Tunesien nach der Revolution:Weltoffene Islamisten

Die Frauen ohne Kopftuch, die Männer glattrasiert, keine antiwestlichen Töne: Die tunesische Islamisten-Partei gibt sich fortschrittlich - und hat gute Chancen bei den Wahlen im Juli.

Rudolph Chimelli

Die Partei der tunesischen Islamisten, an-Nahda, bemüht sich um ein fortschrittliches Gesicht. Generalsekretär Hamadi Jebali zeigte sich am Donnerstag auf dem Podium seiner ersten großen Pressekonferenz in Tunis zusammen mit zwei Frauen, von denen nur eine ein Kopftuch hatte, die andere trug ihr Haar offen.

Constituent Assembly Vote Postponed by Organizing Panel

"Die Welt hat sich verändert": Hamadi Jebali, der Chef der tunesischen Islamisten-Partei war erst kürzlich zu Besuch in den USA. 

(Foto: dpa)

"Tunesien hat sich verändert, die Welt hat sich verändert, warum also sollte sich die Partei nicht ändern?" fragte Jebali. Man wolle eine Partei sein, die sich in ihrer Führung, ihren inneren Abläufen und in den Entscheidungen modern verhalte. Mehrere Mitglieder des Nahda-Politbüros, die neben dem bärtigen Jebali saßen, waren glatt rasiert. Von den Wahlen zur verfassunggebenden Versammlung, die im Juli stattfinden sollen, wird erwartet, dass an-Nahda als die am besten organisierte Gruppierung auch als stärkste Kraft hervorgeht.

Um die Besorgnisse laizistischer Wähler und besonders emanzipierter Frauen zu beruhigen, betonen die Islamisten ihr pluralistisches Gesicht. Wegen der Unterdrückung durch den Diktator Ben Ali nannte Jebali an-Nahda "die Partei der 30.000 Häftlinge". Schon bald nach Rückkehr in die Legalität erkannte sie das tunesische Statut der Frau an, das Gleichberechtigung zusichert und die Mehr-Ehe verbietet.

Die Frau mit dem offenen Lockenhaar und den engen Jeans stellte sich als "Asma" vor. Sie hat ein Universitätsdiplom in Kriminologie und betonte, ihr Entschluss, an-Nahda beizutreten sei nach langer Überlegung und in voller Freiheit erfolgt. Auf ihren sonstigen Veranstaltungen hält an-Nahda an getrennter Sitzordnung für Männer und Frauen fest.

Die tunesischen Islamisten haben nichts gegen Marktwirtschaft

Auf der Pressekonferenz wurde ferner die Gründung einer Jugendorganisation angekündigt. Ein junger Aktivist sprach darüber in einem tunesischen Misch-Dialekt arabischer und französischer Wörter. Das auf der Konferenz vorgestellte neue Emblem von an-Nahda zeigt eine dunkelblaue Taube. Der rote Stern aus der tunesischen Fahne zwischen ihren Flügeln symbolisiert zugleich die fünf Säulen des Islam. Grüne Olivenblätter stehen für die Traditionen von Tunesiens Landwirtschaft. Unter dem Symbol steht als Motto "Freiheit, Gerechtigkeit, Entwicklung".

Generalsekretär Jebali hat im vergangenen Monat Washington besucht. Seine Einladung wurde vom Center for the Study of Islam and Democracy getragen und teils vom US-Außenministerium finanziert. Laut Meldung einer Nachrichtenagentur, die auf den Maghreb spezialisiert ist, traf Jebali mit den Senatoren Joe Liberman und John McCain zusammen. Er habe dabei auf die liberale Orientierung von an-Nahda in ökonomischen Fragen hingewiesen. Im Unterschied zu den tunesischen Linksparteien habe sie nichts gegen Marktwirtschaft. In den Reden von Parteisprechern gibt es nie antiwestliche Töne.

Wirtschaftlich muss das revolutionäre Tunesien derzeit eine Durststrecke überstehen: Als Folge der Ereignisse schrumpfte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) im ersten Quartal im Vergleich zum Vorquartal nach Angaben des Statistischen Amtes um 7,8 Prozent. Am meisten leidet der Tourismus, der normalerweise acht Prozent am BIP erwirtschaftet und dem nun die Umsätze wegbrechen. Hotels und Restaurants melden einen Rückgang der Aktivität um 35 Prozent, das Transportgewerbe um 18 Prozent. In den touristischen Gebieten des Landes wurden mehr als 60 Hotels geschlossen.

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