Anschlag in Pakistan:Die Monster, die sie riefen

Die Menschen in Pakistan leiden schon lange unter den Folgen des Antiterrorkampfes. Auch das Doppelspiel des Sicherheitsapparats, der die Taliban offiziell bekämpft und insgeheim unterstützt, schadet dem Land. Nach dem Selbstmordattentat, das den Tod von Bin Laden rächen soll, fragen sie sich: Wessen Krieg ist das eigentlich?

Tobias Matern

Zehn Tage Urlaub standen ihnen bevor. Die Busse standen schon bereit, in denen die jungen pakistanischen Rekruten zu ihren Familien gebracht werden sollten. Aber dann kamen die Männer auf den Motorrädern und zündeten ihre tödliche Ladung: Am Freitagmorgen haben Selbstmordattentäter im nördlich von Peshawar gelegenen Shabqadar ein Blutbad angerichtet, kurz hintereinander detonierten zwei Bomben. Mindestens 80 Menschen, fast ausschließlich Mitglieder einer paramilitärischen Einheit, starben. Weitere 115 Menschen wurden zum Teil schwer verwundet in Krankenhäuser gebracht.

Anschlag in Pakistan: Bei einem Selbstmordanschlag im Nordwesten Pakistans starben mindestens 80 Menschen. Im ganzen Land lebt man inzwischen in einem ständigen Gefühl der Bedrohung.

Bei einem Selbstmordanschlag im Nordwesten Pakistans starben mindestens 80 Menschen. Im ganzen Land lebt man inzwischen in einem ständigen Gefühl der Bedrohung.

(Foto: AFP)

Ein Augenzeuge berichtete der Nachrichtenagentur AP, die Rekruten seien gerade dabei gewesen, ihr Gepäck zu verstauen und in die Kleinbusse zu steigen. "Dann gab es einen lauten Knall, ich habe Rauch, Blut und überall Körperteile gesehen." Die pakistanischen Taliban erklärten sofort, sie stünden hinter den tödlichen Attacken. Dies sei nur ihr erster Racheakt für den Tod Osama bin Ladens, den eine amerikanische Spezialeinheit in der vergangenen Woche in Pakistan getötet hatte. Sowohl in Pakistan als auch in Afghanistan würden spektakulärere Anschläge folgen, kündigte der Taliban-Sprecher am. Aus dem pakistanischen Geheimdienst ISI hieß es hingegen, noch sei es zu früh, von einem "Racheakt der Taliban zu sprechen". Die Ermittlungen müssten dies erst noch ergeben.

Die Bilder nach dem Anschlag zeigten blutüberströmte Männer, die von verzweifelten Helfer in Krankenhäuser gebracht wurden. Während ein junger Mann ins Krankenhaus gebracht wurde, gab offenbar sein Vater dem Nachrichtensender al-Dschasira ein Interview, in dem er allerdings ausschließlich selbst Fragen stellte: "Warum werden wir umgebracht? Wessen Krieg ist das? Welche Sünde haben wir begangen?" Die Menschen in Pakistan leben inzwischen mit einem permanenten Gefühl der Bedrohung - nicht erst seit Al-Qaida-Anhänger und die Taliban nach dem Tod Bin Ladens ihre Vergeltung geschworen haben.

In den vergangenen Jahren sind in dem muslimischen Land nach offiziellen Angaben etwa 33.000 Menschen in Folge des Anti-Terror-Kampfes gestorben: Soldaten und Sicherheitskräfte in Gefechten gegen Extremisten und durch deren Vergeltungsanschläge. Aber auch zahlreiche Zivilisten haben ihren Besuch auf dem Basar oder der Moschee mit dem Tod bezahlt. "Wir leiden schon lange unter diesem Konflikt, nicht erst seit dem neuen Anschlag", sagte ein hochrangiger Mitarbeiter des Geheimdienstes ISI.

Das ist zweifelsfrei wahr. Allerdings betreiben Teile des pakistanischen Sicherheitsapparats weiterhin ein Doppelspiel. Ihnen genehme Extremisten, etwa Fraktionen der afghanischen Taliban, werden unterstützt. Die Logik dahinter: Nur so könne Pakistan langfristig seine Interessen sichern, vor allem in einem Afghanistan, aus dem die westlichen Truppen in absehbarer Zeit abgezogen sein werden. Analysten wie der pensionierte General Talat Masood warnen allerdings, dass diese Strategie Pakistan selbst in seiner Existenze bedrohe. Die einst selbstgeschaffenen "Monster" seien eben nicht so einfach steuerbar, sondern könnten ihre Attacken auch gegen Pakistan richten, sagt Masood. Außerdem gebe es ideologisch keinen Unterschied zwischen afghanischen und pakistanischen Taliban, daher mache es auch keinen Sinn, die eine Fraktion zu bekämpfen, die andere aber nicht.

Nach dem Anschlag sind die Menschen traurig, aber nicht überrascht

Nicht nur im Nordwesten Pakistans, auch in anderen Teilen des Landes gab es schockierte Reaktionen auf die Anschläge im Distrikt Charsadda: "Es macht einen sehr traurig, aber wir sind auch nicht überrascht darüber", sagte etwa der Jurist Nishat Kazmi in der östlichen Metropole Lahore. "Schließlich haben die Taliban angekündigt, das erste Ziel ihrer Rache würden pakistanische Einrichtungen sein." Er hoffe, dass die Nato in Afghanistan nun durch den Tod Bin Ladens die Möglichkeit ergreife, mit den Taliban im Nachbarland einen Frieden zu verhandeln. Nur so, glaubt Kazmi, könne auch sein Land langfristig zur Ruhe kommen.

Zentral für Stabilität in der Region ist aber nicht nur die Situation in Afghanistan, sondern vor allem das Verhältnis Pakistans zu seinem Erzrivalen Indien. Für die Regierung in Neu-Delhi steht fest, dass Pakistan Terroristen im Kampf gegen Indien unterstützt. Nach der US-Kommandoaktion in Abbottabad hatte es in Indien öffentliche Forderungen aus der Armee gegeben, solche Einsätze selbst zu erwägen. Indiens Premierminister Manmohan Singh gab nun bei einem Besuch in Afghanistan zu verstehen, dass er solche Einsätze nicht befürwortet. Auf die Frage, ob seine Regierung nicht wie die Amerikaner auf diese Art Jagd auf Top-Terroristen machen wolle, antwortete der Regierungschef knapp: "Indien ist nicht wie die Vereinigten Staaten."

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