Gefährlicher Darmkeim Ehec:Labortests bei Sprossen negativ

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Roh verzehrte Sprossen von einem niedersächsischen Biohof wurden als ein Ausgangspunkt für die Ehec-Erkrankungen gehandelt. Doch bislang fielen alle Labortests negativ aus. Auch auf einer mehrere Wochen alten Probe aus dem Betrieb konnte der Erreger nicht nachgewiesen werden. Die Zahl der Ehec-Toten in Deutschland stieg derweil auf mindestens 21. Landwirte und Kliniken fordern von der Politik finanzielle Hilfen.

Es bleibt ein Verdacht: Laborproben haben bislang nicht bestätigt, dass das Sprossengemüse eines niedersächsischen Biohofes die Quelle für die Ausbreitung des lebensgefährlichen Darmbakteriums Ehec ist.

Bislang sind die Sprossen-Proben von einem niedersächsischen Biohof negativ ausgefallen. Das Ministerium hält dennoch an seinem Verdacht fest. (Foto: dapd)

Auch bei einer mehrere Wochen alten Sprossenpackung eines Hamburgers konnte der Erreger nicht nachgewiesen werden, wie Hamburgs Gesundheitssenatorin Cornelia Prüfer-Storcks am Dienstag bekannt gab. Ein 42-Jähriger, der selbst schwer an Ehec erkrankt war, hatte die Sprossen in seinem Kühlschrank vergessen. Die Behörden hatten gehofft, anhand der Packung die Infektionsquelle nachzuweisen.

Von den Proben, die erst vor wenigen Tagen auf dem Biohof entnommen wurden, stellten sich nach Angaben des Verbraucherschutzministeriums bislang 23 von insgesamt 40 als Ehec-frei heraus. Bei 17 Proben laufen die Untersuchungen noch. Sie waren unter anderem aus dem Wasser und aus der Lüftungsanlage genommen worden. Die Ermittlungen seien schwierig, weil die Geschehnisse zwei bis vier Wochen zurückliegen, heißt es aus dem Verbraucherschutzministerium in Hannover. Möglicherweise sei der Keim gar nicht mehr nachzuweisen.

Der niedersächsische Gärtnerbetrieb, von dem aus sich der Ehec-Erreger möglicherweise in Deutschland und ganz Europa verbreitet hat, lieferte meist über Zwischenhändler Sprossen an zahlreiche Restaurants, Hotels und Kantinen. Deren Gäste erkrankten zum Teil dutzendfach an Ehec. Betroffen waren unter anderem ein Golfhotel im Kreis Lüneburg, ein Restaurant in Lübeck sowie Kantinen in Darmstadt und Frankfurt am Main. Zudem wurde bei mindestens zwei Mitarbeiterinnen des Biohofs eine Ehec-Infektion nachgewiesen. Nach Angaben des Geschäftsführers wird auf dem Hof kein tierischer Dünger verwendet.

Inzwischen ist die Zahl der Toten in Deutschland auf 21 gestiegen. Zunächst war von 22 Todesfällen die Rede gewesen, das Robert-Koch-Institut (RKI) korrigierte die Zahl jedoch am Dienstagnachmittag nach unten: In Bayern habe sich ein bereits gemeldeter EHEC-Todesfall nicht bestätigt. Parallel meldete das niedersächsische Landesgesundheitsministerium zwei weitere Tote durch EHEC, die noch nicht in die Zählung des RKI einflossen.

Kliniken fordern Finanzhilfen

Derzeit sind bundesweit mehr als 2700 Ehec-Fälle und -Verdachtsfälle registriert sowie mehr als 650 HUS-Fälle und -Verdachtsfälle. In Niedersachsen wurden am Vortag 503 Ehec-Fälle und -Verdachtsfälle gezählt, 45 mehr als am Samstag. "Der Scheitelpunkt ist leider noch nicht erreicht", sagte ein Sprecher des niedersächsischen Gesundheitsministeriums. Die ebenfalls schwer betroffenen Länder Hamburg und Schleswig-Holstein meldeten eine leichte Entspannung, weil die Zahl der Ehec-Erkrankungen nun zumindest langsamer als noch in der vergangenen Woche steige.

Angesichts der zahlreichen Erkrankungen schlägt die Deutsche Krankenhausgesellschaft Alarm und warnt vor einer finanziellen Überforderung der Kliniken. "Ich appelliere an die Politik angesichts der Ehec-Epidemie, die geplanten finanziellen Kürzungen für die Krankenhäuser zurückzunehmen", sagte Hauptgeschäftsführer Georg Baum der Rheinischen Post.

