Helmut Kohls Söhne im Gespräch:Mutterland

Walter Kohl veröffentlicht Buch

Der damalige Ministerpräsident von Rheinland-Pfalz, Helmut Kohl, mit seiner Ehefrau Hannelore und seinen Söhnen Peter (rechts) und Walter im Sommerurlaub 1975 in St. Gilgen in Österreich.

(Foto: Heinz Wieseler/dpa)

Zehn Jahre nach dem Tod von Hannelore Kohl sprechen ihre Söhne Peter und Walter mit der SZ über ihre Mutter, die Frau des Kanzlers und biografische Wahrheiten.

Jochen Arntz und Christopher Keil

SZ: Peter Kohl, warum wollen Sie, dass ein Film über Ihre Mutter gemacht wird?

Peter Kohl: Wir haben sehr viel positive Resonanz erfahren zu unserer Mutter. Mein Bruder Walter war mit seinem Buch im Land auf Lesungen unterwegs. Die Menschen haben sich für unsere Mutter interessiert. Offenbar ist ihre Persönlichkeit im öffentlichen Bewusstsein geblieben und gewachsen, losgelöst vom Interesse an unserem Vater. Das hätte ich so nicht erwartet. Das hat mich motiviert, nach der Biografie, die ich vor knapp zehn Jahren zusammen mit Dona Kujacinski über sie geschrieben habe, den Film in Angriff zu nehmen.

Walter Kohl: Ich bin froh, dass Peter die Initiative ergriffen hat, uns ist es wichtig, dass das Wissen über unsere Mutter auch durch einen solchen, authentischen Film gestärkt wird.

Glauben Sie, dass Ihre Mutter in zehn, zwanzig Jahren anders bewertet wird als heute?

Peter Kohl: Mit Sicherheit. Mit jedem Jahrzehnt, das vergeht, werden ja auch die Ereignisse, besonders die der deutschen Wiedervereinigung, anders beurteilt. Wenn Sie heute mit Abiturienten sprechen, die eine Hausarbeit zum Mauerfall anfertigen müssen, dann ist das für die fast wie mittelalterliche Geschichte.

"Meine Mutter hat meinen Vater geprägt."

SZ: Wie hat sich der Blick auf Ihre Mutter verändert?

Hannelore Kohl

So kannte man Hannelore Kohl nicht: Lässig und unkonventionell mit Zigarette.

(Foto: Helmut R. Schulze/Eigenverlag)

Peter Kohl: Es gibt verschiedene Hannelore-Kohl-Bilder, je nachdem, aus welcher Entfernung man sie betrachtet, zu Lebzeiten oder danach. Sie hatte einen schweren Lebensweg, es gab Brüche, Dramen. Meine Mutter kam aus einer Generation, die ihre zentrale Prägung durch den Zweiten Weltkrieg erfahren hat, so wie Millionen andere Deutsche auch, die in die Nachkriegszeit hineingewachsen sind und dann ihre Karrieren entwickelten.

SZ: Sie sprechen jetzt von der Karriere Ihres Vaters.

Peter Kohl: Von der Karriere der Familie, in der man sich gemeinsam ein Leben aufgebaut hat. Ich sehe das so: Wenn am Ende verschiedene Generationen den Film über meine Mutter betrachten, dann sollte die Großmutter sich wiedererkennen können, die Mutter und hoffentlich auch die Tochter. Alle werden etwas in ihr von sich finden können.

SZ: Hat die Art und Weise, wie Ihre Mutter an der Seite Ihres Vaters lebte, den Politiker Helmut Kohl überhaupt erst ermöglicht?

Walter Kohl: Absolut. Meine Mutter hat meinen Vater entscheidend mitgeprägt, auch weil hier zwei verschiedene Biografien aus Deutschland zusammengefunden haben. Meine Mutter ist in Leipzig aufgewachsen, und wenn man die deutsche Wiedervereinigung betrachtet, war es von Bedeutung für deren Verlauf, dass meine Mutter den anderen deutschen Hintergrund hatte. Vielleicht hätte mein Vater ohne die Kenntnis des Lebensweges meiner Mutter in den Themen der Wiedervereinigung manchmal anders entschieden. Meine Mutter kam eben nicht aus Düsseldorf oder München, sondern aus Leipzig. Auch in der Beurteilung von Menschen hatte sie einen guten Instinkt. Sie schaute über Parteigrenzen hinweg und war eine ganz wichtige Ratgeberin unseres Vaters.

