Berufsausbildung:Schneller, härter, ungerechter

Das Wirtschaftsministerium will die Ausbildungsdauer vieler Lehrberufe kürzen - um dem Fachkräftemangel entgegenzuwirken. Arbeitgeber und Gewerkschafter fürchten um die fachliche Qualität und sehen vor allem Hauptschüler als die Leidtragenden.

Johann Osel

Jetzt im Sommer stapeln sich bei Andreas Schuchardt wieder die Bewerbungsmappen. Der Diplom-Ingenieur ist Ausbildungsleiter bei der SMS Siemag AG im nordrhein-westfälischen Hilchenbach, die Firma ist führend im Maschinenbau der Hütten- und Walzwerkstechnik. Auf die jährlich 80 Lehrstellen etwa zum Industriemechaniker oder Technischen Zeichner kommt in der Regel das Zehnfache an Bewerbungen. Die Stellen richten sich vorrangig an Realschüler und gute Hauptschüler, diese müssen teils auch mit Gymnasiasten konkurrieren.

Erst-Bilanz Ausbildungsmarkt Bayern

Auszubildenden in technischen Berufen soll das letzte halbe Jahr ihrer Lehrzeit gestrichen werden.

(Foto: dpa)

Die Konstruktionsberufe erfordern technischen Tiefgang, dreieinhalb Jahre Ausbildungsdauer seien deshalb unverzichtbar, sagt Schuchardt. Doch das Bundeswirtschaftsministerium hat sich nun die Streichung des letzten Halbjahres in den betroffenen Berufen vorgenommen. Bei der Zulassung neuer Berufe oder der Überarbeitung bestehender soll die Dauer auf drei Jahre heruntergefahren werden. Man werde "künftig eine längere Ausbildung auch bei Berufen, in denen bislang schon dreieinhalb Jahre ausgebildet wurde, nur nach einer ausreichenden Begründung als Ausnahme akzeptieren", heißt es in einem Brief an Fachverbände, Gewerkschaften und Kammern. Das Schreiben liegt der Süddeutschen Zeitung vor.

Als Gründe nennt das Ministerium den Fachkräftemangel, der sich in manchen Branchen und Regionen "bereits zu manifestieren beginnt"; zudem den Trend zu verkürzten Ausbildungszeiten im schulischen und auch akademischen Bereich, etwa durch die dreijährigen Bachelor-Studiengänge. Auf die Reduzierung wichtiger Lernzeit für Hauptschüler kommen die Beamten nicht zu sprechen.

Oft seien Schulleistungen in den naturwissenschaftlichen Fächern "in der Praxis nicht strapazierbar", es fehle an belastbarem Grundwissen, weiß Ingenieur Schuchardt. Trotzdem stelle man sich der Herausforderung und fördere bei schwächeren Schülern eben auch noch die Grundlagen - dann könne die Lehre erfolgreich verlaufen. Ein Fünftel der 350 Berufe in Deutschland hat die längere Dauer. "Weil es schlichtweg wegen der fachlichen Tiefe nötig ist", sagt Klaus Heimann, Ressortleiter für Bildungspolitik im Vorstand der IG Metall; "und weil für diese Lehrstellen schwächere Schüler ohnehin schon schlechte Karten haben." Mit der Verkürzung würde man "in den attraktiven Feldern, in denen Deutschland Exportweltmeister ist, die Tür für Hauptschüler zu machen".

Innovation wird ausgebremst

Beim Technischen Zeichner, der kürzlich neu gestaltet wurde und sich künftig in die Berufe Produktdesigner und technischer Systemplaner auffächern soll, wollte das Wirtschaftsministerium bereits nach der neuen Devise verfahren. Nach Widerstand von Arbeitgeberverbänden und Gewerkschaften hat man die längere Dauer vorerst noch für fünf Jahre zugelassen - ausnahmsweise, allerdings soll währenddessen diese Ausnahme nochmals kritisch überprüft werden, heißt es. Dieselben Kämpfe dürften anstehen, wenn weitere Berufe umgestaltet werden, was wegen der technischen Veränderungen regelmäßig ansteht.

Einen Präzedenzfall gab es schon: Den Beruf Anlagemechaniker, den derzeit 60.000 Jugendliche erlernen, wollte der für Sanitär-Heizung-Klima zuständige Handwerksverband in Nordrhein-Westfalen nach Umweltkriterien renovieren; ein klassischer Klempner ist heute kaum noch gefragt. Den Antrag dafür hat man - entrüstet über das Ministerium - nun mit "sofortiger Wirkung" zurückgezogen. Es wird den neuen Beruf nicht geben, Innovation ist ausgebremst.

Handeln nach Gutsherrenart

Das Ministerium äußerte sich auf SZ-Anfrage nicht en détail zu den Plänen. Mit Blick auf konkurrierende, kürzere Ausbildungen und den Fachkräftemangel sei es aber geboten, "alle Ausnahmen einer kritischen Prüfung zu unterziehen". Die Ausbildungsordnungen würden im Konsens mit den Sozialpartnern modernisiert. "Nach Gutsherrenart" wolle das Ministerium die bewährte Praxis einseitig aufkünden, sagt dagegen Gewerkschafter Heimann. Die Praktiker wüssten jedoch am besten, welche Zeit für die Berufe nötig sei - und normalerweise werde ihre Expertise akzeptiert.

"Die Regierung betreibt hier de facto die Aushöhlung des Konsensprinzips", beklagt auch der Bundestagsabgeordnete Willi Brase (SPD), der das Thema in seine Fraktion tragen will. "Die Verkürzung würde die Chancen vieler junger Leute zunichte machen - ein Verdrängungswettbewerb zu Lasten der Hauptschüler, und das auch noch staatlich gewollt." Bedenklich sei dies mit Blick auf die soziale Gerechtigkeit: Denn eine anspruchsvolle Ausbildung sei bisher Garant einer Facharbeiterlaufbahn und ermögliche gesellschaftlichen Aufstieg auch für Schüler mit Defiziten oder Kinder aus sozial benachteiligten Familien.

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