Baum sagte, die Epidemie zeige, wie wichtig es sei, in den Krankenhäusern Kapazitäten an Betten und Personal vorzuhalten, um solche schwierigen Situationen zu meistern. Zurzeit könne die Lage nur bewältigt werden, weil die Kliniken untereinander Personal austauschten. "Die Kliniken machen heute alles, was für die Versorgung der Erkrankten notwendig ist - ohne Rücksicht darauf, ob sie ihre Leistungen am Ende von den Krankenkassen auch vergütet bekommen", sagte Baum.

Verbraucherschutzministerin Ilse Aigner (CSU) hält im Kampf gegen die Ehec-Infektionswelle die Warnung vor dem Verzehr von Sprossen trotz fehlender Nachweise weiterhin für angebracht. Sie halte es für richtig, an dem Verzehrhinweis festzuhalten, "solange der Verdacht nicht vollständig ausgeräumt ist", sagte Aigner. Die CSU-Politikerin wies Kritik am Ehec-Krisenmanagement der schwarz-gelben Bundesregierung zurück. "Wir arbeiten in der jetzigen Situation alle zusammen", sagte sie in der ARD-Sendung Beckmann. "Es gibt keine Kompetenzrangeleien, überhaupt nicht."

Lauterbach fordert mobile Einsatztruppe gegen Ehec

Kritik an der Informationspolitik des Bundesgesunheitsministeriums kommt vom gesundheitspolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion, Karl Lauterbach. Bundesgesundheitsminister Daniel Bahr (FDP) habe die Epidemie anfangs unterschätzt, sagte Lauterbach der Passauer Neuen Presse. "Die Koordination der Untersuchungen und die Aufklärung der Bevölkerung waren suboptimal", urteilte Lauterbach.

Lauterbach forderte eine mobile Task Force für Ehec und andere Epidemien unter Zuständigkeit des Bundesgesundheitsministers. Dagegen lobte Lauterbach die Kliniken. "Die Einrichtungen und die Krankenhäuser haben sehr gut kooperiert, bis hin zu den Herstellern der Geräte zur Blutwäsche", sagte er. "Das medizinische System hat funktioniert." Lauterbach forderte die Bevölkerung auf, Blut zu spenden. "Jeder, der jung und gesund ist, sollte eine Blutspende erwägen. Jetzt müssen alle zusammenhalten", sagte er.

Verbraucherschutzministerin Aigner nimmt an diesem Dienstag an einem Sondertreffen der EU-Agrarminister in Luxemburg teil, um über mögliche Hilfen für Bauern zu entscheiden. Das Treffen war kurzfristig einberufen worden. Eigentlich wollten die Agrarminister erst in knapp zwei Wochen zusammenkommen, um über Entschädigungen für europäische Obst- und Gemüsebauern zu entscheiden. Im Vorfeld des Treffens forderte die EU-Kommission von Deutschland mehr Zurückhaltung. Solange es keine wissenschaftlichen Belege gebe, sollten nationale Behörden keine möglichen Infektionsquellen angeben, sagte Gesundheitskommissar John Dalli. Diese vorschnellen Schlüsse hätten Ängste bei Verbrauchern geschürt, kritisierte Dalli. Die EU-Kommission arbeite derweil bereits an einem Vorschlag für Ausgleichszahlungen, sagte der Sprecher von EU-Landwirtschaftskommissar Dacian Ciolos. Details müssten dann aber noch ausgearbeitet werden.

Im Vorfeld des Treffens forderte der Deutsche Bauernverband (DBV) ein Entschädigungsprogramm für Landwirte. Die Umsatzverluste der deutschen Gemüsebaubetriebe hätten sich bis Montag auf etwa 50 Millionen Euro erhöht - diesen Schaden könnten die Gemüsebauern nicht allein tragen, sagte DBV-Präsident Gerd Sonnleitner einer Mitteilung zufolge. Durch den Ehec-Ausbruch und Verzehrwarnungen seien die Gemüsebaubetriebe in Deutschland "unverschuldet in die schwerste Krise seit Tschernobyl" geraten. "Die wirtschaftlichen Probleme werden von Tag zu Tag größer", sagte Sonnleitner.

© sueddeutsche.de/dpa/dapd/hai/beu - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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