SZ: Der Eindruck war eher, dass Ihr Vater keinen Rat in der Familie suchte.

Peter Kohl: Das kann man nicht so pauschal sagen, das hing sehr vom Thema ab.

"Ich verfolge das Filmprojekt als Herzensangelegenheit"

SZ: Haben Sie Ihrem Vater von dem Film über Hannelore Kohl erzählt?

Helmut, Walter und Peter Kohl auf der Beerdigung von Hannelore, 2001

Helmut Kohl (v. l.) mit seinen Söhnen Walter und Peter auf der Beerdigung von Hannelore im Jahr 2001.

(Foto: DPA)

Peter Kohl: Wir haben erst kürzlich über Verschiedenes bei einem Besuch gesprochen. Er weiß Bescheid.

SZ: Walter Kohl, stehen Sie wieder in Kontakt zu Ihrem Vater? In Ihrem Buch Leben oder gelebt werden haben Sie beschrieben, wie er mit Ihnen brach.

Walter Kohl: Ich habe am vergangenen Wochenende ausführlich mit meinem Vater telefoniert und ein sehr gutes Gespräch geführt. Er hat gesagt, er ruft mich bald wieder an. Wir haben also den Kontakt wieder aufgenommen, und das hat mich sehr gefreut.

SZ: Worüber haben Sie geredet?

Walter Kohl: Über viele Dinge. Darüber, wie es ihm geht und was er macht. Über mein Buch, das er kennt, haben wir nur am Rande gesprochen.

SZ: Wie ist Ihr Verhältnis zu Maike Richter, der zweiten Frau Ihres Vaters?

Peter Kohl: Es ist ein schwieriges. Was meinen Vater betrifft: Das Verhältnis zwischen ihm und mir war in der Vergangenheit nicht immer einfach, oft hochkomplex. Aber er ist, wer er ist. Heute respektiere ich ihn als Mensch und Vater.

SZ: Akzeptiert Ihr Vater den offenen Umgang mit der Familiengeschichte, den Sie als Brüder jetzt gewählt haben?

Peter Kohl: Wir sind ja in vollkommen unterschiedlichen Ausgangslagen. Mein Vater war einer der führenden Repräsentanten der Bundesrepublik, des Staates. Teil seiner Arbeit war es, mit öffentlicher Meinung, mit Presse umzugehen. Er hatte eine bestimmte Art, das zu handhaben. Dafür wurde er auch kritisiert, andere haben das gutgeheißen. Ich bin nicht in seiner Position, Gott sei Dank. Ich bin kein Berufspolitiker, sondern Unternehmer. So kann ich beispielsweise dieses Filmprojekt als Herzensangelegenheit verfolgen, auch weil ich nicht den Zwängen unterworfen bin, denen mein Vater unterlag.

"Schwan genoss über viele Jahre das uneingeschränkte Vertrauen von Helmut Kohl"

SZ: Gerade ist eine neue Biografie über Ihre Mutter erschienen, verfasst von dem Journalisten Heribert Schwan. Hat er das Gespräch mit Ihnen gesucht?

Walter Kohl: Vor rund 15 Monaten hat Herr Schwan mit uns Kontakt aufgenommen, so, wie er auch eine Reihe anderer Zeitzeugen angesprochen hat.

Peter Kohl: Ich bin dem Gespräch bewusst nicht aus dem Weg gegangen, da ich gespannt war, wie er eine solche Biografie zehn Jahre nach dem Tod unserer Mutter inhaltlich angehen würde. Was würde er Neues schreiben, um das Bild zu ergänzen? Ich habe mit ihm intensiv diskutiert und musste leider feststellen, dass mir seine Herangehensweise und vor allem das Fehlen von Quellen an entscheidenden Stellen nicht sehr seriös erschien. Dann haben wir ihm untersagt, aus den Gesprächen mit uns in seinem Buch zu zitieren.

Walter Kohl: Es ist wichtig, dass man auf die Vorgeschichte von Herrn Schwan mit unserem Vater eingeht. Schwan genoss über viele Jahre das uneingeschränkte Vertrauen von Helmut Kohl, der ihm, wie keinem anderen Journalisten, Einblicke in Akten und Unterlagen nicht nur über seine Amtszeit als Bundeskanzler gewährte. Herr Schwan schrieb diverse Biografien über Helmut Kohl, und er war der Ghostwriter des Tagebuchs unseres Vaters und von mehreren Memoirenbänden. Das ist kein Geheimnis. Unser Vater war in seinem Umgang immer ganz alte Schule: Wem er vertraute, mit dem einigte er sich per Handschlag. Er ließ keine umständliche Vertraulichkeitsvereinbarung von den Anwälten aufsetzen. Vielleicht war das in diesem Falle eher ein Fehler.

