Urteil im Fall Kachelmann:Jubel, Sekt und harsche Kritik

Das Mannheimer Landgericht urteilt "im Zweifel für den Angeklagten" und spricht Jörg Kachelmann vom Verdacht der Vergewaltigung frei. Im Gerichtssaal löst das spontane Beifallsstürme und Jubelschreie aus. In ihrem Urteil kritisieren die Richter jedoch Johann Schwenn, den Verteidiger des Wettermoderators. Der schießt zurück.

Bereits mehrere Stunden vor der für neun Uhr angesetzten Urteilsverkündung hatte sich vor dem Haupteingang des Landgerichts Mannheim eine lange Schlange gebildet. Plakate lehnen an der Hauswand, auf denen "Die Causa Kachelmann" und "Wurde nun Recht gesprochen?" zu lesen ist.

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Jörg Kachelmann mit seinem Verteidiger Johann Schwenn: Das Urteil sorgte für spontanen Applaus im Gerichtssaal.

(Foto: AFP)

Die ersten Zuschauer hatten sich bereits um halb fünf Uhr morgens versammelt, um einen Platz im Gerichtssaal zu ergattern und bei der Urteilsverkündung gegen den Wettermoderator dabei zu sein. Vorher noch müssen sie warten, bevor sie die Sicherheitsschleuse passieren können.

Kachelmanns Anwältin Andrea Combé zeigt sich sichtlich gut gelaunt, Medienanwalt Ralf Höcker nimmt in der ersten Reihe Platz. In einer der vordersten Reihen sitzt auch Alice Schwarzer, die für die Bild-Zeitung über den Prozess gegen den Wettermoderator berichtete und sich dabei deutlich auf die Seite des mutmaßlichen Vergewaltigungsopfers stellte.

Die Staatsanwaltschaft hatte Kachelmann besonders schwere Vergewaltigung seiner Exfreundin vorgeworfen und auf eine Haftstrafe von vier Jahren und drei Monaten plädiert. Die Verteidiger des Angeklagten hatten Freispruch beantragt.

Kurz bevor die Kameras den Saal räumen müssen, betritt Jörg Kachelmann mit ausdrucksloser Miene den Saal. TV-Kommentatoren berichten, dass kein Laut zu hören ist, als die drei Richter und zwei Schöffen hereinkommen.

Dann das Urteil: Das Mannheimer Landgericht spricht Jörg Kachelmann frei. Bei der Verkündung stimmt das Publikum Prozessbeobachtern zufolge Jubelrufe an, es folgt Beifall. Doch die Hauptakteure, Kachelmann und seine Exfreundin, zeigen keinerlei Emotionen. Von Erleichterung, Wut oder Trauer keine Spur.

Johann Schwenn in der Kritik

Eine knappe Stunde dauert die Urteilsverkündung. Das Gericht hatte "in dubio pro reo" entschieden, also "im Zweifel für den Angeklagten". Es gebe "begründete Zweifel" an dessen Schuld, sagte der Vorsitzende Richter Michael Seidling. Daher sei er freizusprechen.

An Kachelmanns Anwalt Johann Schwenn übt der Vorsitzende Richter harsche Kritik: Er habe in seinem Verhalten vor der Strafkammer mehrfach Anstand und Respekt vermissen lassen.

In einem persönlichen Schlusswort wendet sich der Vorsitzende an alle Anwesenden und die Medienvertreter: "Wir entlassen den Angeklagten und die Nebenklägerin mit einem möglicherweise nie mehr aus der Welt zu schaffenden Verdacht - ihn als potentiellen Vergewaltiger, sie als potentielle, rachsüchtige Lügnerin. Bedenken Sie, dass Herr Kachelmann die Tat möglicherweise nicht begangen hat, aber bedenken Sie auch, dass die Nebenklägerin möglicherweise Opfer einer schweren Straftat war. Unterstellen Sie die jeweils günstigste Variante für den Angeklagten und die Nebenklägerin. Nur dann haben Sie den Grundsatz 'in dubio pro reo' verstanden."

Während sich vor dem Gerichtssaal die Fotografen tummeln und vergeblich auf ein Statement Kachelmanns hoffen, stoßen einige Zuschauer im Foyer mit Sekt an.

Trotz des Freispruchs kritisiert Kachelmann-Anwalt Johann Schwenn das Landgericht Mannheim heftig. Die Kammer hätte den Angeklagten "zu gerne verurteilt" und in ihrer Urteilsbegründung "richtig nachgetreten", um "den Angeklagten maximal zu beschädigen". Schwenn spricht von einem "befangenen Gericht" und einer "Erbärmlichkeit im Gerichtssaal". Pflichtverteidigerin Andrea Combé betont, rechtlich gesehen gebe es keinen "Freispruch zweiter Klasse". Es gelte lediglich der Grundsatz "im Zweifel für den Angeklagten".

Der Anwalt der Nebenklägerin nennt das Urteil einen "Freispruch dritter Klasse". "Ich bin auf keinen Fall am Boden zerstört", sagte Thomas Franz, Vertreter von Kachelmanns Exfreundin, die in dem Prozess als Nebenklägerin auftrat. In der Urteilsbegründung habe das Gericht klar gemacht, dass es "weder von der Unschuld von Herrn Kachelmann, noch von einer Falschaussage meiner Mandantin überzeugt" sei. Das Gericht habe jedoch klar gemacht, dass es seiner Mandantin in bestimmten Punkten glaube. Es sei aber Grundsatz des deutschen Rechts, dass ein Angeklagter freigesprochen werden muss, wenn Zweifel an seiner Schuld bleiben, so Franz.

Einer der spektakulärsten Prozesse in der Geschichte der Bundesrepublik geht damit nach neun Monaten zu Ende. Bis zuletzt war nicht abzusehen, ob Kachelmann verurteilt oder freigesprochen wird. Vorerst ist der TV-Moderator wieder ein freier Mann. Die Staatsanwaltschaft will binnen einer Woche prüfen, ob sie in Revision geht.

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