Zukunft der Arbeit:Feierabend? Gibt's nicht mehr

"Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verwischt": Sozialwissenschaftler Hilmar Schneider erklärt, warum Beschäftigte in Zukunft deutlich mehr unternehmerische Risiken tragen. Und welche Auswirkungen dieser Trend auf den Alltag hat.

Charlotte Theile

Während des Gesprächs lässt Hilmar Schneider, 54, sein Smartphone ausgeschaltet. Der Wirtschafts- und Sozialwissenschaftler ist Direktor für Arbeitsmarktpolitik am Bonner Institut zur Zukunft der Arbeit (IZA). Er erzählt, wie groß der Einfluss mobiler Kommunikationsmittel im Arbeitsleben ist und wird selbst zum besten Beispiel. Gegen Ende des Interviews klopft es ungeduldig an der Tür. Ein kurzfristig per E-Mail anberaumter Termin droht zu platzen, weil Schneider sein elektronisches Postfach nicht im Blick hatte. Gut, dass vorher genug Zeit zum Gespräch blieb.

Hilmar Schneider

"Manche empfinden Autonomie als Bereicherung, andere fühlen sich überfordert", sagt Arbeitsmarktforscher Hilmar Schneider.

(Foto: IZA)

SZ: Herr Schneider, die Arbeitswelt befindet sich im Wandel. Das sogenannte Normalarbeitsverhältnis ist immer weniger die Regel, neue Formen der Beschäftigung treten an seine Stelle. Wie wird die Arbeitswelt der Zukunft aussehen?

Hilmar Schneider: Es gibt einen Megatrend: Unternehmerische Risiken werden auf Arbeitnehmer verlagert. Wir kommen aus einer Welt, die durch klare Hierarchien und Arbeitsanweisungen geregelt war. Diese Struktur löst sich auf. Es wird nicht mehr gesagt, was zu tun ist, es wird nur das Ergebnis vorgegeben. Wie das zu erreichen ist, bleibt dem Arbeitnehmer überlassen.

SZ: Welche Folgen hat das für die Beschäftigten?

Schneider: Sie nehmen das Risiko zu scheitern mit nach Hause. Die Grenze zwischen Arbeit und Freizeit verwischt.

SZ: Überfordert das Menschen nicht?

Schneider: Nicht jeder kann mit dieser Autonomie umgehen. Manche empfinden es als Bereicherung, andere fühlen sich überfordert. Niemand kann sieben Tage die Woche für die Arbeit unterwegs sein. Da verglüht man irgendwann . . .

SZ: ... und landet im Burn-Out?

Schneider: Burn-Out als moderne Zivilisationskrankheit ist Ausdruck davon, dass Menschen es nicht schaffen, sich selber Grenzen zu setzen.

SZ: Man sagt, in Deutschland seien gut ausgebildete Leute der zentrale Wettbewerbsvorteil. Stimmen Sie zu?

Schneider: Wir sind eine Volkswirtschaft, die auf Know-how angewiesen ist. Da werden wir auch in Zukunft stark sein müssen.

SZ: Schön. Aber wenn die Arbeitnehmer höher qualifiziert sind und mehr Risiko tragen - müssten sie dann nicht auch mehr verdienen?

Schneider: Diese Entwicklung ist keine ausschließliche Angelegenheit der Topleute. Pförtner, Kassiererin, alle übernehmen unternehmerische Verantwortung. Es ist notwendig, um den Arbeitsplatz zu behalten. Nur wer sehr erfolgreich ist, kann mit Gehaltssteigerungen rechnen.

SZ: Der Arbeitsmarkt ist also gespalten. Er bietet einem Teil der Menschen sehr gute, anderen dagegen weitaus schlechtere oder gar keine Arbeit.

Schneider: Es gibt einen weiteren Trend, hin zu höheren Qualifikationsanforderungen. Gleichzeitig werden die Jobs, für die man nur einfache Fähigkeiten braucht, zum großen Teil in Billiglohnländer ausgelagert. Wir können aber nicht die Menschen, die diesen Anforderungen nicht genügen, auch outsourcen.

SZ: Ist dann in der Wissensgesellschaft überhaupt noch Platz für Menschen mit niedrigen Qualifikationen?

