Brutale Unterdrückung in Syrien:Tödliches Schweigen

Jahrelang forderten der Westen und die UN die Araber auf, für Freiheit zu kämpfen. Jetzt demonstrieren die Syrer gegen ein unmenschliches Regime - und bleiben damit allein.

Radwan Ziadeh

Seit mehr als neun Wochen kämpft Syrien für ein Leben in Freiheit. Tausende, die nie zuvor in ihrem Leben demonstriert haben, gehen auf die Straße, marschieren an den Panzern der Armee vorbei und fordern einen politischen Wandel.

Syrian unrest

Zeugen unerwünscht: Was in Syrien vor sich geht, erfährt die Welt derzeit über inoffizielle Kanäle wie im Internet kursierende Videos (hier ein Ausschnitt aus einem Video vom 20. Mai).

(Foto: dpa)

Ich - als im Ausland lebender Syrer - bin stolz auf all die mutigen Bürger, die auf der richtigen Seite der Geschichte stehen. Zugleich blicke ich mit zunehmender Sorge auf die Zukunft meines Landes.

Es schmerzt mich und macht mich wütend, dass der UN-Sicherheitsrat auch nach neun Wochen, in denen mehr als 1000 Zivilisten getötet und mehr als 10.000 Menschen inhaftiert wurden, immer noch schweigt. Das brutale Vorgehen gegen friedliche Demonstranten wurde nicht verurteilt.

Die syrische Regierung wurde nicht einstimmig dazu aufgefordert, die Gewalt zu beenden. Es gab nicht einmal Unterstützung für eine Untersuchung der Menschenrechtsverletzungen durch die UN.

Ursache dafür ist nicht zuletzt die Weigerung Russlands und anderer Staaten, eine Resolution im Sicherheitsrat mitzutragen. Die traditionell guten Beziehungen zwischen Moskau und Damaskus sind sicher teilweise dafür ausschlaggebend.

Gewaltsame Unterdrückung - Garant für Stabilität?

Nicht zuletzt verweisen russische Diplomaten aber auch auf die militärischen Schritte, die Teile der internationalen Gemeinschaft nach der russischen Enthaltung zur Libyen-Resolution eingeleitet haben. Syrien, das noch unter der letzten US-Regierung als Pariastaat galt, war lange weit oben auf den unter George W. Bush aufgestellten Wunschlisten für einen gewaltsamen Regimewechsel.

Die von manchen gehegte Befürchtung, dass eine Resolution zu Syrien die gleichen Entwicklungen wie in Libyen nach sich ziehen könnte, sind aber unbegründet. Die Syrer verlangen von den Vereinten Nationen nicht, eine militärische Intervention ausländischer Truppen zu autorisieren.

Wir wissen zu genau um die Ängste um die regionale Stabilität, die auch die westlichen Staaten wie Deutschland umtreiben. Ja, Syrien ist wichtig für diese Stabilität. Wichtig für die Entwicklungen im Libanon, im Irak und auch für Israel.

Aber hat Europa, hat die Weltgemeinschaft nicht gerade aus der ägyptischen Revolution gelernt, dass die gewaltsame Unterdrückung eines Volkes nie ein dauerhafter Garant für Stabilität und Sicherheit sein kann? Und von welcher Sicherheit sprechen wir hier überhaupt, wenn Tausende Syrer des Nachts vom Geheimdienst aus ihren Betten gezerrt werden, um auf Nimmerwiedersehen in den Folterkellern des Regimes zu verschwinden?

Zuschauer unerwünscht

Selbst der Zugang für humanitäre Helfer ist den Vereinten Nationen trotz einer vorherigen Zusage des Regimes jüngst verwehrt worden. Die syrische Regierung argumentiert, dass es sich um eine rein interne Krise handele, die man alleine meistern werde. Bei den Getöteten handele es sich um Mitglieder einer terroristischen Gruppierung.