SZ: Immerhin ist Schwan ein Mann, der Ihre Familie gut kennt.

Peter Kohl: Wie unsere Mutter manchmal spitz über ihn anmerkte, war er gerne in der Gnadensonne des Bundeskanzlers. Er war eben lange Zeit Teil des Hofstaates. Bei aller Sympathie und persönlicher Hochachtung für Hannelore Kohl, die man auch in seinem Buch spürt, fehlt ihm, wie ich meine, die notwendige Distanz. Und er übertreibt seine eigene Bedeutung zuweilen maßlos. Unserer Mutter waren Anbiederungen ohnehin immer unangenehm.

SZ: Schwan spekuliert, dass Ihre Mutter schon 1993 einen Selbstmordversuch unternommen habe.

Walter Kohl: Diese Behauptung ist falsch. Unsere Mutter ist 1993 fast an einem ärztlichen Kunstfehler gestorben. Herr Schwan erwähnt den ehemaligen Hausarzt Heinz Lösel als Gesprächspartner für sein Buch. Aktenkundig ist jedoch Folgendes: Herr Lösel war bei der Nordstern-Versicherung gegen mögliche ärztliche Kunstfehler versichert. Und es gibt einen Vorgang der Versicherung aus dem Jahr 1994, der ergab, dass er versehentlich im Jahr zuvor ein penicillinähnliches Präparat unserer Mutter verabreicht hatte, obwohl eine sehr starke Immunreaktion, schlimmstenfalls mit Todesfolge, zu erwarten war. Unsere Mutter hatte schwerste Vergiftungssymptome. Die Nordstern-Versicherung hat einen sehr hohen Betrag als Schmerzensgeld an unsere Mutter zahlen müssen.

Peter Kohl: Was diese Behauptung Schwans betrifft, kommt erschwerend hinzu, dass mich der Justitiar des Heyne-Verlags vor der Drucklegung des Schwan-Buches kontaktiert hat. Ihm waren Zweifel wegen der Quellenlage gekommen. Ich habe ihn dann explizit auf diesen Versicherungsfall hingewiesen.

"Nach dem Selbstmord unserer Mutter kamen viele Gefühle hoch."

SZ: Heribert Schwan wirft Ihnen beiden indirekt auch vor, Sie hätten in den letzten Lebensmonaten Ihrer Mutter nur wenig Zeit für sie gehabt.

Walter Kohl: Herr Schwan weiß einfach vieles nicht. In den Jahren 2000 und 2001 war ich in einer besonders schwierige Lebensphase, da meine erste Ehe zerbrach. Deshalb habe ich in dieser Zeit, in der ich in Frankfurt arbeitete, häufig meine Mutter im rund 90 Kilometer entfernten Oggersheim besucht. Manchmal war es schwierig, in meinem damaligen Zuhause zu wohnen. Deshalb lebte ich auch immer wieder in meinem Elternhaus, in der alten Einliegerwohnung meiner Großmutter. Herr Schwan schildert in seinem Buch korrekt, dass er selbst in dieser Zeit öfters im Hause war. Um möglichen Indiskretionen auszuweichen, beschlossen meine Mutter und ich, dass ich Herrn Schwan nicht begegnen sollte. Das Haus war ja groß genug. Meinen Wagen parkte ich in der Garage. Mein Bruder, der damals in London lebte, und ich telefonierten fast täglich mit unserer Mutter. Das war eine alte Gewohnheit. Ich muss deshalb die Behauptung von Herrn Schwan, wir hätten uns nicht gekümmert, als unwahr zurückweisen. Seine öffentlichen Auslassungen über meinen Bruder und mich sind persönlich verletzend und geeignet, alte Wunden wieder aufzureißen.