Harter Wettbewerb

Schneider: In Zukunft wird es wichtiger denn je sein, diese Menschen zu fördern und weiterzubilden. Geringqualifizierte haben seit 30 Jahren praktisch keine Reallohnzuwächse verbuchen können, Hochqualifizierte haben ihre Einkommen mindestens verdoppelt. Da geht eine Schere auseinander. Das werden sich die Verlierer nicht gefallen lassen.

Berufspendler auf dem Weg zur Arbeit

Angestellte können nicht mehr erwarten, dass ihnen klar und deutlich gesagt wird, was sie zu tun haben. Das birgt auch Risiken.

(Foto: picture-alliance/ dpa)

SZ: Wie sollen wir dem begegnen?

Schneider: Es muss Arbeit geben, die es Geringqualifizierten gestattet, ihre Situation aus eigener Kraft zu gestalten. Unser soziales Sicherungssystem macht diese Jobs jedoch nicht gerade attraktiv.

SZ: Wie meinen Sie das?

Schneider: Wer mit ehrlicher Arbeit nur 200 Euro mehr verdient, als wenn er nicht arbeitet, ist frustriert. Die Leute sagen sich: "Bei 160 Stunden im Monat ist das ein Stundenlohn von gut einem Euro. Warum sollte ich das tun?"

SZ: Wie muss die Politik reagieren?

Schneider: Soziale Sicherung muss an ein Prinzip von Gegenseitigkeit gekoppelt werden. Wer von der Gemeinschaft unterstützt werden will, muss etwas tun. Wir brauchen diese Menschen, und dieses Gefühl müssen wir ihnen auch geben.

SZ: Zu welchen Branchen raten Sie jungen Menschen, die sich für die Arbeitswelt der Zukunft fit machen wollen?

Schneider: Die Vorstellung, dass es eine Zukunfts-Branche gibt, auf die man sich konzentrieren sollte, ist naiv. Selbst wenn ich sagen würde, gehen Sie in die Nanotechnologie, hat das keinen Sinn, wenn Ihnen Mathematik und Technik nicht liegen. Wichtig ist, dass man sich seiner Fähigkeiten bewusst wird. Allerdings auch, dass man lernt, sich über Risiken klar zu werden. Es gibt niemanden, der sich um einen kümmert, wenn man sich falsch entscheidet.

SZ: In den vergangenen zehn Jahren sind vor allem befristete Jobs, Teilzeitstellen und schlecht bezahlte Arbeitsplätze entstanden - sind das die Arbeitsbedingungen der Zukunft?

Schneider: Nein. Das ist Ausdruck der Risiko-Verlagerung auf Arbeitnehmer, betrifft in dieser Form aber nur einen begrenzten Teil der Menschen.

SZ: Können denn in einer Welt der Individualisierung noch Arbeitnehmerrechte wahrgenommen werden?

Schneider: Ich weiß es nicht. Zurzeit sehen wir, dass die Politik gewerkschaftliche Verhandlungsmacht übernimmt.

SZ: Sie meinen den gesetzlichen Mindestlohn, oder?

Schneider: Genau. Vor ein paar Jahren wäre das undenkbar gewesen. Die Gewerkschaften degenerieren gerade zu Lobbyorganisationen.

SZ: Was kommt stattdessen?

Schneider: Wer qualifiziert ist, führt seine Lohnverhandlung selbst und braucht keine Gewerkschaft. Andere sind mehr denn je darauf angewiesen, dass jemand ihre Interessen vertritt. Am Ende könnten gesetzliche Mindeststandards die einzige Antwort sein.

SZ: Jeder ist sich selbst der Nächste?

Schneider: Ja, der Wettbewerb wird härter.

SZ: Wer sind die Gewinner?

Schneider: All jene, die sich wie ein Unternehmen managen, sich vermarkten und in sich investieren. Diejenigen, die vernetzt sind, hohe Qualifikationen und soziale Kompetenzen haben. Wer das alles nicht hat, wird große Schwierigkeiten bekommen. Doch das wird sich weder mit staatlicher Regulierung noch mit einer besseren Bildungspolitik vermeiden lassen.

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