Man muss nicht die vielen im Internet kursierenden Videos gesehen haben, in denen Mitglieder der syrischen Armee sich offensichtlich ohne Furcht vor Angriffen von wie auch immer gearteten bewaffneten Gegnern in den besetzten Städten bewegen. Man muss kein Experte sein, um zu wissen, dass Damaskus keine Zuschauer wünscht, wenn es seine Armee und die Geheimdienste auf die eigene Bevölkerung loslässt.

Präsident Assad scheint zu glauben, dass nur Gewalt seine Herrschaft noch sichern kann. Vor zwei Wochen sagte sein Cousin Rami Makhlouf in einem Interview mit der New York Times, die syrischen Machthaber würden bis zum bitteren Ende kämpfen.

Wichtig: Eine UN-Resolution

Eine Resolution des Sicherheitsrats wird die syrische Regierung nicht stoppen können, aber sie könnte dazu beitragen, dass das Regime eines erkennt: Die blutige Gewalt gegen die eigene Bevölkerung ist politisch zu kostspielig.

Stattdessen vermittelt das Schweigen des Sicherheitsrats die ungute Botschaft, dass die Demonstranten auf sich allein gestellt sind und die internationale Gemeinschaft wegschaut, während das Töten auf den Straßen weitergeht.

Genau wie mehr als 200 Vertreter zivilgesellschaftlicher Organisationen aus 18 Staaten des Nahen Ostens und Nordafrikas habe ich daher einen Brief unterschrieben, der den Sicherheitsrat und seine Mitglieder auffordert, das Schweigen zu brechen, bevor es zu spät ist.

Jahrzehntelang haben wir aus Europa und aus den USA gehört, wie wichtig es sei, dass die Menschen in der arabischen Welt sich für ihre Freiheit einsetzen. Jetzt, wo Tausende auf die Straße gehen und viele dafür mit ihrem Leben bezahlen, bleibt die Welt stumm.

Nicht erst seit den Protesten in Tunesien und Ägypten verschieben sich im Nahen Osten die geopolitischen Einflussfaktoren; die Veränderungen der Machtbalance, die mit dem Irak-Krieg begannen, finden derzeit ihren Höhepunkt. Der Einfluss des Westens und auch Russlands in der Region schwindet, regionale Kräfte drängen in die Lücken.

Westliche Staaten in der Pflicht

Europa wird nur dann eine Rolle im neuen Nahen Osten finden können, wenn es begreift, dass es die Menschen sind, die jetzt auf die Straßen gehen, welche die Zukunft gestalten werden. Mit wem wollen westliche Regierungen einen neuen, demokratischen Nahen Osten aufbauen - wenn nicht mit ihnen?

Auch Deutschland ist Mitglied des UN-Sicherheitsrats, auch Bundeskanzlerin Angela Merkel und Bundesaußenminister Guido Westerwelle haben mehrfach ihre Unterstützung für den demokratischen Wandel in der arabischen Welt erklärt. Die Bundesregierung ist jetzt in der Pflicht, auch auf Russland und andere befreundete Staaten wie Indien positiv einzuwirken, um den Sicherheitsrat handlungsfähig zu machen.

In den kommenden Tagen wird in New York erneut um eine Resolution gerungen werden, Staaten wie Deutschland, Frankreich Großbritannien und die USA haben hier eine, wenn auch vorsichtige Vorreiterrolle übernommen. Die anderen Mitglieder des Sicherheitsrats müssen ihnen folgen. Sie verspielen sonst nicht nur ihre eigene, noch verbliebene Glaubwürdigkeit in der Region, sondern auch die Zukunft von gut 20 Millionen Syrern.

Wir alle, die wir für Freiheit in der arabischen Welt kämpfen, blicken auf den Sicherheitsrat. Das syrische Regime hat Tausende Syrerinnen und Syrer brutal zum Schweigen gebracht. Sie setzten ihr Leben aufs Spiel, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu ermöglichen. Es ist unsere Pflicht, für sie zu sprechen.

Radwan Ziadeh ist Direktor des Damaskus-Centers für Menschenrechte. Er musste Syrien 2007 verlassen, war Gastprofessor an der Universität Harvard und forscht in Washington.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: