Wirtschaftsberater der Bundeskanzlerin:Der neue Mann an Merkels Seite

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Karriere im Kanzleramt: Angela Merkel beruft den Ökonomen Lars-Hendrik Röller zu ihrem neuen Wirtschaftsberater - und damit zum Nachfolger von Jens Weidmann. Den Neuen qualifiziert vor allem eine Eigenschaft.

Claus Hulverscheidt

Streng genommen hatte Lars-Hendrik Röller gar keine Wahl, als ihn die Kanzlerin anrief, schließlich stand er bei einem wichtigen Menschen im Wort - bei sich selbst nämlich. Noch vor Monaten hatte der Ökonom darüber geklagt, dass es in Deutschland kaum personellen Austausch zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Politik gebe. Anders als in den USA, wo bei wichtigen Beschlüssen Professoren mit am Tisch von Präsident Barack Obama säßen, funktioniere hier zu Lande allenfalls der Wechsel von der Politik in die Wirtschaft. Es sei, so Röller, "eine Einbahnstraße".

Lars-Hendrik Röller (hier ein Archivbild) wird der neue Wirtschaftsberater von Angela Merkel. (Foto: obs)

Genau in diese Einbahnstraße ist der 52-jährige gebürtige Hesse nun eingebogen - allerdings in die falsche Richtung: Am 1. Juli übernimmt er die Leitung der Abteilung4 im Bundeskanzleramt, ein Job, der viel Arbeit und wenig Ehr' verspricht, weswegen viele Andere das Angebot wohl dankend abgelehnt hätten. Röller hingegen, der zurzeit die European School of Management and Technology (ESMT) in Berlin leitet, sagte zu - vermutlich auch deshalb, weil der Abteilungsleiter 4 noch einen zweiten, zwar inoffiziellen, dafür aber weitaus wohl klingenderen Titel führen darf: Wirtschaftsberater der Bundeskanzlerin. Das hört sich schon eher nach großer Politik an, nach Weltwirtschaftsgipfeln und Richtungsentscheidungen. Mit Barack Obama, so viel ist sicher, wird Röller noch in diesem Jahr an einem Tisch sitzen.

Dem Vernehmen nach soll der Vater dreier Kinder der Kanzlerin nicht zuletzt beim jüngsten Gerangel um eine gemeinsame Strategie von Wirtschaft und Umweltverbänden zur Förderung von Elektroautos aufgefallen sein. Während die Konzernlenker und Verbandsvertreter in den alten ideologischen Gräben verharrten, bemühte sich Röller um einen Konsens. "Herzlich" und "freundlich" sei der Professor, sagt einer, der lange mit ihm zusammengearbeitet hat, aber auch "hart" und "zielstrebig".

Wirtschaftspolitisch zumindest scheint er mit Merkel auf einer Linie zu liegen: Legt man frühere Interviewaussagen zugrunde, dann ist Röller ein Liberaler, aber kein Marktradikaler. Er ist für weniger, dafür aber effektivere Regulierung, er ist für freien Handel, aber gegen Kinderarbeit und laxe Umweltauflagen. Die ESMT richtete er auf die soziale Marktwirtschaft aus und setzte sich damit bewusst von der London School of Economics (LSE) mit ihrer Fixierung auf die Finanzwirtschaft ab.

Das Bisschen an Freizeit, das ihm bisher blieb, wird er nun opfern müssen, denn Kanzlerberater ist man 24 Stunden am Tag. Andererseits: Dass Röllers Vorgänger, der heutige Bundesbankpräsident Jens Weidmann, fünf Jahre lang im Amt blieb, lag auch daran, dass sein Job zwar so arbeitsam wie ruhmlos war, ihm aber zugleich den tiefstmöglichen Einblick in das Funktionieren von Politik bot, der vorstellbar ist.

Egal um welches Thema es in den letzten Jahren ging, ob um die Energiewende, die Bewältigung der globalen Wirtschafts- und Finanzmisere, die Reform der Bundeswehr, die Sanierung des Haushalts, das deutsche Engagement bei EADS, den Mindestlohn oder die große europäische Schuldenkrise, stets stand der wirtschaftspolitische Berater der Kanzlerin im Mittelpunkt des Geschehens. Und oft genug folgte Angela Merkel am Ende seinem Rat.

Persönlich bekannt mit Ackermann und Miller

Es gibt wenige Menschen, denen man zutrauen würde, ein solches Amt auf Anhieb ausfüllen zu können. Das gilt umso mehr, als für den Job nicht nur ein großes Fachwissen nötig ist, sondern auch Einfühlungsvermögen in die Gedankenwelt der Kanzlerin und Gespür für das politisch Machbare, das nicht immer identisch ist mit dem fachlich Wünschenswerten. Ob Röller letztere Disziplinen beherrscht, muss sich zeigen.

Fachlich aber scheint er gerüstet, denn er lehrte nicht nur an Hochschulen in Frankreich, Deutschland und den USA, sondern lernte als Chefökonom der Europäischen Kommission für Wettbewerb auch das politische Geschäft kennen. Auch kennt er Manager wie Josef Ackermann, Wolfgang Mayrhuber oder Gazprom-Chef Alexej Miller persönlich. Mit vielen von ihnen wird er auch künftig zu tun haben, allerdings in neuer Rollenverteilung: Musste bisher der ESMT-Präsident auf die Konzernbosse zugehen, damit diese Geld für seine Schule locker machen, werden es künftig die Wirtschaftsführer sein, die dem Kanzlerberater ihre Anliegen vortragen. Da heißt es sich frei machen von altem Hierarchiedenken.

Merkel traut ihm das zu, sonst hätte sie ihn nicht berufen. Schon bei Weidmann hat sie gute Erfahrungen mit einem Kandidaten gemacht, den einige als politikfern und kaum verdrahtet schalten, den sie aber für blitzgescheit hielt. "Ein heller Kopf", so formulierte es der damalige Kanzleramtschef Thomas de Maizière, "kann die Kompromissfindung und Kontaktpflege eher lernen, als ein politischer Taktierer das klare Denken".

© SZ vom 07.06.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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