Ermordung der Juden." Er fordert sechs Jahre Haft. "Wer Schuld in derart hohem Maß auf sich geladen hat, muss bestraft werden, auch noch nach mehr als 60 Jahren und in so hohem Alter." Auch die betagten Nebenkläger sprechen Schlussworte. Sie schildern in bewegenden Worten, wie sehr sie die Geschehnisse noch heute belasten, oder lesen die Geburts- und Sterbedaten ihrer Angehörigen vor.

Das Plädoyer von Verteidiger Busch zieht sich danach über mehrere Tage hin. Er meint, es gebe keinen Beweis, dass Demjanjuk in den Vernichtungsprozess eingebunden war. Und die Grundlage für die Verbrechen habe ja Deutschland geschaffen. "Der wahre Täter heißt Deutschland - das Schreckliche." Busch fordert Freispruch. Sonst wolle er in Revision gehen.

Das Urteil ist am 12. Mai 2011 gefallen: Das Landgericht München verurteilte Demjanjuk zu einer Haftstrafe von fünf Jahren.

© sueddeutsche.de/Lisa Sonnabend
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