Merkel: von der Atomkanzlerin zur Atomausstiegskanzlerin:Mächtiger Makel

Der Tag des Atomausstiegs ist ein bedeutender Tag für das Land und ein beachtlicher Grund zur Freude für die Regierung. Allerdings nicht für die schwarz-gelbe: Mehr als zehn Jahre nach dem Beschluss, den Weg aus der Kernkraft zu gehen, hat die Regierung Schröder quasi posthum einen der größten Erfolge erzielt. Für Angela Merkel ist der Ausstieg eine Demütigung.

Nico Fried

Diesen Atomausstieg wird wohl niemand mehr rückgängig machen. Das ist ein bedeutender Tag für das Land und ein beachtlicher Grund zur Freude für die Regierung - allerdings nicht für die schwarz-gelbe. Mehr als zehn Jahre nach dem Beschluss, den Weg aus der Kernkraft zu gehen, und sechs Jahre nach ihrem eigenen Ende hat vielmehr die Regierung von Gerhard Schröder und Joschka Fischer quasi posthum einen der größten Erfolge ihres Daseins erzielt: Das Kabinett von Angela Merkel beugte sich am Montag der rot-grünen Gesetzeslage von einst, jenem Status quo, den Union und FDP stets bekämpften. Der breite Konsens, den sich die Regierung Merkel plötzlich wünscht, ist der Konsens, dem sie sich hartnäckig verweigert hatte.

Angela Merkel war die Atomkanzlerin und würde jetzt gerne zur Atomausstiegskanzlerin. Für beides mal gehalten zu werden, das geht durchaus konform mit ihrem selbst erhobenen Anspruch, die Kanzlerin aller Deutschen sein zu wollen - nur eben nicht gleichzeitig, sondern nacheinander. Dieser Kehrtwende Merkels haftet der Makel an, die richtige Richtung erst erkannt zu haben, als sie in die falsche längst losgestürmt war. An dieser Kehrtwende hängt der Ruch politischer Taktiererei, weil Merkel zur Begründung mit der Katastrophe von Fukushima nachträglich ein Ereignis für unvorhersehbar erklärt, vor dem sie Abertausende Kernkraftgegner jahrzehntelang gewarnt hatten.

Von Nöten getrieben

Na und? Hat nicht Merkels Entdecker Helmut Kohl 16 Jahre lang nach der Devise regiert, entscheidend sei, was hinten rauskommt? Gilt nicht der Satz: Ende gut, alles gut? Selbst wenn man solcherart den Zweck heiligt und die Mittel ignoriert, lässt sich im Fall der schwarz-gelben Energiepolitik nur eine zweifelhafte Bilanz ziehen: Am Ende steht, erstens, eine Energiewende in den Anfängen, ein Umbau, der zunächst mal als Wille existiert, von dem aber niemand weiß, ob er gelingen wird. Und am Ende steht, zweitens, eine Koalition, die viel mehr von ihren Nöten getrieben wurde als von ihren Überzeugungen, mithin eine Regierung, die sich weiter nicht an sich selbst erfreut, sondern verschleißt.

Es ist (natürlich nicht nur deshalb) unwahrscheinlich, dass Merkel noch regiert, wenn 2022 das letzte Atomkraftwerk vom Netz geht - oder auch nicht. Das Schöne an solcher Art Politik ist ja, dass man für ihr eventuelles Scheitern nicht mehr zur Verantwortung gezogen wird. Es ist zugleich ein wenig unverfroren, wenn Merkel und Schwarz-Gelb jetzt umgekehrt Rot-Grün im Nachhinein für angeblich unterlassene Vorarbeiten zum Umbau der Stromversorgung in Haftung nehmen wollen. Keine Rede mehr davon, dass Union und FDP zehn Jahre lang die Energiewende sabotierten, indem sie den Versorgern für den Fall ihrer Regierung eine Laufzeitverlängerung in Aussicht stellten. Wenn überhaupt zehn Jahre verloren sind, dann wegen Union und FDP.

Aus Bratwurst mach Brokkoli

Solcherlei Unlauterkeit wiederholt sich in vielen Argumenten der neuen Energiepolitik: Wie kann es sein, dass die Regierung jetzt Sicherheitsmängel als Gründe für das Abschalten von Meilern heranzieht, die vor einem halben Jahr noch als vernachlässigbar galten? Wie ist der große Graben, über den die Brückentechnologie Atomkraft helfen sollte, zu einem schmalen Spalt geworden? Warum bleibt nach dem Aus von acht Kraftwerken der Strompreis stabil, vor dessen Anstieg 2010 schon für den Fall einzelner Abschaltungen gewarnt wurde?

Es passt zu dieser Koalition, dass das am weitesten reichende eigene Projekt ihrer Regierungszeit daraus besteht, ihr bis dahin am weitesten reichendes Projekt zu kassieren. Es passt zu dieser Koalition, dass sie einen gesellschaftlichen Konflikt jetzt für befriedet erklärt, den sie selbst vorher in voller Absicht eskalieren ließ, Angela Merkel vorneweg. Und es passt zu dieser Koalition, dass sie die Vollbremsung in der bisherigen Energiepolitik in einen Akt der Beschleunigung umzuinterpretieren trachtet, was dem Versuch gleicht, eine Bratwurst plötzlich wie Brokkoli aussehen zu lassen.

Üble Nachrede und blanke Niedertracht

Aber jetzt mal angenommen, die Energiewende wird ein Knaller, Windräder werden Kult, und Wutbürger betteln um Stromleitungen im Vorgarten. Nein, so schnell kann sich kein Fortschritt einstellen, als dass er für diese Regierung nicht zu spät käme. Zu erleben ist der Verdruss einer Koalition an sich, eines Kabinetts untereinander. Die Pressekonferenz dreier Minister aus CDU, CSU und FDP kann kaum über eine Atmosphäre hinwegtäuschen, in der Stichwortgeber hintenrum eben nicht die Gemeinsamkeit herausstellen, sondern mit Verve die Zweikämpfe schildern, die kleinen und großen Niederlagen - und vorzugsweise die Schlappen des neuen FDP-Chefs Philipp Rösler. Die Umgangsformen dieser bürgerlichen Koalition bleiben üble Nachrede und blanke Niedertracht.

Als Schwarz-Gelb vor einigen Monaten die Laufzeitverlängerung durch den Bundestag drückte, trugen die Grünen Schwarz, und die SPD beschimpfte den politischen Gegner statt sich selbst. Es ist schwer zu verstehen, warum beide nun mit der Zustimmung zögern. Sie sollten ja und danke sagen zum Ausstieg, zu ihrem Ausstieg. Mehr Demütigung für Merkel und ihre Mannschaft geht nicht.

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