Ehec: Suche nach Infektionsquelle:Sprossen unter Verdacht

Nicht Gurken, sondern Sprossen haben nach Angaben der niedersächsischen Behörden die Ehec-Erkrankungen vermutlich ausgelöst. Sie sollen aus einem Betrieb aus Uelzen stammen und direkt oder über Zwischenhändler an Restaurants in Norddeutschland, aber auch in Hessen geliefert worden sein. Der Labortest an den Sprossen steht noch aus. Derweil kritisieren die Grünen das Ehec-Krisenmanagement der Regierung scharf.

Auf der Suche nach der Quelle der Ehec-Infektionen ist niedersächsischen Behörden möglicherweise ein Durchbruch gelungen. Die Experten führten zahlreiche Infektionen auf einen Saatgutbetrieb in Bienenbüttel im Kreis Uelzen zurück und warnten Verbraucher am Sonntag vor dem Verzehr von Sprossen. Diese seien direkt oder über Zwischenhändler an gastronomische Einrichtungen in Hamburg, Schleswig-Holstein, Mecklenburg-Vorpommern, Hessen, Nordrhein-Westfalen und Niedersachsen geliefert worden, sagte der niedersächsische Agrarminister Gert Lindemann am Sonntag in Hannover.

Sprossen

Pflanzensprossen - hier von der Sojapflanze - könnte Experten zufolge eine Ursache für die schweren Ehec-Erkrankungen sein.

(Foto: dpa)

Allerdings sind sich die Behörden nicht sicher, ob der Betrieb die alleinige Quelle für die Ehec-Infektionen ist. Die Firma wurde geschlossen. Mit ersten Ergebnissen von Proben wird an diesem Montag gerechnet. "Ob diese Untersuchungen zu einem Nachweis des Keimes führen, der für das derzeitige Ausbruchsgeschehen verantwortlich ist, bleibt abzuwarten. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die mit dem Ehec-Erreger kontaminierte Ware bereits vollständig verarbeitet und abverkauft wurde", erklärte das Ministerium.

Der Geschäftsführer des niedersächsischen Hofs kann sich die Vorwürfe nicht erklären. Er könne sich keinen Reim auf die Vorgänge und Vorwürfe machen, sagte der Geschäftsführer des Gärtnerhofs, Klaus Verbeck, der Neuen Osnabrücker Zeitung. Die Salatsprossen würden überhaupt nicht gedüngt. Auch in anderen Geschäftsbereichen des Hofes werde kein tierischer Dünger verwendet. "Nicht einmal Hornmehl", sagte er der Zeitung.

Agrarminister Lindemann erklärte jedoch, der Ablauf der Erkrankungen belege eindeutig, dass Ware aus dem Betrieb eine wesentliche Einschleppungsquelle gewesen sei. Den Angaben zufolge kamen die Erreger möglicherweise über Wasser in eine Trommel, die für das Aufkeimen von Saatgut verwendet wurde. In solchen Trommeln befinde sich Wasserdampf mit einer Temperatur von 38 Grad. Bei diesen Bedingungen gebe es auch optimale Voraussetzungen für das Keimen anderer Bakterien, sagte Lindemann. Allerdings könne auch Ware aus dem Ausland die Bakterien enthalten haben. Nach Lindemanns Worten erkrankten zwei Mitarbeiterinnen der Firma an Durchfall; bei einer sei Ehec nachgewiesen worden. Sprossen waren auch vor einigen Jahren in Asien Ursache einer schweren Ehec-Epidemie.

Auch nach Ansicht eines Mikrobiologen sind Sprossen als möglicher Ehec-Träger sehr plausibel. "Sprossen waren von Anfang an einer der üblichen Verdächtigen, die man hätte schon von Anfang an verhaften können", sagte Alexander Kekulé von der Universität Halle-Wittenberg in der ARD. Sie seien ein typisches Gemüse, das auf vielen verschiedenen Mahlzeiten ist, in ganz Deutschland verteilt wird und über längere Zeit immer wieder Infektionen auslösen kann. "Wir wissen, dass das ein besonders gefährliches Produkt ist", sagte Kekulé. Sprossen seien eine der wenigen Ausnahmen, bei denen wenige Bakterien im Keim sind, während des Wachstums in der Frucht bleiben und nicht von außen abgewaschen werden könnten. Sollte sich der Verdacht erhärten, sieht der Mikrobiologe eine gute Chancen auf einen Erfolg im Kampf gegen Ehec: "Wir sind jetzt in der Situation, wenn das wirklich stimmt (...), dass wir die Quelle kennen und dann sehr sehr schnell die Epidemie eindämmen können."

Kritik an der Regierung

Mehrere hundert Menschen sind inzwischen bundesweit nach einer Infektion mit Ehec-Bakterien erkrankt. Bislang wurden mindestens 21 Tote gezählt. In einigen Bundesländern, darunter Bayern und Niedersachsen, stieg die Zahl der Erkrankungen am Wochenende weiter an. Die Hamburger Gesundheitsbehörde teilte aber mit, die Zahlen in der besonders betroffenen Hansestadt stiegen nicht mehr so schnell wie bisher. Inzwischen wurden auch in anderen Staaten mehr als hundert Krankheitsfälle gemeldet. Mit Ausnahme eines Patienten hätten sich alle zuvor in Deutschland aufgehalten.

Angesichts erster Engpässe bei der Krankenversorgung, wachsender Unruhe in der Europäischen Union, Beschwerden spanischer Gemüseexporteure und Kritik der Opposition aus SPD und Grünen sah sich die deutsche Regierung zum Handeln genötigt. Drei Wochen nach dem Bekanntwerden der ersten Erkrankungen wurde ein Bund-Länder-Krisentreffen im größeren Kreis einberufen. Die Gesundheits- und Verbraucherschutzminister treffen sich am Mittwoch in Berlin. Bislang hatten die Verantwortlichen aus Bund und Ländern nur im kleineren Kreis getagt.

Regierungssprecher Steffen Seibert nahm die Regierung und die Behörden gegen Kritik aus dem In- und Ausland in Schutz. "Der Kampf gegen die Krankheit hat absolute Priorität, alle notwendigen Maßnahmen wurden getroffen", sagte Seibert der Süddeutschen Zeitung. Dass die EU inzwischen eigene Experten an das mit der Aufklärung betraute Robert-Koch-Institut schickte, wertete Seibert als Zeichen europäischer Solidarität. Das sei keineswegs ein Zeichen des Misstrauens.

Politiker von SPD und Grünen rügten die Bemühungen der Bundesregierung. Der Parlamentarische Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, Thomas Oppermann, bekräftigte die Forderung nach einem Krisenstab im Gesundheitsministerium.

Grünen-Fraktionschefin Renate Künast warf dem Verbraucherschutzministerium unzureichende Koordination vor. Nötig sei für solche Fälle ein "nationaler Kontrollplan", sagte Künast der SZ. Die ehemalige Verbraucherministerin sagte, die jetzige Ressortchefin Ilse Aigner (CSU) verunsichere die Verbraucher mit ihrer Warnung vor dem Verzehr von Salat sowie roher Gurken und Tomaten. Solchen Warnungen müsse man Taten folgen lassen und die Regale räumen. Das Verbraucherschutzministerium widersprach. Man könne den Verkauf von Lebensmitteln nur untersagen, wenn es konkrete Hinweise gebe.

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