Peter Kohl: Wenn man die Situation zwischen Herrn Schwan und meinem Vater betrachtet, erkennt man am Ende viele Schwierigkeiten. Rückblickend war die Zusammenarbeit zwischen Herrn Schwan und meinem Vater in der Summe aber auch sehr erfolgreich. Beide hatten an dieser Zusammenarbeit über viele Jahre Freude. Nachdem unser Vater wieder geheiratet hat, funktionierte das alte Zusammenspiel nicht mehr. In den Gesprächen mit Herrn Schwan wurde mir klar, dass er sich sehr verletzt fühlte durch die brüske Verabschiedung, die er seiner Meinung nach erfahren hat, vor allem durch die neue Ehefrau unseres Vaters, Maike Kohl-Richter. Ich habe ihm damals den wohlgemeinten Rat gegeben, dass verletzte Gefühle keine sinnvolle Grundlage sind, um eine Biografie über unsere Mutter zu schreiben. Unsere Mutter kann ja nichts für diese Streitereien nach ihrem Tod. Und Schwans Schilderungen im letzten Kapitel seines Buches, "Zerstörung", sind, was den Umgang mit Ecki Seeber betrifft, dem langjährigen Fahrer unseres Vaters, leider wahr. Es ist schade, dass es so weit gekommen ist.

SZ: Würden Sie selbst eine Biografie über Ihre Mutter heute anders abfassen, als Sie es 2001 taten?

Peter Kohl: Natürlich. Mein Buch wurde damals in einem Familienkonsens geschrieben. Das heißt, wir haben die emotionalen Bedürfnisse der verschiedenen Familienmitglieder berücksichtigt. Nach dem Selbstmord unserer Mutter kamen viele Gefühle hoch. Das schwankte, was mich betrifft, von: Ich bin das Opfer, weil meine Mutter sich umgebracht hat, bis hin zu Selbstvorwürfen: Hätte ich etwas tun können, um den Selbstmord zu verhindern. Ich befand mich beim Schreiben noch in der Trauerarbeit. Heute habe ich, auch emotional, eine erweiterte Sichtweise. Die Distanz erlaubt es, mit allem besser umzugehen. Ich kann die Wirkung meiner Mutter besser beurteilen. Es wird zum zehnten Todestag meiner Mutter am 5. Juli einen von uns vorgelegten Bildband geben, der ihr Leben dokumentiert. Der Fotograf Helmut R. Schulze hat unsere Eltern über Jahrzehnte privat und auch auf Staatsreisen begleitet. Seine Bilder und die Texte von Dona Kujacinski zeigen ein eindrückliches Bild unserer Mutter.

SZ: Heribert Schwan erzählt in seinem Buch, dass Ihre Mutter 1945 auf der Flucht nach Westen von russischen Soldaten vergewaltigt wurde. Hat Sie jemals mit Ihnen darüber gesprochen?

Peter Kohl: Meine Mutter hat uns von ihren Fluchterlebnissen erzählt. Mehr ist dazu öffentlich nicht zu sagen. Wir müssen aber versuchen, auch für den geplanten Film eine Form zu finden, um diese Zeit historisch authentisch und korrekt darzustellen.

SZ: Ist es Ihnen eigentlich gleich, ob der Film im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder bei den Privaten gezeigt wird?

Peter Kohl: Das soll der Produzent Nico Hofmann entscheiden. Mir geht es darum, dass ein Film entsteht, der authentisch ist und auch Jüngere, die meine Mutter nicht mehr so kannten, anspricht.

SZ: Ihre Mutter wird vermutlich von zwei, drei Schauspielerinnen dargestellt werden, weil der Film den Bogen von der Kindheit bis zum Freitod spannen soll. Wäre Ihnen eine Wesensähnlichkeit wichtiger als eine physische?

Peter Kohl: Es ist beides wichtig. Physische Ähnlichkeit kann man mit einer Maske herstellen, wobei es Grenzen gibt. Die Schauspielerin sollte sich in die Rolle hineinfühlen können, damit die Person wahrhaftig wird. Die Essenz des Charakters muss deutlich werden.

SZ: Schwan behauptet, Ihre Mutter sei eine Frau gewesen, die in Schwarz-Weiß-Kategorien gedacht habe?

Walter Kohl: Wissen Sie, unsere Mutter war eine praktisch denkende, unideologische Frau. Sie hat auch politische Gegner meines Vaters zuerst als Menschen wahrgenommen, sie als Menschen beurteilt, und sie hat sich oft lustig gemacht gerade über das Schwarz-Weiß-Denken in der bundesrepublikanischen Parteipolitik und Presse. Das beste Beispiel für ihre Denkweise war doch ihre langjährige Freundschaft mit Johannes Rau, der einmal sogar Konkurrent unseres Vaters um die Kanzlerschaft war.

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